Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Pretty Belinda

Eine Kurzgeschichte von Beatrice Soller


Belinda stand auf einer Leiter zwischen den hohen Regalen der Universitätsbibliothek, um den liegen gebliebenen Stapel Bücher einzuordnen. Sie gehörte nach über fünf Jahren bereits zum verstaubten Inventar dieser Uni-Einrichtung und außerdem zu der Kategorie Frau, die Männer als unscheinbar einstufen würden. Hier in der Bibliothek kannte sie jeder, etwa so wie man einen Computer kannte, der stumm auf dem Tisch stand und der, wenn man ihn betätigte, willig Auskunft gab. Belinda hatte allerdings einen riesengroßen Vorteil, denn sie stand nicht nur rum, sondern war in der Lage jederzeit die benötigten Bücher rauszusuchen und die Bibliotheksbesucher fachkundig zu beraten.
Dies war allerdings nur ein Grund mehr, dass die junge Frau von den Studenten und Dozenten schamlos ausgenutzt wurde.
Belindas Überstunden bewegten sich in einem nicht mehr zu überblickenden Bereich. Besonders, für ihren heimlichen Schwarm Dr. Markus Bender, machte sie oft endlose Zusatzstunden. Denn meistens war der junge gut aussehende Dozent für Ägyptologie, so in seine Bücher vertieft, dass er die Zeit völlig vergaß.
Belinda nahm das klaglos hin, nur ab und zu, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu.
Meistens bemerkte er nicht einmal, dass die Bibliothek schon lange geschlossen hatte. Fiel es ihm doch ab und zu mal auf, dass nur noch er alleine übrig geblieben war, lächelte er sie freundlich an und bedankte sich für ihr Verständnis.
Das waren Belindas Highlights, davon zehrte sie tagelang und nahm seinen zerstreuten freundlichen Blick, nachts mit in ihre Träume.
An manchem freien Samstag half sie in dem Schuhgeschäft, bei der alten Frau Hefner aus. Es lag direkt neben dem Haus in dem sich auch ihre Wohnung befand. Zwar erhielt sie als Bezahlung höchstens mal ein paar altmodische Pantoffeln, oder Socken, aber sie sah Markus des Öfteren am Schaufenster vorbeigehen. An diesem Samstag verirrte er sich sogar in den Laden. Belindas Augen, hinter der dicken schwarzen Hornbrille, blitzten vor Aufregung als sie ihn bediente. Er kaufte auch wirklich ein paar Schuhe. Belinda allerdings war, als er den Laden wieder verlassen hatte, den Tränen nahe. Er hatte sie nicht erkannt. Niedergedrückt räumte sie die verstreuten Schuhkartons auf. Ihre Stimmung fiel sogar der alten Frau Hefner auf, die sonst nicht gerade vor Anteilnahme strotzte. "Sie arbeiten zu viel Kindchen, gehen sie mal ein bisschen Spazieren oder kaufen sie sich was Schönes!" Belinda zog ihre mausgraue Tweedjacke, ein Erbstück ihrer verstorbenen Mutter, an und flüchtete wie gehetzt aus dem Laden. Sie war höchstens ein paar Meter gelaufen, als sie abrupt umdrehte. "Ach was, sei nicht so eine Mimose, Du weißt doch selbst, dass sich Markus Bender nichts aus dir macht. Jetzt hast du wegen so bescheuerten Backfischallüren, die arme Frau Hefner mit der ganzen Arbeit allein gelassen."
Sie war gerade dabei den Laden zu betreten, als ihr auffiel, dass es sich hierbei nicht um das Schuhgeschäft, sondern einen Friseurladen handelte. Eine junge wunderschöne blonde Dame nahm ihr mit sicheren Bewegungen die Jacke ab und führte sie zu einem bequemen Stuhl. "Ich heiße Eva und freue mich, dass sie endlich gekommen sind!"
"Wieso endlich?", verständnislos verfolgte Belinda, wie Eva ihr den Umhang umlegte und ihr die wuchtige Brille von der kleinen Stupsnase zog. Belinda wollte schon protestieren, denn ohne ihre Augengläser konnte sie kaum was erkennen, aber Eva beruhigte sie: "Momentan gibt es sowieso nichts zu sehen!" Wo, in aller Welt war sie gelandet, hier müsste doch der Schuhladen sein, den sie gerade verlassen hatte.
Eva öffnete bereits Belindas streng hochgesteckte Haare, so dass sie ihr bis über die Schultern fielen. Mit leisen, rätselhaften Worten erklärte sie ihr, das sie jetzt einen tollen Schnitt bekommen würde und anschließend eine Dauerwelle und eine Tönung. "Bald werden Sie so aussehen, wie es vorgesehen war!" Trotz all der sonderbaren Redensarten entspannte sich Belinda allmählich und fühlte sich wie in einem ihrer Träume gefangen.
