ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Zwei Frauen beim Friseur
Eine Kurzgeschichte von Jens Uwe Stolte
Sie hat eine neue Bekanntschaft. Er sieht aus wie ihr in Erfüllung gegangener
Traum. Er ist groß hat eine sportlich durchtrainierte Figur, trägt edle
Designerkleidung und er stellt optisch einen Mann von Welt dar. Er hat auch noch
sehr gepflegte Umgangsformen und liest ihr nahezu jeden Wunsch von den Augen ab.
Heute soll es wieder ein Treffen geben dazu wird er sie auf ihrem Handy anrufen.
Seine Rufnummer ist dabei unterdrückt. Wenn sie ihn anrufen will ist immer nur
die Mailbox dran. Das ist ihr bisher noch nicht aufgefallen. Aber in ihrem
jetzigen Zustand nimmt sie das auch nicht so richtig wahr. Sie spürt wie sie
immer mehr in seinen Bann gerät. Sie würde alles für ihn tun. Für das heutige
Treffen möchte sie gut aussehen. Deshalb sitzt sie hier beim Friseur und
lässt sich die Haare machen. Das volle Programm. Dauerwelle mit Kur und
Blondierung. Dafür sitzt sie gerne ein paar Stunden in einem Edelsalon.
Wenn die beiden mit seinem offenen Cabrio durch die Stadt fahren möchte sie
ein Blickfang sein, mit ihrer blonden Lockenpracht. Sie genießt die neidischen
Blicke der anderen Frauen. Daher investiert sie gerne etwas mehr in ihre
Frisur.
In einem anderen Friseurgeschäft der preisgünstigeren Sorte kommt eine junge
Frau hinein. Sie trägt Cargo-Hosen die zwei Nummern zu groß sind, Dockers
und ein weites Herrenhemd. Von ihrer guten Figur ist eigentlich nichts zu
sehen. Sie hatte wenige Zentimeter kurze Haare die völlig ungleichmäßig
geschnitten sind. Vor etwa einer Stunde hatte sie noch eine prächtige
Lockenmähne. Aber die möchte sie jetzt nicht mehr sehen. Und sie möchte auch
keine Diskussion mit dem Friseur haben über die Länge der Haare. Deshalb hat
sie sich die Haare schon einmal selbst abgeschnitten. Sie war einige Tage
nicht in der Lage aus dem Haus zu gehen. Sie war psychisch traumatisiert.
Eine Welt war für sie zusammengebrochen. Jetzt hatte sich einigermaßen wieder
gefangen. Und der Neuanfang soll mit einem komplett neuen Outfit beginnen.
Der Salon ist leer sie kann gleich dran kommen. Während des Waschens vermisste sie
schon die gewohnte Fülle auf dem Kopf. Aber es sollte noch kürzer werden. Ein
Herrenschnitt mit schmalen Seiten und anrasiertem Hinterkopf. Als sie vor dem
Spiegel saß und die Friseurin ihr die Haare fast stoppelig kurz schneidet, dachte
sie darüber nach, wie alles begann. Es war ihr Traummann gewesen er hat einen
sportlich muskulösen Körper, sehr gepflegte Umgangsformen und er hatte einen
aufwändigen Lebensstil. Er hatte diesen tollen Sportwagen als Cabrio. Er hatte
edle Designerkleidung und mit seinem Umgangsformen war er ganz der Mann von Welt.
Komischerweise war er nie über Handy zu erreichen, nur die Mailbox war dran.
Immer hatte er sie angerufen. Umgekehrt war es nicht möglich. Sie fühlte sich
immer mehr von ihm abhängig, Sie würde alles für ihn tun. Als sie mit ihrer
Freundin durch die Stadt ging, sah sie ihn mit seinem Cabrio an der Ampel stehen.
Voller Stolz zeigte sie ihrer Freundin die neue Bekanntschaft. Ihre Freundin
fragte noch mal genau nach ob sie wirklich diesen Mann meinte. Als sie das bejahte,
klärte Ihre Freundin sie erst einmal auf. Es gab nämlich einen Grund weshalb
dieser Mann sich diesen Lebensstil leisten konnte. Dass er mit seinem Hauptberuf
sich dieses Leben niemals leisten könnte ist ihr vorher nicht aufgefallen.
Aber ihre Freundin lieferte eine schlüssige Erklärung. Er hatte einen Nebenjob,
in dem er ein Vielfaches seines normalen Einkommens machte. Und das höchst
illegal. Und jetzt wurde ihr klar, weshalb seine Augen immer so seltsam kalt
blieben, wenn er bei ihr war. Es war nicht einfach nur Coolheit, sondern es
war eiskalte Berechnung. Sie spürte, wenn sie diese seelische Abhängigkeit
noch tiefer zulässt, würde er sie auch dazu bringen, für ihn zu arbeiten.
Und jetzt wusste sie auch weshalb sie ihn niemals anrufen konnte. Ihre
Beziehung war wie in einem Märchen. Der Blick hinter die Kulissen war
allerdings nicht angenehm. Aus und vorbei - kein Kontakt mehr, Handy wird
nicht mehr abgenommen. Dann hatte sie zwei Tage nur geheult und war zu nichts
mehr in der Lage. Aber jetzt wird sie ihr Leben ändern.
Die Kleidung war schon dementsprechend, jetzt machte ihr die Friseurin einen
kurzen Herrenschnitt. Der Oberkopf war schon kurz, jetzt wurden die Seiten
mit der Maschine bearbeitet, die Ohren frei geschnitten und der Nacken
ausrasiert. Noch kommt es ihr ungewohnt vor wenn die Ansätze mit der
Maschine anrasiert werden. Als sie den Umhang abgenommen bekommt, sieht
sie die Haare auf dem Boden. Alles was er so toll an ihr fand. Abgeschnitten
und auf dem Weg in den Mülleimer. Dann schaute sich im Spiegel an: Nichts
figurbetonendes mehr, die Haare sehr kurz, kein voluminöse Lockenpracht mehr.
So gefiel sie sich jetzt.
Eingereicht am 14. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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