Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Das Haar

Von Michaela Spaeth


Liebe Cecilia,
vielen, vielen Dank für Deinen lieben Brief. Kannst Du Dir vorstellen, wie gut es tut, einmal nicht nur Vorwürfe zu hören oder kommentarloses Unverständnis zu erfahren?
Dass mich jemand versteht, erwarte ich ja gar nicht, aber dass auch mir diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist, dass es auch mir nicht gut geht, das müsste sich doch der eine oder andere denken können. Wenigstens hast Du mich nicht verurteilt, wenigstens fragst Du nach.
Glaube mir, ich zweifle oft genug, ob ich das jetzt wirklich richtig gemacht habe, denn die Zeit, zu der es mir besser gehen wird als zuvor, liegt wohl noch weit in der Zukunft. Trotzdem bin ich manchmal auch ein bisschen stolz auf mich und manchmal glaube ich schon zu spüren, wie das "alte Leben" zu mir zurückkehren will.
Du fragst, was denn nun letztendlich der Auslöser war. Und wenn ich Dir die Wahrheit sage, wirst Du wahrscheinlich lachen: Es war ein Haar. Nicht irgendein Haar. Es war lang, dick und braun. Man denkt da jetzt wohl sofort an das Haar einer anderen Frau, das ich von seinem Hemd gepickt habe. Nein. Das Haar war nass. Und eklig. Es war ein Haar seiner Tochter. In meinem Badezimmer. Ich war gerade dabei den Boden zu wischen, als es sich um meinen Finger gewickelt hat, genauer gesagt um zwei. Ich konnte es nur schwer loswerden und als ich es endlich zwischen Daumen und Zeigefinger der anderen Hand hielt, ging es nicht ab, ich versuchte es irgendwo abzustreifen, aber immer blieb es an irgendeinem Finger hängen. Ich wurde immer hektischer und ärgerlicher und es ekelte mich so, dass ich schon direkt einen Würgereiz spürte, während ich wie wild mit meiner Hand herumfuchtelte und als ich es letztendlich mit einem Stück Toilettenpapier entfernt hatte und im Klo weggespült hatte, setzte ich mich auf die feuchten Fliesen und fing an zu heulen.
Ich saß bestimmt eine dreiviertel Stunde so da und gab mich meinem Selbstmitleid hin.
Warum muss ich mich in meinem eigenen Badezimmer vor fremden Haaren ekeln?. Die Antwort war denkbar einfach: Weil in meinem Badezimmer die Waschmaschine steht, in der er nun mal auch die Wäsche seiner Kinder wäscht. Aber mit so einer plausiblen Erklärung war ich in meinem damaligen Zustand nicht zu beruhigen. Vielmehr erschien mir dieses Haar als ein Symbol für meine ganze Misere, als Inbegriff all der Entbehrungen der letzten Jahre, und deutlicher als je zuvor drängte sich mir der Gedanke auf, dass ich vielleicht viel mehr als nur dieses Haar aus meinem Leben entfernen sollte.
Klar, Du weißt ja, ich habe mich schon lange und oft gefragt, ob unsere Beziehung "einen Sinn" hat, aber mein Gefühl für ihn hat mir immer wieder als Berechtigung gereicht.
Ich habe mich auch gefragt, ob sich die Stärke eines Gefühls wirklich daran messen lässt, wie viel Schmerz und Leid man bereit ist, dafür zu ertragen. Aber in dieser Hinsicht habe ich mich immer versucht damit zu trösten, dass es ja nicht er ist, der mich so quält, sondern die Umstände. Ich habe mir sooft gesagt, dass diese Zeit ja irgendwann vorbei geht, dass die Kinder groß werden, ihn immer weniger brauchen, ausziehen. Ich habe mir auch immer wieder gesagt- und von anderen angehört, wie toll das doch ist: Ein Mann der voll berufstätig ist und nebenbei noch alleine zwei Kinder großzieht, den Haushalt schmeißt, die Wäsche wäscht, kocht. Und natürlich tun mir auch die Kinder leid, die ihre Mutter verloren haben, die es so schwer hatten, von denen für Ihr Alter schon so viel verlangt wurde. Und abgesehen von allem anderen wollte ich auch mal durchhalten, eine wirkliche Freundin, eine Partnerin sein.
Ich bin sooft erschrocken gewesen, wie leicht sich Paare heute trennen, wie sehr jeder nur noch an sich, seine Selbstverwirklichung und Freiheit denkt und wie wenig man bereit ist an einer Beziehung zu arbeiten, Abstriche zu machen, für den anderen da zu sein.