Es war ruhig im Salon, komisch war nur, dass sie die einzige Kundin im Laden war.
Die leise angenehme Musik und der Duft nach Rosen und Maiglöckchen, erinnerte sie an ihre Großmutter. Seit sie alleine auf der Welt war hatte sie sich nicht mehr so entspannt gefühlt. Eva hantierte mit der Schere und dem Kamm und sprach leise von Reisen und Freunden. "Auch Ihr Freund wird auf Sie warten!" Belinda sah sich in den Armen von Markus, wie er ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht blies. Sie wusste dass sie träumte, aber so real war ihr das noch nie vorgekommen.
"Träumen Sie nur weiter Belinda und lassen Sie sich einfach verwöhnen, Sie haben es verdient."
"Sie kennen mich", verwundert blickte Belinda auf die Umrisse der jungen Friseuse, "ich war doch noch nie bei einem Friseur? Haben wir uns schon mal gesehen?"
Eva lächelte sie an: "Entspannen Sie sich einfach."
Belinda wurde richtig schläfrig, aber sie vertraute den beruhigenden und fachmännischen Händen ihrer mysteriösen Friseurin. Strähne um Strähne fiel der Schere zum Opfer. Die Dauerwellwickler wurden in die Haare gedreht und während die Flüssigkeit einwirkte, bekam Belinda eine wohlriechende Gesichtsmaske verpasst. Sie spürte, wie ihre Hände in Kräuteressenzen getaucht und anschließend manikürt wurden.
"Jetzt gibt es noch ein paar Farbakzente für das Haar, viel müssen wir da nicht tun, denn diese kupferblonde Farbe ist wunderschön." "Seit wann habe ich kupferblonde Haare?", fragte sich Belinda. "Sie waren doch stumpf und widerborstig."
Inzwischen war ihr, als wäre sie schon stundenlang auf diesem Stuhl gesessen. Aber Eva erzählte ihr lustige Geschichten und ging auf ihre Träume ein, als ob sie sich schon ein Leben lang kennen würden. Eva ermutigte sie: "Verreisen Sie doch einfach mit dem Mann Ihrer Träume"
Belinda lachte: "Ganz richtig der Mann meiner Träume! Im realen Leben weiß er nicht mal dass ich existiere!". Sie erzählte ihr von dem Job in der Bibliothek. "Ich glaube dort halten mich alle für einen Teil der Einrichtung, oder für ein Fossil, abgelegt unter dem Buchstaben ‚U' unauffällig nur bei Bedarf hervorzuholen."
Eva lachte, "Sie haben ja richtig Humor, Sie werden schon sehen, bald ändert sich Ihr Leben und Sie werden glücklich wie nie zuvor. Sprechen Sie Ihren Markus heute Abend doch einfach mal an, Sie werden staunen, was alles passieren kann.
"Niemals, nie, stotterte Belinda. Er sieht aus wie, na wie Richard Gere und hält mich höchstens für eine Büchersuchmaschine, der würde mich doch glatt für verrückt erklären und dann wären alle meine Träume zerstört und er würde vielleicht nicht mehr in die Bibliothek kommen."
Eva hörte ihr lächelnd zu, während sie die letzten Locken zurechtzupfte, "Glauben Sie einfach an sich Belinda, dann wird alles gut."
Belinda fasste sich erschrocken an den Mund, sie konnte sich nicht erinnern jemals so mitteilsam gewesen zu sein. Sie versuchte im Spiegel ihr und Evas Gesicht zu erkennen, aber wie immer konnte sie ohne ihre Brille nur verschwommene Konturen erkennen.
"Ich brauche meine Brille!"
Evas schmeichelnde Stimme beruhigte sie. "Gleich werden Sie sehen was wir vollbracht haben. Allerdings sollten Sie sich auch mal ein paar hübsche Kleidungsstücke zulegen, wäre doch schade wenn Ihr hübsches Gesicht und die tolle Frisur nicht auch ein tolles Outfit bekämen. Aber ich denke darauf werden Sie bald selber kommen."
Endlich drückte ihr Eva die Brille in die Hand, aber Belinda fasste so ungeschickt danach, dass sie zu Boden fiel. Instinktiv bückte sie sich reflexartig tief zum Boden, in der Hoffnung sie doch noch aufzufangen zu können. Aber sie hatte keine Chance, die Gläser zerbrachen auf dem Steinboden in tausend winzige facettenartige Stücke. Ein kurzer schmerzhafter Stich in beiden Augen ließ sie hochschnellen. Erschrocken schrie sie auf und rieb sie sich die Augen, hatte sie einige Splitter abbekommen?
