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Schnee
Von Einheitstochter
Schnee... im stillen Reigen tanzen die Flocken zu Boden, fallen lautlos durch
die kalte Winterluft. Kein Laut ist zu hören, die Stille ist so
undurchdringlich, dass sie schmerzt. Der Himmel so weiß wie die verschneiten
Wiesen, verschmelzen an ihren Rändern miteinander, so dass man sich im
weißen Nichts schwebend im Unendlichen verliert. Jeder Schritt kostet Kraft,
Kraft die der geschundene Körper nicht mehr aufbringen kann. Die Füße werden
schwer wie Blei, der Schnee umschließt sie gierig, hält sie mit tausend
Armen umklammert. Nur nicht straucheln, nur nicht fallen, sonst bist du
verloren. Die Hände an die Brust gepresst, einen Schritt vor den anderen,
einen Schritt vor den anderen. Die Anstrengung lässt ihn zittern, die Augen
starr aufs Ziel gerichtet, ein weißer Punkt im weißen Nichts - man darf sein
Ziel nicht aus den Augen lassen, sonst wird einen die Sinnlosigkeit
überrollen, erdrücken, begraben wie eine Lawine. Jeder Schritt bringt dich
näher ans Leben und weiter weg vom Tod. Das heiße Blut rinnt zwischen den
Fingern hindurch, willst es halten, kannst es nicht, tropft zu Boden in den
weißen Schnee. Dünner Rinnsal des Lebens, Zeugnis des Todes, eine Spur,
leuchtend, sinnlos. Die, die dich suchen, finden dich auch so und die, die du
suchst, kannst du nicht erreichen - doch du musst, die Hoffnung mit den Händen
schützen, dass sie nicht erlischt wie eine flackernde Kerzenflamme. Wie weit
sind sie entfernt? Sind sie schon auf deiner Spur? Kein Blick zurück, keine
kurze Rast, musst weiter laufen, Schritt um Schritt. Der Atmen geht
schwerer, musst weiter laufen, dem Tod entwischen, dem Leben entgegen! Die
Kugel muss noch in der Brust stecken, das Schlüsselbein hat ihre Wucht
gebremst. Die Knöchel weiß vor Anstrengung, den Schmerz zurück pressen in
die Wunde, den Schusskanal. Hat Hundegebell schon die Stille zerrissen?
Waren das Männerstimmen die riefen? Schau dich nicht um, lauf weiter. Schnee
in den Augen, Kälte im Herzen, darfst sie nicht schließen, das Ziel nicht
verlieren. Ist es Blut das du schmeckst? Spuck es aus, es ist die
Anstrengung. Lauf. Der Schnee nimmt dir den Blick, es wird dunkler. Alles
grau um dich, undifferenziert, weiterhin Schneefall. Die Haut so kalt, so
kalt und taub, die Lippen gesprungen, an den Mundwinkeln trocknet Blut.
Jeder Atemzug schmerzt, musst weiter laufen, sie kriegen dich sonst. Haben
dich schon fast, nur ein Herzschlag trennt sie von dir. Es ist so schwer,
der Schnee so weich, die Kräfte werden wiederkehren, musst nur kurz
ausruhen. Kurz ausruhen.
Wie Federbetten so weich, nur ein wenig ausruhen. Wärme durchströmt die
Glieder, die Hand sinkt in den Schoß, blutverkrustet, starr. Nur kurz die
Augen schließen, für einen Moment nur, der Atmen geht stockend, kaum merklich hebt sich die Brust. Keine Schmerzen mehr, blas aus die Flamme, Dunkelheit, warme, tröstliche Dunkelheit hüllt dich ein. Stille...Schlaf...Tod.
Am Morgen fand man ihn, nur zehn Schritte von dem rettenden Haus entfernt,
er muss es in der Dunkelheit nicht gesehen haben. Der starke Blutverlust und
die Kälte - er hatte keine Chance. Er war ganz von Schnee bedeckt und
gekrümmt wie ein Säugling, er wirkte, als würde er schlafen, fast meinte
man, er würde lächeln.