Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
ISBN 3-9809336-0-1

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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Etwas ändern

Eine Kurzgeschichte von Eine Kurzgeschichte von Guido Heite


Ich. Karsten. Endzwanziger. Single. Eigentlich ein ganz umgänglicher Mensch, so dachte ich zumindest. Versessen auf Ideale. Sowas wie ,Geh deinen eigenen Weg', ,Setze deine eigenen Trends!'. Klingt alles etwas egoman. War aber nie so gemeint. Wichtig war ja im Prinzip nur eines: Nicht die Äußerlichkeiten zählen wirklich. Viel mehr was man als Mensch denkt und tut. Vielleicht ein nicht ganz so ehrlicher Ansatz, denn ich hatte mir die letzten zwei Jahre meine Haare wachsen lassen, um meinen musikalischen Idolen zumindest optisch näher zu sein. Kaum ein Musiker, der es in den letzten 30 Jahren in der Rockmusik zu etwas brachte, hatte nicht irgendwann einigermaßen lange Haare. Als Mann war das für mich ein Zeichen von Coolness. Sich den Regeln der Gesellschaft zu widersetzten. Es gab eine Reihe von Leuten, die mich deswegen schräg ansahen, aber das war mir egal.
Und dann war da noch Klaudia. Eine gute Bekannte von mir. Zwischen mir und ihr hätte sich fast was ergeben. An mir lag es nicht, dass daraus nichts wurde. Sie mochte meine langen Haare, die nun mittlerweile weit über meine Schultern hinausragten. Also sah ich auch keinen Sinn darin meine Haare schneiden zu lassen. Dann war Klaudia weg. Sie wechselte den Studienort. Von hier, Karlsruhe, nach Hamburg. Sie ließ einfach alles hinter sich. Auch mich. Hier im Süden hielt sie einfach nichts mehr. Sie musste etwas in ihrem Leben ändern und das hatte sie damit getan. Zurückschauen war für sie so was wie etwas von diesem radikalen Wandel zu bereuen.
Fortan fehlte mir etwas. Es hatte sich in letzter Zeit ohnehin viel geändert. Mein Studium neigte sich dem Ende und es wurde Zeit für mich, mir Gedanken über meine weitere Zukunft zu machen. Andere zogen Job-bedingt weg. Wieder andere hatten sich in den letzten Monaten immer mehr um ihre Beziehungen gekümmert. Irgendwie schien grad alles im Umbruch. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, wenn ich alles bei mir so lassen würde verpasse ich den Moment selbst was ändern zu können. Ich würde vom Leben zurückgelassen, wie von Klaudia.
Also beschloss ich mich zu erneuern. Meinen eigenen neuen Trend zu setzten.
Und mit meiner Frisur sollte das nun anfangen.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte war ich auch schon auf dem Weg in den nächsten Friseursalon. Ohne Termin. Egal wie lange ich warten müsste. Wenn ich erst noch einen Termin machen müsste würde ich es mir vielleicht noch anders überlegen.
Natürlich hatten alle in dem Friseursalon zu tun. Aber in einer guten Stunde wäre noch was frei. Prima, dachte ich, warte ich eben so lange. Eine der Friseusen reichte mir einen Kaffee während ich mir beim Warten Fachzeitschriften mit Frisuren ansah. Sah alles recht aufwändig und teuer aus. Aber auch nett.
,Aber hebt die Frisur auch länger als zwei Tage?' dachte ich mir bei manchen Bildern.
Ganz nebenbei überlegte ich was ich noch alles ändern könnte. Ja, ich sollte noch mehr Sport machen. Jeden Abend, oder zweiten Abend joggen gehen. Vielleicht auch mal weniger studentisch rumlaufen. Hemden tragen anstatt ältere verwaschene Pullover oder T-Shirts. Neue Schuhe könnte ich mir kaufen. Zwischendurch auch mal ein gutes Buch lesen anstatt dem vielen Fernsehen. Öfter mal ins Programmkino gehen anstatt mir ständig die platten Actionfilme im Kino anzuschauen. Filme mit Handlung und Stil, anstatt Filme mit Special Effects und Action. Und wenn ich Geld hätte würde ich mir noch ein paar neue Sachen für die Wohnung kaufen. Damit könnte ich sie auch gleich etwas wohnlicher machen. Ich würde die Sammlung von Bildern von meinem Daumen von der Wohnzimmerwand verbannen. Mein Daumen am Strand, mein Daumen in den Alpen, mein Daumen beim 60. Geburtstag meiner Mutter, und so weiter. Ich hatte aus dem, was Leute sonst nur aus Versehen machen, wenn sie den Daumen beim Fotografieren aus Versehen vor die Linse halten, eine eigene große Fotoserie gemacht. Gerade jetzt fiel mir auf, dass darüber seit zwei Jahren keiner mehr gelacht hatte.
