Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Frauenfrust und ein Friseur

Von Andrea Wolter


Was machen frustige Frauen? Es gibt viele Möglichkeiten, eine davon ist ein Friseurbesuch. Vor einigen Wochen entschloss ich mich, mein Leben und vor allem mich selbst zu verändern. Nach einem Blick in den Spiegel griff ich zum Telefon und vereinbarte einen Termin beim Friseur. Obwohl ich mich als Notfall bezeichnete, musste ich noch einige Tage warten. Die Zeit bis dahin erschien mir endlos. Aber dann war der Tag gekommen. Voller Energie und Zuversicht betrete ich den Salon. Mein Friseur - nur Schwule sind gute Friseure - begrüßt mich mit einem Lächeln. Freundlich bietet er mir Platz und Kaffee an. Ich bestelle jedoch nur einen Aschenbecher, ein Schnaps zur Beruhigung wäre mir auch lieb gewesen. "Also, was darf es denn heute sein?" fragt Gerry. Ich atme noch einmal tief durch und höre mich sagen: "Alles ab und ich will meine Naturhaarfarbe zurück." Gerry fragt mich, wie meine Naturhaarfarbe aussieht. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, weil ich seit 20 Jahren meine Haare blondiere. Er wuschelt in meinen Haaransatz herum und murmelt etwas von 5,74 mahagoni-irgendwas und 6,63 dunkelaschblond. In diesem Augenblick sehe ich mich als Mauerblümchen auf einer Party sitzen. Das wird wohl grauenhaft aussehen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen und gebe tapfer mein o.k. Gerry sieht mich besorgt an und fragt, ob es einen Todesfall in der Familie gegeben hat oder ob ich hormonelle Probleme - Schwule kennen sich da selbstverständlich aus - habe. Ich schüttele nur meinen Kopf und erkläre ihm meine Wunschfrisur, in etwa so wie Demi Moore in Ghost. Etwas schockiert wendet er sich mit den Worten, die Haarfarbe mischen zu müssen, ab und geht in den Nebenraum. Von dort aus beobachtet er mich jedoch durch den Vorhang. Ich fürchte, der Ärmste macht sich die größten Sorgen. Jetzt kommt er mit der fertigen Farbe, legt mir einen stahlblauen Umhang um (blau stand mir noch nie und ich altere schlagartig um 10 Jahre) und beginnt, die Farbe aufzutragen. Währenddessen rauche ich meine erste Zigarette. Wir unterhalten uns über den neuesten Klatsch im Dorf und schließlich ist die Farbe aufgetragen. Gerry verabschiedet sich für 30 lange Minuten. Auf der Ablage liegen Zeitschriften aufgestapelt. Ich nehme die Erstbeste und fange an zu blättern. Nur Magersüchtige um die 18 mit schlicht unbezahlbaren Klamotten lächeln mir entgegen. Zwischendurch schaue ich in den Spiegel. Oh mein Gott, was habe ich getan! Ich muss wahnsinnig oder schlimmer sein. Nach weiteren drei Zigaretten erscheint Gerry und bittet mich zum Abspülen. Ich versuche mich dabei mit Atemübungen auf das Schlimmste vorzubereiten. Dann sitze ich wieder an meinem Platz und Gerry nimmt das Handtuch von meinem Kopf. Dunkle, sehr dunkle Haarsträhnen fallen mir ins Gesicht. Mir wäre es am liebsten, dort würden sich auch bleiben. Aber Gerry ist erbarmungslos, kämmt mir die Haare aus der Stirn und sieht eigentlich sehr zufrieden aus. Ich zünde mir die fünfte Zigarette an und ergebe mich meinem Schicksal. Gerry nimmt die Schere und beginnt mit dem Schneiden. Ich schließe die Augen und versuche, an etwas Schönes zu denken. Auf meinem gedanklichen Bild erscheinen jedoch nur braungebrannte, blonde, langhaarige Menschen. Ich öffne meine Augen und blicke in den Spiegel. Eine Fremde schaut mich an, es ist jedenfalls nicht Demi Moore. Das bin ich. Gerry besprüht alles mit einer geheimnisvollen Tinktur und föhnt dann die Haare mit Hilfe seiner Finger. Eine Bürste braucht er jedenfalls bei mir nicht mehr. Zigarette Nummer sechs ist jetzt fällig, erste Symptome einer Nikotinvergiftung machen sich bemerkbar. "Eine Riesenportion Haarwachs für das Finish", ruft Gerry begeistert. Und richtig, auch ich bin begeistert. Ich bin ein neuer Mensch, durch und durch. Die anderen Kunden im Salon nicken mir wohlwollend zu. Ich schwebe wie auf Wolken. Nachdem ich gezahlt habe - Mensch, ist das teuer - verlasse ich schwingenden Schrittes den Salon und laufe nach Hause. Ich bin wie neu, ganz verändert, genau wie ich es wollte.
Als Nächstes will ich mit dem Rauchen aufhören.




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Eingereicht am 02. Mai 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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