Fußball des Lebens
© Jay M. Wolf
Mein Lieblingsbäcker hat seit neuestem ein Fußballbrot im Sortiment. Na ja, es ist ja keine richtig runde Sache, aber wenigstens fast eine Halbkugel. Und die sechseckigen "Leder"stücke sind so schön modelliert und liebevoll mit geschroteten Körnern bestäubt, das zeigt wahre Hingabe an einen einzigartigen Sport. Ja, aber der Sport steht ja scheinbar unter Beschuss. Jedenfalls sitze ich gerade gestern in der U-Bahn und mein Lieblingsfußballbrot duftet so verführerisch in meinem Einkaufsbeutel, dass ich
die ganze Zeit an nichts anderes denken kann. Da springt mir plötzlich aus der Zeitung des Lodenmantelträgers auf der Bank gegenüber die Schlagzeile "Sport als säkulare Religion?" ins Auge. Nicht, dass ich gleich wusste, worum es überhaupt geht, aber wozu stehen denn an jeder Ecke Wörterbücher und hilfreiche Mitmenschen herum. Und vom "Brot des Lebens" konnte ich noch eine Zeile erkennen, bevor der Lodenmantel sich zur Tür begab. Eigentlich hätte mich das ja gar nicht interessieren müssen,
aber diese Brotandeutung hat mich doch gewurmt, weil ich das Gefühl hatte, jemand will mir mein Lieblingsbrot madig machen. Also hab ich mich mal schlau gemacht: Da wirft uns wohl jemand vor, das Stadion wär jetzt quasi unsere Kirche. So etwas Absurdes! Oder auch nicht? Ich kann jedenfalls aus meiner Erfahrung heraus sagen, dass der Fußball allen ein lebenswertes Leben bietet, hier hat jeder seinen Platz. Beim Spiel fahren natürlich die Gefühle Achterbahn, aber du weißt trotzdem immer, wir halten zusammen und
alles wird gut. Und darum meine ich, das Recht auf Fußball gehört ins Grundgesetz geschrieben, und zwar ausdrücklich, nicht nur so zwischen den Zeilen wie bisher.
Es ist nämlich so, ich bin ja schon immer von der Klugheit und Weitsicht großer Staatsmänner ausgegangen. Aber erst seit ich Fußball für mein Leben entdeckt habe, bin ich felsenfest überzeugt, nur daran haben die amerikanischen Gründerväter gedacht, als sie von "pursuit of happiness" sprachen! Das wird jeder verstehen, der eine Dauerkarte für die Fankurve hat, denn erst hier gibt es die wahre Glückseligkeit. Und nicht etwa in der VIP-Lounge, nein, die Herrschaften sind doch zu echten Gefühlen gar nicht
mehr fähig. Sie stellen nur einen blassen Abklatsch wahrer Leidenschaft dar, so zahm und blutleer. Wie kann es einen bloß auf dem Sitz halten, wenn sich die Dramatik auf dem Rasen erbarmungslos zuspitzt? Und nie werden solche Leute erleben, wie la Ola durch die Menge wogt, dich emporreißt und du dich als Teil des großen Plans fühlst. Fußball ist unser Leben! Die Arena gehört uns! Hier bin ich Mensch, hier will ich sein, sagte das nicht dieser bekannte deutsche Dichter, ich musste das mal in der Schule auswendig
lernen. Jetzt ist mir klar, dass auch er nur an Fußball gedacht haben kann. Und natürlich an dieses monumentale Gemeinschaftsgefühl. Wie soll ich das nur erklären? Von Mann zu Mann gibt es einfach eine Verbindung ohne Umwege, da fühlt man sich sofort verstanden und muss keine Grundsatzerklärung abgeben, wenn man von einer Flanke redet oder sich über den Libero aufregt.
Eigentlich ist ja das Wetter immer eine unübertroffene Gelegenheit, mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Aber wir Fans, wozu brauchen wir noch das Wetter und andere Nebensächlichkeiten? Wenn man über Fußball reden kann, braucht man keine Nebelbänke mehr, um im Busnachbarn eine verwandte Seele zu entdecken. Und deshalb lasse ich die Kritiker und Spötter jetzt im Abseits stehen und mache es zu meinem Credo: Egal in welcher Form, Fußball ist einfach immer eine runde Sache!
Eingereicht am 30. November 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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