Ganz nebenbei schlich sich der Gedanke ein, ich könnte mir nun auch gut vorstellen von hier weg zu gehen. Was hielt mich denn hier noch? Guter Gedanke. Wenn ich viel ändern will, warum nicht einfach auch den Ort.
"Sie sind nun dran", riss mich die junge Friseuse aus meinen Gedanken, die für mich den Termin noch frei gehalten hatte. Sie wirkte recht blass, was zum großen Teil aber auch an den hellen Hosen, dem weißen Pullover und den blonden Haaren lag. Diese sahen recht aufwendig gestylt aus. Nicht, dass das ein doofes Klischee ist, aber mir fiel in dem Moment auf, dass doch die meisten Friseusen eher aufwendig gestylte Frisuren haben. Und das war ja eigentlich auch gar nicht so unverständlich. Wenn man schon vom Fach ist, wäre es doch langweilig, eine total unspektakuläre biedere Frisur zu haben. Für mich als Laie sah ihre Frisur schon recht wirr und durcheinander aus, doch irgendwie hatte sie was.
Sie wies mich zu meinem Sessel auf dem ich Platz nahm und stellte sich hinter mich.
"So, wie hätten Sie es denn gerne?"
Ich überlegte einen Moment, ob ich vielleicht etwas aufwändiges oder extravagantes nehmen sollte. Nein, ich wollte einfach nur kurze Haare.
"Schneiden Sie einfach alles ab!" Bemerkte ich kurz und schaute etwas abwesend auf die Seite.
"Einfach alles ab?" Fragte die Friseuse etwas ungläubig.
"Ja."
"Schade, Sie haben echt schöne Haare. Manche Frauen wären echt neidisch, wenn sie Sie sehen würden."
Das war mir irgendwie alles egal. Mir schossen jede Menge andere Dinge durch den Kopf. Was sollte ich mir groß Gedanken über meine Haare machen. Die Langhaarzeiten sollten nun einfach vorbei sein. Ich machte mir viel lieber Gedanken darüber, was ich noch alles ändern könnte, damit ich mich in meinem ,neuen' Leben wohlfühlen konnte.
"Haben Sie einen besonderen Frisurwunsch?", fragte die Friseuse noch einmal nach, der meine Aussage etwas zu dürftig war.
"Wie gesagt. Alles ab. Na, vielleicht so 5 Millimeter." Ich hielt kurz inne und fügte nach der Pause noch "Ach ja, die Kotletten kommen auch weg, hinten ganz kurz auslaufend und vorne können sie die ersten Haare etwas länger lassen." hinzu. Dann wandte ich meinen Blick ab und versuchte wieder in Gedanken zu verfallen. Die Friseuse hingegen wirkte etwas überrascht. Das klang irgendwie zu einfach und ich klang irgendwie zu abweisend. Sie richtete sich ein paar Dinge zurecht, setzte sich auf ihren Friseurhocker und fing an zu schneiden.
"Wie lange haben Sie denn die Haare schon wachsen lassen?" schnipp, schnipp...
"Zwei Jahre."
"Wie gesagt, Sie haben wirklich schönes Haar. Und kaum Spliss. Wenn ich mir nicht regelmäßig die Haare schneiden lasse, dann ist da bei mir alles voll." Schnipp schnipp...
"Aha."
"Und eigentlich ist das ja jetzt auch der falsche Zeitpunkt so in Richtung Winter. Da wird's Sie am Kopf sicher frieren. Ich kenn einen der das auch mal gemacht hat und der ging zwei Monate nur noch mit Mütze aus dem Haus." Dabei lag der Friseuse ein leichtes Lächeln im Gesicht. Schnipp, Schnipp...
"Da steckt doch sicher eine Frau dahinter oder nicht? Das war bei meinem Bekannten auch so und es hatte sich dann auch wirklich gelohnt. Jetzt ist er glücklich und verheiratet." Ein weiterer Versuch mit mir ins Gespräch zu kommen. Schnipp, schnipp...
