ISBN 3-9809336-0-1
Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Männer gehen einfach nicht gerne zum Frisör
Eine Kurzgeschichte von Barbara Seiler
"Oh Gott, Giovanni, nur du kannst mich retten." Mit einer hysterischen Handbewegung fuhr sich Frau Zuberteufel durchs Haar. Und wirklich, ihr Spiegelbild bot einen erbärmlichen Anblick: trocken stachen die einzelnen Strähnen von ihrem Kopf ab, die Mèche war schon lange über das Fünfzentimeter Limit hinausgewachsen und der Schnitt Ansichtssache.
Giovanni fuhr beruhigend durch das zuberteuflische Haupthaar und meinte lächelnd: "Das kriegen wir schon wieder hin." Mit einer charmanten Handbewegung zwang er die Frau auf dem gelben Sessel Platz zu nehmen, stellte ihr ungefragt ein Glas Prosecco hin und verwandelte Frau Zuberteufel mit Hilfe eines unförmigen Umhanges in ein neutrales Geschöpf.
"Deine Lieblingskundin, hm?", stieß ihn Anja, die Praktikantin, hinterhältig grinsend an. Giovanni starrte, anstatt einer Antwort in die Cremetöpfe, in denen er mit routinierter Handbewegung den "glänzend verführerischen Goldton ohne Ihr Haar zu belasten" anmischte. Giovanni hasste die Zuberteufel. Sie kam nur alle drei Monate, jedes Mal war ihr Haar in einem anderen aber immer katastrophalen Zustand. "Ich experimentiere zu Hause gerne mit Farben, das verändert meine Persönlichkeit",
hatte sie ihm einmal mit verschwörerischem Zwinkern gestanden. Manchmal schnipselte auch ihr Mann Gerhard daran herum, eine Arbeit die nur selten wieder gut zu machen war. Überhaupt Gerhard. Giovanni seufzte. Meistens genügte ein kurzes "Wie geht es Ihnen heute?" und aus Frau Zuberteufel brach ein Sturzbach an Familieninterna heraus, der während der ganzen Prozedur des Waschen, Schneiden, Föhnen nicht mehr zu stoppen war. Giovanni fragte sich immer wieder, wieso Frauen grundsätzlich glaubten, ihren
Frisör als Psychiater missbrauchen zu müssen. Männer dagegen saßen stillschweigend auf dem Stuhl und blätterten desinteressiert in Wohnmagazinen. Ihm waren Männer einfach lieber.
Es half nichts, Giovanni zog den Vorhang, der den kleinen Personalraum
abtrennte, mit einer energischen Bewegung auf die Seite. Die Zuberteufel
schaute mit vom Alkohol geröteten Wangen erwartungsvoll zu ihm auf. Er hätte ihr auf der Stelle den vollen Farbtopf ins Gesicht drapieren mögen, stattdessen fragte er mit honigsüßem Lächeln. "Wie geht's denn so, Frau Zuberteufel?"
Die nächste Stunde war gefüllt mit Anekdoten über die Verdauungsbeschwerden des Hundes, die Gewichtsprobleme von Frauen um die vierzig und die Versetzungsprobleme Kevins, dem jüngsten Spross des Hauses Zuberteufel.
Giovanni hatte es schon bei den Ausführungen über die Vorzüge der Ananasdiät aufgegeben einen interessierten Gesichtsausdruck vorzutäuschen und gab sich, während er die Farbe auf die Strähnen verteilte und sie dann in Aluminiumfolie hüllte, blutrünstigen Phantasien hin. Er könnte den Trockner zu heiß stellen oder noch besser, die Zuberteufel ganz unter der Haube vergessen, bis es rauchte. Oder er könnte mit der Schere ganz aus Versehen dem Ohr zu nahe kommen, für Unfälle dieser Art wäre er sogar versichert.
Unbeirrt redete Frau Zuberteufel weiter vor sich und landete, angeregt von ihrem eigenen Redefluss, in einer unnachvollziehbaren Assoziationskette von saurer Milch im Kühlschrank über die bevorstehenden Wahlen endlich bei ihrem Angetrauten Gerhard. Sie hatte den Zeitpunkt so gewählt, dass Giovanni, wollte er nichts von der Geschichte verpassen, sich neben sie setzten musste, da ihr Blickfeld durch die Trockenhaube eingeschränkt wurde. Sie legte eine gewollte Kunstpause ein und sagte dann laut: "Gerhard betrügt
mich."
Giovanni versuchte ihrem Blick mit neutraler Miene standzuhalten, konnte aber ein unkontrolliertes Muskelzucken nicht verhindern. Er räusperte sich, denn Frau Zuberteufel schwieg auf einmal. Ihm wurde immer heißer und er wusste dass sie wohl irgendeinen Kommentar oder Frage erwartete, aber sein Kopf fühlte sich an wie Watte. Giovanni strich mit zitternden Fingern über den Muskel beim Auge, aber er beruhigte sich nicht. Frau Zuberteufels Blick wurde immer härter und auf einmal schien es ihm, als würde sie direkt
in ihn hinein schauen. Und dort würde sie alles sehen. Alles. "Es tut mir leid. Ich kann nichts dafür. Es ist einfach passiert. Es kommt ganz bestimmt nicht mehr vor." Die Worte lagen auf seinen Lippen und in dem Moment als er glaubte sie nicht mehr zurückhalten zu können, fiel die Trockenhaube um, Frau Zuberteufel warf sich in seine Arme und schrie während sie schluchzend versuchte ihre Tränen zurückzuhalten: "Ich bring sie um, die Schlampe, ich bring sie um."
"Sie" Frau Zuberteufel hatte "Sie" gesagt. Giovanni sah auf die Frau mit den Aluminiumstreifen im Haar und sein Muskel über dem Auge hörte schlagartig auf zu zucken. Sie wusste es nicht. Wie auch. Sie konnte es nicht mal ahnen.
Er setzte Frau Zuberteufel zurück in den Stuhl, legte ihre Arme wie bei einem Baby auf die gelben Lehnen und schenkte ihr noch ein Glas Prosecco ein. "Das kann ich mir nicht vorstellen, er liebt Sie doch. Außerdem, wenn Gerhard was hätte, würde ich es wissen, seinem Frisör erzählt man doch alles, oder?" Frau Zuberteufel schniefte noch ein wenig, aber ihr Blick war hoffnungsvoll: "Wirklich?"
"Sicher", sagte Giovanni und gab sich Mühe, seine Stimme tief und beruhigend wirken zu lassen. "Aber jetzt müssen wir die Farbe rauswaschen, sonst sehen Sie nachher aus wie Marilyn Monroe."
Am Montag würde Gerhard kommen. Frau Zuberteufel versäumte nie, ihrem Mann gleich noch einen Termin zu machen. "Männer gingen einfach nicht gerne zum Frisör." Wenn sie wüsste.
Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten,
benutzen Sie bitte unser
Diskussionsforum.
Unsere Autorin ist sicherlich
genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser.
Eingereicht am 06. Oktober 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.