Ich weiß nicht wie oft ich mir selbst gesagt habe: Du warst doch vorher an den Wochenenden auch allein, bist doch auch alleine weggegangen und alleine in den Urlaub gefahren. War Dein Leben damals arm? Hast Du überhaupt ein Recht, etwas von ihm zu fordern? Bist Du nicht immer gut alleine zurecht gekommen? Ist Dein Genörgel nicht das letzte, was er braucht? Ist es nicht genug, dass er Dir alle Freiheit lässt, Dir zuhört, mit Dir redet, Dich unterstützt wo er kann, dass er Dich liebt und immer ehrlich zu Dir ist.
Aber ich weiß jetzt, dass es nicht genug ist, dass es mir nicht reicht, dass ich, obwohl ich nicht blöd, obwohl ich selbstständig, selbstbewusst und modern bin, ganz banale, ganz primitive Bedürfnisse habe und dass die mich früher oder später eingeholt hätten.
Immer öfter habe ich an den Wochenenden neidisch auf die Pärchen geschielt, die ihre Picknickkörbe und Wolldecken auf s Fahrrad geschnallt haben, die Samstag Nachmittag durch die Stadt gebummelt sind, die Abends mit einer Kerze und einer Flasche Wein am Baggersee saßen. Immer mehr habe ich es genossen, mich einmal auf einer Party, auf der ich natürlich alleine war, mit jemandem über Musik, die neuesten Filme oder ein gutes Buch unterhalten zu können.
Ich weiß nicht wie ich das richtig beschreiben soll, aber ich hatte das Gefühl einzugehen wie eine Primel, unbeachtet, vergessen. Und ich habe sooft Vorschläge gemacht, etwas zu ändern. Mal zusammen Frühstücken, nachdem die Kinder gefrühstückt haben, mal zusammen kochen, nachdem er mit den Kindern zu Abend gegessen hat. Mal ein Picknick nach dem Mittagessen am Wochenende. Er hat nie Nein gesagt, er ist aber auch nie darauf zurückgekommen. Weißt Du, mit der Zeit habe ich es dann auch aufgegeben, ganz schleichend, so dass ich es fast selber nicht gemerkt habe. Ich habe irgendwann einfach die Jogginghose angelassen, denn um auf dem Sofa zu sitzen war sie einfach bequemer, ich habe mich dann zu Hause auch nicht mehr geschminkt, die Haare einfach zusammengebunden..
Ich bin immer öfter übers Wochenende weggefahren, mit Freunden, zu meinen Eltern.
Und insgeheim hatte ich gehofft, er würde mich einmal bitten, doch bei ihm zu bleiben. Aber er hat mich immer gleich verabschiedet und begrüßt und auch nie groß nachgefragt, was ich denn gemacht hätte.
Ich weiß, mancher würde mich um soviel Freiheit beneiden, aber das ist es nicht, was ich mir wünsche. Was ich mir gewünscht hätte, wäre eine echte Bindung gewesen, Zusammengehörigkeit und das Gefühl mein Leben mit ihm zu teilen, gemeinsam verbrachte Zeit, gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Erinnerungen, ein "zu Hause", eine Familie.
So war es nur ein Warten auf bessere Zeiten und ich bin nicht sicher, ob wir irgendwann, wenn die Zeiten es erlaubt hätten, noch gelernt hätten, ein Paar zu sein. Ich bin immer unzufriedener geworden und es gab immer öfter Streit. Wegen den Kindern, weil er mal wieder lieber "zu Hause" bleiben wollte, weil er um neun schlafen ging. Ich weiß bis heute nicht, was er sich von mir gewünscht hätte, was ich für ihn hätte sein sollen, er konnte oder wollte es mir nicht sagen.
Und an diesem Nachmittag auf dem Boden meines Badezimmers wurde mir einmal viel klarer als zuvor: Das ist nicht mein Leben, hier gehöre ich nicht hin, dieser Mann, den ich liebe, wird nie ganz mir gehören. All die Streitereien, die Vorwürfe in der letzten Zeit hatten doch im Grunde nur eine Ursache: ich habe mich vernachlässigt gefühlt, zu wenig beachtet als Frau, als seine Frau, als seine junge Frau. Und - dort sitzend - konnte ich mir noch etwas eingestehen. Auch wenn ich mir selbst immer wieder das Gegenteil eingeredet habe: Diese Kinder bedeuten mir nichts, es interessiert mich nicht, wie es ihnen ergeht und ergangen ist, sie tun mir leid, aber mehr auch nicht. Freilich erwartet man von sich als Erwachsener Kindern gegenüber grundsätzlich Wohlwollen, Tatsache ist, dass ich sie nicht mag, dass ich sie vom ersten Augenblick an unsympathisch fand, auch wenn ich trotzdem sehr lange versucht habe, etwas Liebenswertes, Kindliches an ihnen zu entdecken. Ich weiß natürlich, dass sie durch die Umstände zu dem geworden sind, was sie sind, dass sie es schwer hatten, aber ich muss heute sagen: das ist nicht mein Problem. Vielleicht hätte ich, wenn ich mich bemüht hätte, Zugang zu ihnen finden können. Mir liegt nichts daran. Und ich bin nicht bereit, für sie auf irgendetwas zu verzichten.