Ich schwieg.
"Sie sind nicht gerade sehr gesprächig." Die Friseuse zeigte sich leicht resignierend.
"Sollte ich das sein?"
"Na, ich wollte zumindest etwas Interesse zeigen und eine gemütlichere Atmosphäre schaffen, aber wenn Sie nicht wollen?"
"Was heißt nicht wollen..."
"Na, dann erzählen Sie doch mal warum Sie die Haare ab haben wollen."
"Ich muss einfach in meinem Leben etwas ändern."
"Und das haben Sie damit getan?"
"Ja. Natürlich nicht nur damit, aber das ist ein Anfang. So zu sagen ein Symbol. Ein Ansporn." Hatte sie mich doch erwischt und aus meiner gedankenverwobenen Trägheit gelockt.
"Ist denn bei Ihnen alles so schlecht, dass Sie es ändern wollen?"
"Äh, nein..." ich war einen Moment lang überrascht. Dieser Gedanke war für mich neu... "Es ist nicht alles schlecht. Ich habe gedacht ich müsste es nur mal tun. Etwas ändern bevor sich alles ohne mich ändert."
"Hat es das nicht ohnehin schon immer getan?"
"Wie meinen Sie das?"
"Na, jeder Tag ist ein anderer. Jeden Tag ändert sich alles. Jeder Gedanke und jede Handlung sind für sich neu. Ich glaube man ist doch eigentlich schon so in diesem Prozess drin, dass man gar nicht so viel tun muss um sich mit sich selbst im Reinen zu fühlen. Zumindest solange man die Dinge mag die man macht."
Auf soviel philosophische Gedanken auf einmal war ich nicht vorbereitet. "Na ja, ich hatte das Gefühl jetzt ist halt die richtige Zeit dafür."
Während der nächsten zwanzig Minuten entstand ein ungeahnt interessantes Gespräch. Ich hatte zugegebenermaßen die Frau im Vorhinein etwas unterschätzt. Sie konnte meine Motive für mein Vorgehen nicht teilen, weil sie nie einen wirklichen Veränderungsdrang hatte. Alles was sie machte mochte sie auch. Und warum sollte sie das dann auch über Bord werfen. Da hatte sie gar nicht so unrecht. Aber ich hatte ja eine ganz andere Situation, so dachte ich zumindest auf dem Heimweg. Ganz kurze Haare. Draußen war es frisch geworden und ich fror etwas am Kopf. Trotz der Diskussion blieb mein Entschluss fest dabei. Ich musste einige Sachen ändern.
Kaum war ich zu Hause fing ich an meine Daumenbilder abzuhängen. Ich packte sie alle in einen Schuhkarton. Ja, diese postpubertären Zeiten sollten nun vorbei sein. Mitten bei dieser Tätigkeit klingelte es an der Tür. Ich machte auf und Klaudia stand da. Ich war total überrascht. Was machte sie denn hier. Aber nicht minder überrascht war sie. Was hatte ich mit meinen Haaren angestellt.
"Hi,...", sagte sie leise. Mir fiel in dem Moment nichts zu sagen ein.
"Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?"
"Ach, ich bin heute Morgen aufgewacht und plötzlich waren sie alle ab", entgegnete ich, was sie leicht zum Lachen brachte. "Nein, ich dachte es wäre mal Zeit sie wieder schneiden zu lassen."
"Schade", sagte sie kurz.
"Nicht, dass ich blöd fragen will, aber wie kommst du hier her?"
Sie sah mich kurz verlegen an. "Weißt du, irgendwie hab ich rausgefunden, dass Hamburg nicht meine Stadt ist, das Studium war für mich vielleicht auch nicht so gemacht und...."
"Und...."
"..... und du fehlst mir einfach." Daraufhin nahmen wir uns in die Arme. Es war wie in einem kitschigen Liebesfilm. Und doch es war voller Moral. Die Dinge die sich ohnehin ändern, in denen kann man sein Leben am besten erneuern. Klaudia kam zurück weil sie etwas ohne wirkliche Not änderte und von der beigeführten Änderung enttäuscht wurde. Das Einzige was ihr nun fehlte waren meine Haare, aber das änderte sich auch wieder.




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Eingereicht am 14. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
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