Sie sah Eva an, wieso konnte sie diese plötzlich mit bloßem Auge erkennen? Ihr Blick fiel in den großen Spiegel, sie sah Eva und außerdem ein bildhübsches Mädchen. Diese junge fremde Frau mit der schulterlangen, rotgelockten Haarmähne, blickte sie fragend und erstaunt aus großen grünblauen Augen an. Durch die niedliche Stupsnase und vollen herzförmigen Lippen, glaubte sie ein Gemälde von Monet vor sich zu haben. "Wer ist das?"
Eva lachte: "Das bist du Belinda!" In diesem Moment fiel ihr nicht einmal auf, dass Eva sie duzte.
Eva zog sie sanft weg, um sie von ihrem Spiegelbild loszureißen: "Sieh nie zu lange in einen Spiegel, denn es bleibt immer ein kleines Stück von einem zurück", orakelte sie lächelnd und half ihr in die mausgraue Tweedjacke.
"Denk daran und kauf dir ein paar schöne Klamotten, bevor du in die Bibliothek gehst."
Sie hielt ihr die Türe des Salons auf, Belinda war noch immer völlig durcheinander, da stimmte doch was nicht, sicher würde sie gleich in ihrem Bett aufwachen und feststellen, dass dies hier ein Traum war.
Als sie ein paar Schritte in Richtung ihrer Wohnung gegangen war, fiel ihr auf, dass sie völlig vergessen hatte zu bezahlen. Sie lief zurück und stand wie angewurzelt vor Frau Hefners Schuhladen. Wo, war der Friseursalon? Sie lief die Häuserreihe rauf und runter, aber es gab nur den Laden von Frau Hefner. Belinda blieb atemlos vor dem Fenster stehen, was passierte hierß Die alte Frau Hefner dekorierte gerade ihr altmodisches Schaufenster mit hausbackenen Schuhen. Belinda klopfte an die Scheibe und winkte ihr zu. Doch die alte Frau sah sie nur verständnislos an, drehte ihr den Rücken zu und befasste sich weiter mit ihrer Deko. Es war so, als hätte sie Belinda gar nicht erkannt. Als Belinda wieder das fremde neue Gesicht im Spiegelbild des Ladenfensters sah, wollte sie aus alter Gewohnheit ihre Brille zurechtrücken. Erschrocken und erleichtert bemerkte sie, dass sie nun wirklich auch ohne die dicken Augengläser sehen konnte. Nun verstand sie, warum keine Resonanz von Frau Hefner kam. Sie hatte sie überhaupt nicht erkennen können. Was war denn nun wirklich mit ihr geschehen? Wie konnte eine Sehschwäche von sieben Dioptrien einfach mal so eben verschwinden? Geschäfte plötzlich vorhanden und dann wieder weg sein, als hätten sie sich in Luft aufgelöst? Ein völlig unerfüllbarer Traum Wirklichkeit werden?
Ihr war als hörte sie Evas leises Lachen: "Glaube einfach daran", doch als sie sich umdrehte war niemand da.
Was war geschehen? Ihr war als hätte sich alles verändert. Doch sie hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Sie wollte Evas Rat beherzigen und sich ein paar neue Sachen auf dem Weg in die Bibliothek kaufen.
Dr. Markus Bender wartete bereits vor der Bibliothek, als ein junges hübsches Mädchen angelaufen kam und atemlos die Türe aufsperrte. "Ich gebe Ihnen gleich Ihre Bücher, die sie gestern geordert haben, Herr Doktor. Außerdem habe ich noch eine ganz seltene Abhandlung über Ihr neues Thema gefunden. Tut mir leid, dass sie warten mussten, aber heute ist einfach der Tag der Wunder."
Er sah sie erstaunt und interessiert an, eine reizende junge Frau. "Ein wunderbarer Tag, meinen Sie. Kennen wir uns denn, sind Sie neu hier?"
Belinda lachte, "Nein, ich war nur beim Friseur." Markus musterte sie eingehend und was er sah gefiel ihm immer besser, so stellte er sich seine Traumfrau vor. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, sie schon einmal hier gesehen zu haben. "Vielleicht verraten Sie mir Ihren Namen, da Sie meinen bereits wissen sind Sie mir ja ein gutes Stück voraus."
"Aber Herr Doktor, ich bin es doch Belinda Sommer, die Bibliothekarin, erkennen Sie mich wirklich nicht?"
Markus suchte in seiner Erinnerung nach dem Bild des grauen Bibliothekmäuschens mit schwarzer Hornbrille und strähnigen zurückgesteckten Haaren, das ihn immer devot bediente.
Nein, er glaubte nicht an Cinderella, aber egal es war wirklich originell von ihr zu sagen, sie käme gerade vom Friseur.
Krampfhaft überlegte er, wie er es anstellen könnte, damit sie heute Abend mit ihm zum Essen gehen würde. Während sie gemeinsam die Bibliothek betraten, hatten sich bereits mehrere Studenten eingefunden und hofierten sie bewundernd. Er würde hart kämpfen müssen um "pretty Belinda!"

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Eingereicht am 15. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autoin.