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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Im Frisiersalon
Eine Kurzgeschichte von Alexander Surikow
Meine braunen Augen sind für einen kurzen Moment geschlossen. Meine Hände liegen gemütlich in meinen Manteltaschen, die von innen aus sehr weichem, flauschigem Material bestehen, und auch mein Schal, selbstgestrickt und in mühevoller Winterarbeit im Kaminzimmer bei Mozart und Chopin entstanden, leistet einen hervorragenden Dienst. Nur um die Ohren und auf dem Kopf wird es zuweilen kühl, auf meinem Weg durch die Straßen, die hier noch aus bestem Kopfsteinpflaster bestehen, und den engen Gassen, das besondere Flair
verleihen. Mein Blick, denn ich habe meine Augen wieder geöffnet, wandert von den Fenstern der Häuser, zu den Dächern, die zumeist rot gedeckt sind, den Schornsteinen und verfolgen den Rauch, der hier und da in den verschiedensten Tönen erscheint, mal dunkel, sehr dunkel sogar, zuweilen auch hell, wie kleine Schäfchenwolken und in allen Fassetten, die dazwischen zu finden sind; und je länger man versucht jene Schwaden zu verfolgen, desto ungenauer, unbeschreiblicher, unsichtbarer werden sie, und mein Blick fällt
zurück, landet auf meinen dunklen Schuhen, die bereits so manche Straße einer Metropole begangen sind, meine Gedanken ordnen sich nach diesem verschwindend schnellen Exkurs, und immer noch etwas verträumt, aber dennoch zielgerichtet setze ich meinen Weg fort, der mich geradewegs zu meinem Termin führen soll und endlich, nach bereits etwas längerer Zeit, eine Veränderung, zumindest äußerlich, verspricht. Nicht, dass ich selbst diesem Drang verfallen wäre, mein Äußeres zu ändern; doch mindert es Möglichkeiten,
zuweilen Chancen, die einem unabkömmlich sind.
Ich nehme die letzte frische Briese, werfe noch einmal einen Blick über die Dächer und setze meinen Fuß über die Türschwelle. In diesem Haus, das bereits vor 360 Jahren erbaut wurde und von innen und von außen, durch Zutun des Menschen freilich, dem Glanz von vergangenen Zeiten in nichts nachzustehen scheint, war, sofern die Auskünfte jener Bücher dieser Stadt korrekt sind, ein Goldschmied lange Zeit und auch sehr erfolgreich am Werke. Es heißt, er habe selbst für den höchsten Adel seine Kunstwerke hergestellt.
Heute ist in diesem Haus davon nichts mehr zu sehen, obwohl es doch ein sehr gemütliches Ambiente ist, in das ich, wie ich bereits sagte, eintrete. Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, vernehme ich ein herzliches Hallo aus dem Hintergrund und die Akustik wird, nachdem ich mich kurz drehe und meine Hände aus meinem Mantel nehme, durch ein zartes Lächeln untermalt. Kaum Herr dieses Eindrucks geworden, vernehme ich erneut eine Begrüßung: "Guten Tag, Sie sind wieder sehr pünktlich, möchten Sie sich
setzen?" Dem stimme ich nickend zu und platziere mich auf der kleinen dunklen Couch, welche aus Lederstücken der verschiedensten Farben besteht. Von braun, rot über grün und blau, alle zwar etwas dunkler gehalten, was der Farbenfrohheit jedoch keinen Riegel vorschiebt.
"Dürfte ich Ihnen einen Kaffee oder einen Tee anbieten?" "Eine Tasse Tee wäre sehr freundlich." So lehne ich mich zurück blicke durch den Friseursalon und entdecke eine Uhr an der Wand, deren schwarze Zeiger mir noch eine gute viertel Stunde Zeit versprechen. Etwas erschöpft, wobei es mir ein Rätsel ist wovon, lehne ich mich an die Couch, mache es mir gemütlich und gehe in Gedanken mein Vorhaben noch einmal Schritt für Schritt durch. Kürzer sollen sie werden, die Länge der Haare ist stets
ein Ausdruck von geistiger Reife, so scheint es mir und äußert sich von Epoche zu Epoche anders. Ein gutes Stück könnte es schon kürzer sein, damit man wieder vernünftig aussieht. Bei diesem Satz kann ich mir ein geistiges Schmunzeln nicht verkneifen, da dieser Satz nicht von mir stammt, und ich mich bei einer erst vor kurzem ergebenen Unterhaltung als Gegner dessen versuchte zu profilieren. Im Grunde, so weht es mir durch den Kopf, bin ich immer noch davon überzeugt, jedoch ist der Faktor des Gefallens, zum
einen ihn zu erfüllen, zum anderen jemandem, eine Größe, die nicht zu unterschätzen ist, wobei eine eigene Ausprägung, eine äußerliche Einschätzung von dritten damit nicht einfacher gestaltet. Man kann sich derartiges vielfach durch den Kopf, auf dem es ja geschieht, gehen lassen und findet immer eine kontroverse Thematik vor, was aber in den meisten Fällen dazu führt, dass man sich seinem ruhigeren Leben beugt.
