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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Haircuts
Eine Kurzgeschichte von Monfou
Meine Damen und Herren, möchte ich rufen, was sind schon die Sonette eines Shakespeare, die Arien eines Puccini, die Farben eines Chagall gegen eine gut frisierte Dame auf den Champs-Élysées? Ich sage: So wenig wie ein Bild langweilen darf, darf eine Frisur langweilen. So wenig wie ein Dramaturg sich billiger Effekte bedienen sollte, sollte ein Friseur sich mit Standards begnügen.
Cut one
Mit Sorgfalt lege ich Professor Halibars Haar nach links und rechts und gebe ihm einen Scheitel, der Entschiedenheit verrät. Jeder, der sehen kann, versteht: Professor Halibar teilt die Welt in Wissen und Nichtwissen. Mit dem Anflug eines Lächelns, das man träumerisch nennen könnte, fixiert er die perfekte Scheitellinie im Spiegel. Auf die Frage, was er mit solcher Befriedigung betrachtet, wäre er wahrscheinlich nicht in der Lage zu antworten: Meinen akkurat gezogenen Scheitel. Mein bestes Gel kommt allerdings
nicht gegen den halibarschen Geruch an, den er aus Bibliotheken in alten Gemäuern mitzubringen scheint.
"Können Sie nicht wenigstens über den Ohren noch viereinhalb Zentimeter wegschneiden?", fragt Professor Halibar und seufzt, denn er weiß, dass solche laienhaften Anwandlungen bei mir kein Gehör finden.
Eingereicht am 15. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.