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Haar um Haar.

Von Nian


Mit dem Wasser rannen plötzlich dunkelrote Haarsträhnen in die Badewanne und ringelten sich wie ein Nest dürrer Würmer um den metallenen Abfluss. Mit jedem Schwenken des Brausekopfes wurden es mehr - dunkel und wirbelnd zwischen den Fetzen von Shampooschaum, bis es ihr zuviel wurde und sie entsetzt und mit zitternder Hand auf den Wasserstopp drückte. Unvermittelt musste sie ein heftiges Würgen im Hals unterdrücken.
Er hatte es getan.
Auf dem Boden kniend, das Gesicht kalkweiß, begriff sie die Bedeutung dessen, was dort tot und verloren in der Wanne lag und unfreiwillig traten Tränen in ihre Augen.
Es war im ersten Moment keine Enttäuschung, keine Furcht, die sie zum Weinen brachte, den nassen Kopf gesenkt, Wasser und Schaumreste hinter den Ohren und im Kragen ihres Leinenhemdes.
Es war heller Zorn.
Sie schaffte es an den Spiegel an der Wand, sah ein Gespenst mit weit aufgerissenen Augen ihr entgegenstarren, begriff erst in der übernächsten Sekunde, dass sie es war, die dort mit tropfnassem Kopf stand und sah, was er an ihr angerichtet hatte.
Überall, vor allem an den Schläfen und der Stirn hatten sich dicke Haarbüschel gelöst, die nun langsam der gnadenlosen Schwerkraft erlagen und auf die Schultern herabrutschten, um traurig ihren Hals zu berühren und sich auf den Boden zu verabschieden.
Das Badezimmer war unvermittelt zu klein für den Aufruhr, der in ihr emporkochte und ihre Finger zum Zucken brachte.
Sie knallte den Duschschlauch in die Wanne, fegte mit einem Tritt den Läufer, auf dem sie zuvor gekniet hatte, unters Waschbecken und stürmte hinaus auf den engen Flur, der mit Umzugkartons, einer Sackkarre und unzähligen Plastikbeuteln mit Bettwäsche, Gardinen und ausgemusterter Wintergarderobe vollgestellt war.
Farbgeruch hing in der Luft. Im Wohnzimmer, der Startzone, standen Eimer mit Innenfarbe auf ausgespannter Malerfolie herum. Die Wände ringsum waren nikotingelb - ein Andenken an den kettenrauchenden Vormieter, der vor zwei Monaten ausgezogen oder gestorben war.
Ein paar Probestriche mit Varianten von Hellblau bis Cremefarben waren kreuz und quer auf die alte Raufasertapete gepinselt. Unter einer bloßen Glühbirne am Draht stand die gipsverschmierte Bockleiter, die er ihr nach einigem Hin und Her gestern Abend ausgeliehen hatte. Er hatte sie so widerstrebend herausgerückt, wie er sie sich eine eigene Wohnung und ein eigenes Leben hatte suchen lassen.
"Du wirst nicht weit kommen ohne mich...", damit hatte er sich von ihr verabschiedet, entschlossen, ihr nicht eine "Gute Nacht" zu wünschen, genauso wenig, wie er daran dachte, ihr die Schulden auf dem gemeinsamen Konto zurückzuzahlen. Sie hatte gewusst, dass seine Zugeständnisse, die sie ihm abgepresst hatte, nicht von Dauer sein konnten. Sein Ego stand ihm im Weg und hinderte ihn daran, sie einfach ziehen zu lassen. Es war eine Frage der Stabilität. Seit sie gegangen war, war seine Welt aus den Fugen.
Dieses Schwein.
Sie zog eine Wasserspur hinter sich her, schwenkte lose Haarsträhnen herum, als sie im allgemeinen Durcheinander von Kisten und Kästen nach ihrer Lederjacke und dem Handy darin zu suchen begann.
Sie wagte es nicht, sich die nassen Haare aus dem Gesicht zu streichen - sie wollte nicht feststellen müssen, wie viel davon noch an ihrer Hand kleben bleiben würden.
"Verdammter Mistkerl", murmelte sie, wurde hektischer, durchwühlte den Stapel loser Kleidungsstücke, die sie am Morgen auf der Suche nach einem passenden Hemd aus den Kartons geworfen hatte.
Da war sie. Ihre Jacke. Ihr Handy.
Er war nach dem ersten Signal in der Leitung.
"Hallo Liebes."
Sie hasste dieses Wort.
Sie hatte ihn mehr als einmal mit einer einmaligen-Angelegenheit-es-kommt-nie-wieder-vor-ich-liebe-dich-Schlampe auf dem Schreibtisch ihres eigenen Arbeitszimmers erwischt und mittlerweile genügte ein Wort von ihm, um ihr Innerstes nach außen zu kehren und seine hässlichste Seite aller Welt zu zeigen.
"Du kommst damit nicht durch...", schnitt sie ihn ab und wusste, dass eine tiefe Falte auf ihrer Stirn stand. Genau zwischen den Augen. Hass, der sich wie mit einem Messer in sie einkerbte.
"Das hab ich schon..."
Er war ruhig und wusste es anscheinend besser.
"Was ist es... was hast du mir gegeben und wie...?", sie schrie ihn an, obwohl ihr bei dem Gedanke, dass er sie auf so intime Weise, vielleicht sogar endgültig vereinnahmt hatte, übel wurde und ihr der Speichel in den Mundwinkeln schaumig wurde.
"Gestern Abend. Die halbe Flasche Wein, die du ausgetrunken hast. Cabernet Souvignon - Ein halbe Dosis. Eine Kostprobe. Mehr nicht. Und nicht weniger."
Sie kannte die Antwort, bevor sie die Frage stellte, die sie so verabscheute.
"Was willst du?"
"Dich." Er begnügte sich tatsächlich damit, schlicht zu sein.
Natürlich war es unannehmbar. Sie war keine Frau, die zu Kreuze kroch, wenn es hart auf hart kam. Sie würde seine Herausforderung annehmen. Etwas anderes kam nicht in Frage.
"Das bekommst du zurück, das schwöre ich dir...!"
"Jederzeit, Liebes. Du weißt doch, wir sind beide ohne den anderen nicht viel wert....!"
Sie unterbrach die Verbindung.
Das Handy war mittlerweile glitschig von Wasser und aufgelöstem Shampoo. Eine dunkelrote Haarsträhne, dick wie ihr kleiner Finger war in einer Spalte an der Oberschale hängen geblieben und baumelte wie erhängt von ihrer Hand.
Irgendwo in ihren Habseligkeiten steckte der Beutel mit dem Langhaarschneider. Sie beschloss mit dem Rest an Haarschopf, den sein Wein ihr gerade noch gelassen hatte, kurzen Prozess zu machen und selbst zu beenden, was er angefangen hatte. So weit konnte sie gehen.
Um die Ecke, vielleicht zweihundert Meter von ihrer neuen Wohnung entfernt befand sich ein Einkaufcenter mit einer großen Botanikabteilung.
Das eine oder andere würde sich dort schon finden lassen, um ihn an seine Grenzen zu erinnern. Von harmlosem Pflanzenschutz bis zu konsequent wirkenden Alkaloiden.
Er hat Recht, dachte sie, während sie sich bedächtig vor dem Badezimmerspiegel eine Glatze schor.
Sie waren beide ohne den anderen nicht viel wert.



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