Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Wettschulden sind Ehrenschulden

Eine Kurzgeschichte von Jens Uwe Stolte


Heute bin ich aufgestanden wie gerädert, irgendwie bin ich nervös.
Schnell in die Dusche, dann das weiße Hemd angezogen, mit Krawatte. Ich will ja gut aussehen.
Soll ich kneifen? Abhauen, einfach nicht da sein?
Es hat keinen Zweck, ich muss wohl zu meinem Wort stehen. Irgendwie meinte ich, sicher sein zu können, aber das Unmögliche, das Unfassbare ist doch eingetreten.
Das Auto fährt vor. Ich gehe aus dem Haus. Als ich das Auto erreiche, steigt eine Frau aus und lässt mich einsteigen, dann steigt sie selbst wieder ein.
Jetzt sitze ich hinten in der Mitte. Vier Frauen im Auto, ich hinten in der Mitte - irgendwie komme ich mir vor wie in einem Gangsterfilm, wo das Opfer zum Boss gebracht wird. Ich weiß auch nicht wo es genau hingeht, nur dass es zu einem Friseursalon geht. Da werde ich meine Wettschulden einlösen müssen.
Nach kurzer Fahrt erreichen wir den Parkplatz einer Ladenzeile. Das Auto wird geparkt, ich steige aus und werde von vier Damen in den Friseursalon eskortiert.
Das Geschäft ist nobel eingerichtet, die Herrenabteilung hat große bequeme Friseursessel. Ganz nett, aber irgendwie kommt keine Freude bei mir auf. Ich darf gleich durchgehen und auf dem mittleren von drei Stühlen Platz nehmen. Alle Damen stehen mit erwartungsfrohem Lächeln und Grinsen daneben.
Kaum sitze ich im Stuhl, nimmt mir eine schon die Krawatte ab, macht den Hemdkragen auf. Dann legt mir die Friseurin den Papierkragen um, wirft mir einen großen schwarzen Umhang über, ich nehme den Kopf nach vorne, damit sie ihn hinten besser schließen kann. Derweil geht mein Blick nach vorne auf die Ablage. Alles nötige steht bereit, eine Haarschneidemaschine, ein Porzellantiegel mit Rasierpinsel und ein Rasiermesser. Ein Rasiermesser?
Wenn das mal gut geht......
Die Friseurin legt dann noch einen Schneidekragen um. Die vier Damen stehen lächelnd und grinsend drum herum, die Friseurin schaut mich im Spiegel an.
Wenigstens ist es noch so früh, dass sonst keiner im Geschäft ist.
"Können wir?"
Ich sage "Ja."
Sie nimmt die Maschine, schaltet sie ein, führt die summende Maschine über meinem Kopf. Ich spüre das Vibrieren und das kalte Metall auf der Kopfhaut. Die Haare fallen auf den Umhang, Bahn für Bahn wird geschoren, der Kopf nimmt seine unverdeckte Form an. Die Damen bekommen große Augen und schauen wie gebannt auf meinen Kopf, wo die Maschine von sachkundiger Hand geführt mir die Haare vom Kopf schert. Der Hinterkopf fehlt noch, denke ich gerade, da drückt mir die Friseurin auch schon den Kopf nach vorne, ich spüre wie die Maschine Bahn für Bahn den Hinterkopf hochläuft. Derweil sehe ich auf den Umhang und die Haare die sich dort angesammelt haben. Mit leichtem Fingerschnippsen dagegen gehen die Büschel zu Boden wie Schneelawinen vom Berg.
Die Maschine wird ausgeschaltet, ich nehme den Kopf wieder hoch. Ich sehe mich mit 1 bis 2 mm langen Haaren vor dem Spiegel sitzen, fast ein wenig glänzend, aber auch noch stoppelig. Eigentlich möchte ich jetzt heulen. Mein Kopf ist fast kahl, und das ist nur eine Etappe. Das "fast" wird gleich auch noch in ein "vollständig" umgewandelt werden. Aber als Mann hat man sich ja unter Kontrolle.
Emotionale Ausbrüche werden einem Mann ja nur als Wutanfälle gestattet. Und ich will sie jetzt nicht mit anderen emotionalen Ausbrüchen in ihren Grundfesten erschüttern.
Während die Friseurin die Maschine auf die Ablage legt, greifen die Damen nacheinander in die Stoppeln und streichen darüber. Zustimmende Kommentare, "...das stoppelt aber schön.... fühl doch mal...."
Schön dass ich soviel Aufmerksamkeit bekomme. Die Friseuse meint, jetzt müsste ich zum Waschplatz. Ich stehe auf und folge ihr, lege meinen Kopf in das Rückwärtswaschbecken hinein.
Sie shampooniert mir den Kopf, wäscht das Shampoo wieder raus, um mir dann richtig lange warmes Wasser über den Kopf laufen zu lassen. Sie steigert die Temperatur mehrfach, bis ich sage es wird zu viel. "Je länger und besser das eingeweicht ist umso leichter wird es nachher."
Ich gebe jetzt keine Widerworte. Sollte man nicht machen, sie hat nachher das Messer in der Hand, da will ich sie nicht reizen. Wenn man auf dem Schafott ist, kann man nur noch hoffen, dass beim Henker alles glatt geht. Hier mehr der Henkerin in Form der Friseurin.
Sie wickelt mir ein Handtuch um den Kopf und sagt mir, dass ich mich wieder aufrichten soll.
Jetzt geht es wieder zum Bedienplatz. Nachdem ich mich wieder in den schweren Ledersessel platziert habe, nimmt sie mir das Handtuch ab, verteilt Rasiercreme auf den Kopf um es dann mit einem Rasierpinsel zu verteilen und aufzuschäumen. Komisch, der Pinsel ist viel weicher, als ich vermutet hätte.
