Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Einschneidende Erlebnisse

Von Goldling


Ich persönlich gehe nicht zum Friseur. Nicht mehr, genauer gesagt. Meine Freundinnen hingegen präsentieren mindestens einmal im Monat stolz ihre neu geschnittenen, gelockten und gefärbten Haare. Ich selber trage inzwischen einen Dutt. Ich bin 28 Jahre alt. Aber das nur nebenbei.
Die Besuche meiner Freundinnen bei ihrem Lieblingsfriseur werden meist schon Wochen im Voraus gebucht. "Hach ja, Albert ist so beliebt. Er ist der Star des Salons, das könnt ihr mir glauben", flötet Ines und wirft ihre kecken Löckchen zurück. "Meiner wäscht mir sogar die Haare. Da lasse er keinen Lehrling ran, sagt er immer, sie seien einfach zu empfindlich", trällert Nina und fährt sich mit der Hand durch ihren blondierten Pony. "Und meiner massiert mir jedes Mal mindestens eine viertel Stunde die Schläfen, bevor er zu schneiden beginnt", gurrt Jutta und zwirbelt verzückt an einem vorwitzigen Strähnchen.
"So, so", sage ich und taste nach meinem Haarnetz, " Und sonst?"
Doch jeder Versuch das Thema zu wechseln scheitert an dem Stellenwert, den meine Freundinnen ihren Friseuren eingeräumt haben. "Sonst? Na, alles super. War am Samstag aus und was glaubt ihr, wen ich treffe? Meinen Friseur Albert. Mit seiner neuen Flamme. Ein süßer Kerl. Hach, war das ein lustiger Abend..." und so weiter und so weiter. Was soll man da machen? Ich setze mir meine Regenhaube auf und gehe.
Auch ich habe mir früher die Haare schneiden lassen.
Meine erste Friseuse (das war zu einer Zeit, wo man noch Friseuse sagen durfte, ohne dabei diskriminierend zu erscheinen), war eine Angestellte in unserem kleinen Dorfsalon. Meine Mutter ließ sich derweil die Haare vom Chef schneiden. Ich hörte sie von meinem Platz aus kichern, während mir Grit (so hieß die Angestellte, wenn ich mich recht erinnere) voller Inbrunst mein verklettetes Haar durchkämmte.
"Tut es weh?" fragte sie zu mir herunter.
"Nein, nein. Gar nicht", antwortete ich und wischte mir verstohlen die herablaufenden Tränen vom Gesicht.
"Nun, was hätte du denn gern für einen Haarschnitt?"
Ich hatte im Schaufenster ein Bild von einer wunderschönen Frau mit blonden Locken gesehen.
"Also eine kleine Dauerwelle. Na, dazu muss ich deine Haare etwas kürzen."
Sie zückte eine große Schere, und schnitt, noch bevor mein Schrei sie daran hindern konnte, meine langen Haare ab. Wieder wischte ich mir heimlich Tränen vom Gesicht.
Eine gute Stunde später, nach Prozeduren des Schneidens, Wickelns, Trocknens etc. riss mich Grits Stimme aus meinen Träumen von dem neuen Jungen in meiner Klasse, mit dem ich mir kleine Liebesbriefe schrieb. "So fertig, nun siehst du aus wie eine kleine Dame."
Ich sah auf. Aus dem Spiegel starrte mich mit schreckensgeweiteten Augen ein Wischmopp an. Oder zumindest etwas, was diesem sehr nahe kam. Lächerlich kleine Löckchen standen mir kreuz und quer vom Kopf ab, und ich sah nicht im mindesten aus, wie die Frau im Schaufenster. Dieses Mal konnte ich weder meinen gellenden Schrei unterdrücken, noch meine Tränen verbergen.
"Warum lässt du dir auch eine Dauerwelle machen", schimpfte meine Mutter, nachdem sie sich säuselnd vom Chef verabschiedet hatte.
Selbstredend, dass mir der Junge aus meiner Klasse nie wieder einen Liebesbrief schrieb. In stillen Momenten höre ich immer noch das Gelächter meiner Klassenkameraden, als mein Sportlehrer mir am nächsten Tag die Mütze, die ich verzweifelt mit beiden Händen festzuhalten suchte, vom Kopf riss.
