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Ewigkeit

Von Einheitstochter


Sein Blick ruht starr auf ihrem Handrücken, die zarten Konturen ihrer Finger, die blasse Haut wie Marmor. Die Nacht ist kühl und ein leichter Wind trägt den Geruch von Salzwasser und Fisch zu ihm herüber. er sitzt schon so lange unbewegt an der spröden Hauswand, dass er sich wie ein Teil der Schatten fühlt, die ihn umgeben, verhüllen... nur das schwache Glimmen seiner Zigarette ist zu erkennen, ein leuchtendes Auge aus der Finsternis. Er genießt den Geschmack des beißenden Rauches, der sich in seinen Lungen ausbreitet, beobachtet mit halb geschlossenen Augen die feinen, weißen Wirbel, die sich in den schwarzen Nachthimmel hinauf schrauben. Der Lärm der Großstadt ist zu einem gleichmäßigen Schnurren geworden, wie ein mächtiges Raubtier liegt sie ausgestreckt hinter den schwarzen Klippen, mit ihren leuchtenden Reklameschildern, den Bars, aus deren Türen unentwegt eine lachende, schwankende Masse menschlicher Existenzen hinaus strömt in die engen, schmutzigen Straßen, mit ihren brüllenden Autos, die sich unentwegt die ewigen Serpentinen der Gassen entlang drücken, hupend, stinkend - dazwischen streunende Hunde, die Wölfe unserer Zeit. Fletschend und knurrend, unter ihnen die, die ohne Heimat sind, ausgestreckt auf alten Zeitungen, in schmutzigen nach Urin stinkenden Ecken zusammengerollt, auf die Morgendämmerung wartend, um ihre wenigen Habseligkeiten zusammen zu raffen und einen weiteren Tag voller Hunger und Angst bis zum Anbruch der Dunkelheit zu überstehen.
Doch all das interessiert ihn nicht, nur sie ist noch von Bedeutung, dieses scheue Wesen mit den großen, braunen Augen, wie sie schüchtern zu Boden schaut wenn sich ihre Blicke treffen, ihre entzückenden, roten Lippen, die beim Lächeln ihre kleinen, weißen Zähne entblößen und ihr Haar - dieses volle, lockige Haar, das über ihre weißen Schultern fällt, so wunderschön, so... vollkommen. Doch es war ihr Geruch, der ihn angelockt hatte, er war durch die ganze Stadt geirrt, dem feinen Band folgend, das sich durch die Gassen zog, so deutlich, als könne er ihn sehen ihren süßlichen Geruch, wie Pfirsichblüten, wie frische Milch. Stunden hatte er gebraucht sie zu finden, zwischen all den schwitzenden Körpern der Salsatänzer, den jugendlichen Liebespaaren, die eng umschlungen über den vollen Boulevard flanierten, den Straßenmusikanten und staunenden Touristen. Doch da war sie, weit außerhalb der Stadtgrenze sitzt sie und wartet... wartet auf ihren jungen Liebhaber mit den schulterlangen schwarzen Haaren, dem weißen Hemd und den spitzen Schuhen. Ja, er war attraktiv, war stets bedacht, seine Perle nicht aus den Augen zu lassen, den kräftigen Arm um ihre zarte Taille gelegt. Drei lange Nächte hatte er die beiden beobachtet, hatte den stillen Hass der in ihm aufstieg unterdrückt, denn er wusste, dass er triumphieren würde... wie immer.
Ob sie weinen würde, wenn sie wüsste, dass ihr geliebter - wie hieß er doch? André, ja, dass ihr André leblos auf dem steinigen Boden des Pinienwäldchens liegt, mit dem Gesicht nach unten, kalt. Sie hätte bestimmt gelacht, wenn sie gesehen hätte, wie unmännlich er sich in seinen letzten Minuten benommen hat, er hat gebettelt, gefleht, ihm alles geboten, was er hat, sein Geld, seinen roten Mustang, noch fast ganz neu... doch das interessiert ihn nicht, er könnte alles haben, wen er wollte, und jetzt will er sie. Es war ein befriedigendes Gefühl zu wissen, dass das Letzte, was dieser Lackaffe gehört hat, bevor sich seine Zähne in das warme, zuckende Fleisch gebohrt hatten, sein Lachen gewesen war. Er drückt lächelnd seine Zigarette auf und steht auf, langsam, ohne, dass seine Bewegungen seine Anwesenheit verraten hätten. Doch selbst wenn, es gleichgültig. Das Strandcafé ist leer, nur noch sie und er, verschmolzen mit den Schatten der Nacht, alleine. Er streicht sich die Haarsträhnen aus der Stirn, geht auf sie zu, eine Rose in der Hand.
Alles läuft so, wie er es sich vorgestellt hatte, fast zu einfach. Er spürt die Wärme ihrer Haut, spürt den Druck ihrer Hände. Ihr Geruch berauscht ihn, er ist so stark, so betörend, er kann kaum an sich halten... er hört ihren leisen Schritt neben sich, so gleichmäßig, so... beruhigend. Er fühlt sich geborgen, weiß, dass er sie für immer besitzen will! Für immer... er bleibt stehen und dreht sich zu ihr, ihre rosigen Wangen, ihre braunen Rehaugen, sie vertraut ihm, war bereit, ihm alles zu glauben. Es spürt einen Druck auf seiner Brust, seine Miene verfinstert sich. Ist sie nicht wie all die anderen Frauen, wie all die Huren, die sich ihm Nacht für Nacht in den Schoß werfen. "André musste noch für einen Freund einspringen, er ist krank geworden und heute ist so viel los in der Bar, er schickt mich, dich zu holen."
Er hätte ihr alles erzählen können, sie hätte es geglaubt. Er kann ihren Anblick nicht mehr ertragen, ihr volles Haar, die Schatten die ihr feines Gesicht verhüllen - in ihrer Hand seine Rose, rot wie Blut. Sein Griff um ihre Arme wird fester, er kann die Angst in ihren Augen sehen... doch sie schreit nicht, wehrt sich nicht, nur ein leiser Seufzer, dann Stille. Er lässt von ihr ab, hält er ihren schlaffen Körper noch für einige Augenblicke umklammert, atmet schwer. Sein Herz, er spürt es schlagen, seit so langer Zeit endlich wieder schlagen. Ein dumpfer Schlag als ihr lebloser Körper in den Staub der Straße fällt, er sieht sie nicht mehr an, alles tote bereitet ihm Ekel. Er hat ihr seinen Moment der Ewigkeit geschenkt, einige schwere, langsame Schritte, bis ihn die Nacht verschluckt, wieder auf der Suche, auf der Suche nach ihr, mit der er seine Ewigkeit teilen wird.



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