Eine gute Tasse Tee steht nun vor mir auf dem kleinen Tischchen, und er dampft. Wie kleine Nebelschwaden bewegt der kleine Dampf sich hin und her und lässt sich vom Luftspiel im Raum beeinflussen und verschwindet.
Kürzer, soweit war ich bereits und Schritt zwei und drei, welche die eigentliche Veränderung bedeuten, sind für mich, da ich auf diesem Gebiet keinerlei Kenntnisse habe, Neuland; eine Neugestaltung oder besser noch eine Umgestaltung, die für mich mehr Gewicht hat, als die bereits angesprochene Länge meiner Haare, die recht glatt gehalten, aber dennoch leicht lockig, jedoch hauchzart, so sehr, dass beim dritten oder vierten Kämmen, die Wellenpracht gewogen erscheint. Schwarz und zarte dunkelblaue Strähnchen sollen
es sein, eine radikale Veränderung, eine "Reform zu Kopfe", die mich nach außen zu einem anderen Menschen rekreiern soll. Auch hierbei bin ich nicht der alleinige Vater, man könnte sogar sagen, dass ich mit der Entscheidung nichts am Hut habe, abgesehen von der Zweitfarbe, die jedoch nur unter Wohlwollen zustimmenderweise angenommen wurde.
Damit hat sich dieser kleine Gang auch schon erschöpft. Ich habe mir auf dem Weg hierher bereits versucht vorzustellen, wie denn eine solche Umwandlung auf mich und auch auf andere wirken würde. Zum einen ist mir bewusst, dass es etwas neues darstellt, was, wenn es ästhetisch wirkt, zuweilen mit geistigem Applaus von außen honoriert wird, man zeigt dem Gegenüber eine Entwicklung. Jetzt in diesem Moment stelle ich mir die Frage, ob dies durch eine äußerliche Veränderung unbedingt zum Ausdruck gebracht werden muss,
und wer weiß, ob diese Entwicklung eine Weiterentwicklung oder genau das Gegenteil darstellen könnte. Weshalb ist es notwendig mit einfachsten Dingen den Menschen einen Status zu vermitteln? Ich weiß allerdings, was mich daheim erwarten würde, käme ich so, wie ich ging. Ein fragender Blick, eine erahnender Schluss und bitterste Enttäuschung.
Der leicht gesüßte Tee, mit einem etwas exotischen Geschmack, hat nun die perfekte Temperatur, was ich durch einen kleinen Schluck und durch einen zweiten, weitaus größeren, feststelle und gerade mal die Hälfte in der Tasse, die sehr elegant, geschwungen wirkt, aber auch zierlich und anmutig, nicht zuletzt durch ihr barockes Motiv, zurücklasse. Nach dieser Erholung blicke ich wieder auf die schwarzen Zeiger, die sich dem Ziel, welches für mich der Beginn, von alledem was mich erwartet, ist, nähern und je mehr
die Anzahl der Ticklaute von jetzt bis zum Zielstrich steigt, desto gewisser wird meine Verwandlung.
Ich habe meine Haare gestern Abend gewaschen, ich trocknete sie mit einem Handtuch, jedoch kämmte ich sie nicht, aus dem Grunde, damit sie lockiger wirken. Gestern war ich mit ihnen zufrieden und sie stellen durchaus Erlebtes der jüngsten Vergangenheit dar und auch heute Abend könnte ich wieder vor meinem Badspiegel stehen, meine Haare trocknen und es würde mir sicherlich nicht unwohl zumute sein, abgesehen von möglichen Enttäuschungen anderer, die auch in direktem Zusammenhang auf mich projiziert, ein Unwohlsein
bedeuten könnten.
Die Zeiger sind schon beinahe am Ziel angekommen und deuten auf Unheil, zumindest ist mir so zumute; es ist jenes ungemütliche Gefühl, das sich vom Bauch, über den Nacken bis zum Kopf streckt, und sich wohl am diplomatischsten mit Unschlüssigkeit bezeichnen lässt. Mein Blick wandert, er läuft fast, von Winkel zu Winkel dieses Raumes. Überall stößt man auf Ecken, es ist, wenn man es sich genauer durch den Kopf gehen lässt, ein verblüffendes Spiel, das eine Weile geradlinig einwandfrei funktioniert, dann aber nach
einem Richtungswechsel verlangt. Ähnlich verhält es sich draußen, über den Dächern mit dem Rauch der Schornsteine, er kommt, lässt sich beeinflussen, verschwindet immer mehr, was nicht unbedingt von Stärke zeugt, unabhängig davon, dass es ja Rauch ist, und auch die Kanten der Wände sind der Willkür anderer ebenfalls ausgesetzt, sie haben keinen freien Willen, den sie benutzen können, einsetzen können, um ihre eigenen, wahren Wünsche umzusetzen und eben das tun, womit sie glücklich werden.
"Herr Melanin? Sie können jetzt hier drüben Platz nehmen! Haben Sie schon eine Vorstellung, wie und wo wir die Schere ansetzen?"
"Also, wenn Sie mich so fragen, ich dachte an eine kürzere Länge und außerdem wollte ich schon immer mal noch dunklere Haare haben, sagen wir schwarz mit dezenten blauen Strähnchen! Das wäre gut!"
Eingereicht am 15. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.