Es dauerte viele Jahre, bis ich mich nach diesem traumatischen Erlebnis wieder zu einem Friseur traute. Sicherheitshalber holte ich mir einen Termin beim angesagtesten Hairstylisten der Stadt.
"Oh mein Gott." Die hohe Stimme des Friseurs überschlug sich. "Was ist denn das?" Angeekelt hob er eine meiner im Laufe der Jahre gewachsenen Dreadlocks hoch. "Susi. Suuusi. Komm mal her und bring bitte eine Heckenschere sowie zehn Pflegepackungen mit." Ich lächelte vorsichtig, nicht ganz sicher, ob das ein Scherz war. Es war keiner.
"Ritsche-Ratsche, Ritsche-Ratsche", der Singsang des Friseurs, während er eine der Dreads nach der anderen abschnitt, beruhigte mich in keinem Maße. "Lassen Sie mich nur machen, mein Herzchen. Ihrem Geschmack sollten Sie besser nie wieder vertrauen."
Was blieb mir anderes übrig? Ich ergab mich den kundigen Händen des Friseurs und vertiefte mich in eine Zeitschrift. Circa zwei Stunden und ein Dutzend langweiliger Artikel später hieß er mich aufsehen. Dieses Mal ersparte ich mir den Schrei sowie die Tränen. Ich versank einfach in tiefster Depression und verließ mit meinen quietschroten, raspelkurzen Haaren gedemütigt den Salon. Zwei Tage später ließ mich mein damaliger Freund, der mich zu dem Besuch überredet hatte, sitzen. Für eine Frau mit lang wallenden Haaren.
Wieder gingen Jahre ins Land bevor ich meinen Fuß über die Schwelle eines Friseursalons setzte. Mein Chef hatte mir angedeutet, dass, wenn ich meine Haare nicht zumindest soweit schneiden lassen würde, dass man mir bei einem Gespräch ins Gesicht sehen könne, ich mir keine Hoffnung auf eine Beförderung machen müsste. Ich nahm das Geld, das meine Kollegen ein paar Monate zuvor für einen Friseurbesuch meinerseits gesammelt und mir geschenkt hatten und schlich zu dem nächstgelegenen Salon.
"Friederichs Frisurenecke", las ich auf einem fleckigen Schild, bevor ich eintrat.
Friederich war ein uralter Mann, der langsam aus einem Hinterzimmer geschlurft kam. Er musterte mich durch seine dicke Hornbrille.
"Na, Fräulein, was kann ich für Sie tun?"
"Ein Haarschnitt?" fragte ich vorsichtig.
"Aber gern, setzen Sie sich", er wies auf die allesamt freien Stühle. Warum es so verdächtig leer war, erfuhr ich kurze Zeit später. Kaum saß ich, begann der alte Mann zu erzählen. Sehr laut, da offensichtlich schwerhörig, begann er beim guten Wetter, ging nahtlos über in die Zeit des Zweiten Weltkrieges und endete schließlich bei seinem großen Furunkel am Hintern, dessentwegen es kürzlich drei Tage im Krankenhaus zubringen musste. Das alles schrie er mir direkt in mein Ohr, zu dem er sich seiner Kurzsichtigkeit wegen, beim Schneiden herabbeugen musste. Dennoch hörte ich kaum, was er sagte, da ich damit beschäftigt war mit panischem Blick seinen stark zitternden Händen zu folgen, in denen er die Schere hielt.
Der Rest ist schnell erzählt. Nachdem meine Kopfverletzung abgeheilt war, ging ich wieder zur Arbeit. Dort forderten meine Kollegen ihr Geld zurück, da von eigenhändigem Schneiden nicht die Rede gewesen sei. Ich schwor mir nie, aber auch wirklich nie wieder einen Friseursalon zu betreten.
Diesen Schwur habe ich bis heute nicht gebrochen. Ich ließ meine Haare wachsen und begann, als ich mich mit meinen Füßen in ihnen verhedderte, einen Dutt mit Haarnetz zu tragen. Sehr praktisch, wirklich. Genau genommen sind Friseure vollkommen überflüssig. Aber sagen Sie das mal meinen Freundinnen.




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Eingereicht am 11. August 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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