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Grenzen der mütterlichen Toleranz.

Von M. Schwirkmann


Ein Streifzug durch die Geschichte zeigt, dass gerade die Haartracht der Männer Rückschlüsse auf ihre gesellschaftliche Stellung oder auch ihre Weltanschauung zuließ.
Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns auch noch heute zu vorschnellen Urteilen hinreißen lassen, wenn besonders Jugendliche oder junge Männer durch ihre Haarfrisuren von der Norm abweichen.
Ich kann mich noch gut an Aussprüche meines Vaters erinnern, als ich in den 60-er Jahren langhaarige Jünglinge mit nach Hause brachte. "Der soll erst einmal sich die Haare vernünftig schneiden lassen! So ein ‚Revoluzzer' kommt mir nicht ins Haus!" Und ich höre meine entrüsteten Ausrufe: "Aber Papa, du kennst ihn doch gar nicht! Lern ihn erst mal kennen, dann kannst du dir so ein Urteil erlauben."
Lange Jahre habe ich dann versucht, nach dem Grundsatz zu leben "Beurteile nie Menschen vorschnell nach dem Äußeren.
Inzwischen bin ich Mutter eines 24-jährigen Jungen und ich kann mich gut an eine Zeit erinnern, als dieser meinen Grundsatz stark ins Wanken brachte.
Als Hendrik zur Welt kam war er gut proportioniert aber mit wenig Haaren. Das änderte sich erst als er ein Jahr alt war. Da bekam er plötzlich wunderschöne lange blonde Locken und ich höre immer noch den entzückten Ausruf der Leute: "Ach, was ist der Kleine niedlich!"
Mit drei Jahren sollte Hendrik in den Kindergarten und ich beschloss: "Jetzt müssen die Locken ab, schließlich soll er doch wie ein richtiger Junge aussehen."
Seine Patentante schmollte tagelang mit mir. Unter Protest erbat sie sich eine Locke, steckte sie unter das Glas ihres Lieblingsbildes von ihm, wo sie heute noch erstrahlt.
So gingen die Jahre dahin, bis ich eines Morgens meinen Dreizehnjährigen am Frühstückstisch genauer betrachtete. Die Haare waren zu lang, die Locken waren nicht mehr wieder gekommen und ich fand, mein Sohn sah unordentlich aus.
"Hendrik, du musst unbedingt zum Frisör. Schau doch mal in den Spiegel. So kannst du nicht mehr rumlaufen."
Diese Aufforderung wiederholte ich in der nächsten Zeit öfter, aber mein Sohn hatte die Fähigkeit, Dinge zu überhören, zur Perfektion entwickelt.
Meine Aufforderungen wurden massiver: "Was sollen denn die Leute denken!! Man muss sich ja schämen mit dir."
Hendrik wurde sauer: "Was sind denn das für Aussprüche! Wo bleibt deine Toleranz?"
Wo war sie? Sie war mir anscheinend über Nacht abhanden gekommen. Und das Schlimmste war, es fiel mir gar nicht auf.
Ich fuhr fort, meinen Sohn zu bedrängen und irgendwann hatte ich Erfolg.
Eines Mittags kam ich nach Hause. Auf dem Küchentisch lag eine lange blonde Haarsträhne, die an beiden Enden mit einem roten Schleifchen versehen war, anbei ein Zettel: "Mum, ich war beim Frisör, krieg keinen Schock."
Ich dachte mir nichts dabei und bekam einen Schock.
Mein Sohn war beim Frisör gewesen und trug jetzt stolz gar keine Haare.
Mir verschlug es die Sprache und ich heulte erst einmal.
Das Schlimmste für meinen Sohn war aber wohl, dass ich ihn mit den Skinheads in Verbindung brachte. Zwischen uns herrschte Funkstille. Außerdem bestand ich darauf, dass er ab sofort, wenn er mit mir unterwegs war, eine Kappe trug.
Ich hatte ihn wohl sehr enttäuscht.
Es dauerte einige Zeit, bis ich zu meinem Grundsatz zurück fand.
Schließlich konnte ich ihm aber liebevoll über seinen kahlen Kopf streicheln, denn ich wusste, dieser war nicht Ausdruck seiner Gesinnung; und heute mit 24 Jahren trägt er natürlich wieder Haare.



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