Weißt Du, ich habe mich mit dieser Erkenntnis für einen kurzen Moment richtig stark gefühlt, erleichtert, befreit von einer Jahre alten Lüge, aber dann ist mir auch klar geworden, dass diese Lüge das Fundament unserer Beziehung war, dass ich gerade dabei bin, ihr die Grundlage zu entziehen. Diesen Mann gibt es nicht ohne seine Vergangenheit, es gibt ihn nicht ohne seine Kinder. Und selbst, wenn diese Kinder eines Tages in Amerika leben sollten und nur noch zu Weihnachten eine Postkarte schicken werden, werden in gewisser Hinsicht immer noch ihre Haare in meinem Badezimmer liegen.
Ich habe mir dann zwei Tage Zeit gelassen, um über alles noch einmal nachzudenken und mir meine Worte zurechtzulegen und habe dann Alex um ein Gespräch gebeten. Er hat sich meinen zwanzigminütigen Monolog schweigend angehört, zwischendurch genickt und sein Blick sagte mir, dass er all das längst gewusst hat.
Als ich fertig war und inzwischen völlig in Tränen aufgelöst, hat er mich in den Arm genommen und gesagt: Damit habe immer gerechnet, ich dachte nur, Du würdest viel früher gehen.
Ich bin noch am selben Abend mit dem Nötigsten abgehauen, zu einem Freund, wo ich erst mal zwei Wochen bleiben konnte. Mehr als einmal war ich kurz davor zurück zu laufen, jedes Wort zurückzunehmen. Stell Dir vor, ich habe sogar zeitweise geglaubt, die Kinder zu vermissen. Ich hörte mich Dinge sagen wie, dass Liebe doch stärker sei als alles andere, dass wir es doch irgendwie schaffen müssten, wenn wir beide nur wirklich wollten, dass ich lieber nur diesen kleinen Teil von ihm nehme, als ganz auf ihn zu verzichten. Ich wäre fast zu allem bereit gewesen, nur um diesen körperlichen Schmerz zu beenden, diese Leere, die sich anfühlt als hätte man nicht nur im Magen, sondern im ganzen Körper Hunger. Kennst Du diese Schwere, diese Schwäche, die einen regelrecht zu Boden zieht, wo ich mich sooft zusammengerollt habe wie ein Igel, hin und her gewiegt, wie um mich selbst zu trösten. Und die Tränen, die immer und überall anfingen zu fließen, bei der Arbeit, beim Einkaufen, immerzu, wie ein Überdruckventil. Ein Geruch, ein Buch, ein Lied, Erinnerungen, die einen anspringen wie ein Tier, die wie ein Schlag in die Magengrube sind, so dass man kurz innehalten muss, die Augen schließen, sich schütteln, bevor man weitermachen kann?
Und nach einigen Tagen, kam dann hinzu: Warum meldet er sich nicht, warum versucht er nicht noch mal mit mir zu reden, warum bittet er mich nicht zurück zu kommen?
Ist es ihm egal? Vermisst er mich denn nicht? Und die Selbstzweifel: hätte es eine andere Frau besser gekonnt als ich, hätte sie ihm die Partnerin sein können, die er gebraucht hätte, hätte sie den Kindern so etwas wie eine Mutter sein können. Bin ich zu egoistisch, zu unreif? Stelle ich zu hohe Ansprüche? Verliere ich meine große Liebe, weil ich zuviel verlangt habe?
Ob ich einmal eigene Kinder haben werde? Kann ich überhaupt Mutter sein, kann ich ein Kind lieben und annehmen, wie es ist? Oder werde ich immer nur an mich denken?
Kürzlich als ich im Fitnessstudio war, habe ich Alex mit den Kindern auf dem Fahrrad vorbei fahren sehen. Alle drei mit Fahrradhelm und Alex mit seiner grässlichen gelben "Physiklehrer-Jacke", die ich noch nie an ihm mochte. Die kann er ja jetzt wieder anziehen. Für einen Moment begann mein Herz schneller zu schlagen und meine Beine zitterten ein bisschen. Ich stellte mir vor, wie sie jetzt alle drei ihre Fahrräder in den Schuppen stellen und in das Haus gehen, in dem ich vor kurzem auch noch gewohnt habe. Es war Abendbrotzeit.
Und da war ich wieder froh, dass ich späterer nach Hause fahren kann, meine Tür hinter mir zu machen kann und alleine sein. Kein Kindergeruch, keine Flecken auf dem Tischtuch, kein Geschrei, kein Papa - keine Haare im Badezimmer.
Und wenn dann nur ganz kurze - ich habe mir meine nämlich endlich abschneiden lassen!!




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Eingereicht am 28. Juli 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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