Was ist denn das für einer? Das frage ich lieber nachher nach.
Sie nimmt ein warmes nasses Handtuch um wickelt es mir um den Kopf. Darüber noch ein größeres trockenes Handtuch, jetzt müsse das erst einmal einwirken.
Komisch: Soviel Aufwand? Aber sie ist die Chefin, ich mach hier nichts, vor allem nicht dumm fragen.
Während des Einwirkens sehe ich mich mit dem Handtuch um den Kopf im Spiegel an. Das sieht ja fast aus wie im Damensalon, eigentlich halte ich meine Friseurbesuche sonst immer nur kurz und schmerzlos, solch einen Aufwand bin ich gar nicht gewohnt.
Derweil unterhalten sich die Damen mit der Friseurin. Leider bekomme ich nur Gesprächsfetzen mit wie "...... Wette verloren, da hat er den Mund wohl etwas voll genommen...... kicher kicher...."
Welcher Mann würde nicht gerne einmal soviel Aufmerksamkeit von der Damenwelt bekommen? In meiner Position, so direkt auf dem Friseursessel wohl nicht viele.......
Die Friseurin kommt wieder auf mich zu. Ich spüre wie die Rasiercreme anfängt zu wirken. Sie nimmt mir die Handtücher ab und seift mir noch einmal mit dem Rasierpinsel den Kopf ein.
Sie stellt den Porzellantiegel wieder auf die Ablage, dann nimmt sie das Rasiermesser.
Irgendwie habe ich jetzt mit allem abgeschlossen.
Wohlwissend, wie schnell es einen Hautschnitt geben kann, werde ich jetzt ganz ruhig mich dem Schicksal hingeben. Das hatte bei mir selbst eine ganze Weile gedauert, eh ich mich mit einem Messer rasieren konnte, der Schwierigkeitsgrad ist mir wohlbekannt, deshalb habe ich jetzt auch richtig Angst, in der Hoffnung es ist mir nicht anzumerken.
Mit der einen Hand spannt sie die Kopfhaut mit der anderen Hand führt sie das Rasiermesser. Ich spüre die erste Berührung mit der Kopfhaut, ein leichtes Knirschen oder Kratzen, dieses schabende Geräusch, wenn die Haare mit der Schneide abgeschnitten werden. Sie säubert das Messer an einem Handtuch. Bahn für Bahn geht sie mit dem Messer über den Kopf. Ich halte still. Ich möchte nämlich keinen Schnitt abbekommen, also halte ich den Kopf intuitiv genau so wie es für sie am günstigsten ist.
Sie ist mit einer bewundernswerten Vorsicht und sehr kontrollierten Bewegungen dabei. Quadratzentimeter für Quadratzentimeter spüre ich das Messer auf der Kopfhaut. Meine Begleiterinnen sehen wie gebannt zu. Keine spricht ein Wort, alle schauen auf meinen Kopf.
Der erste Rasurgang ist fertig. Kurzes Aufatmen, jetzt sind wieder Gespräche bei meinen Begleiterinnen, während mir die Friseurin den Kopf zum zweiten Mal mit dem Rasierpinsel einschäumt. Wie eine weiße Badekappe sieht der Schaum auf meinem Kopf aus. Dann legt sie den Tiegel wieder weg und nimmt das Messer für den zweiten Durchgang. Diesmal rasiert sie gegen die Wuchsrichtung.
Sie spannt die Kopfhaut mit der freien Hand, ich höre es noch kurz knirschen und schaben auf der Kopfhaut, dann geht die Klinge widerstandslos über die Kopfhaut. Ich bewundere die Vorsicht und die Präzision dieser Rasur. Bisher tut nichts weh, kein Blut ist geflossen.
Irgendwie sollen Frauen ja mehr Gefühl in den Händen haben als Männer, im vorliegenden Fall stimmt das sogar. Komisch, wenn ich mich selbst nassrasiere ist das immer ein elendes Geziepe und unangenehmes Gefühl auf der Haut, und ich spüre während der Rasur schon die gereizte Haut. All das fehlt jetzt. Kopf neigen, Ohr wird umgebogen, dann der Hinterkopf. Wieder nehme ich den Kopf nach vorne, sehe die Damen im Spiegel immer noch wie gebannt zusehen, spüre die Klinge auf den letzten Quadratzentimetern.
Die Friseurin prüft noch ein paar Stellen, schäumt noch einmal kurz nach, geht noch einmal mit dem Rasiermesser drüber, dann ist die Kopfrasur fertig. Dann streicht sie mir noch kurz über die Wangen, ich spüre, wie sie in den Stoppeln hängen bleibt.
"Also, solche unrasierten Wangen passen dazu aber gar nicht. Soll ich die auch noch gleich mitmachen?"
Ich stimme zu. Sie steckt an die Lehne eine Kopfstütze auf, dann legt sie mich auf dem Stuhl fast in Liegeposition hin, legt mir ein nasses Handtuch auf das Gesicht zum Einweichen. Derweil denke ich nach. Eigentlich habe ich mich heute morgen rasiert, aber scheinbar nicht so, dass sie dies auch erkannt hat.
Hätte ich jetzt zugeben sollen, dass ich es nicht besser kann? Besser nicht.....
Dann schäumt sie mir das Gesicht ein. Nach kurzer Einwirkzeit passiert genau dasselbe wie auf dem Kopf. Wieder spüre ich das Messer quadratzentimeterweise in meinem Gesicht. Aber die Rasiergeräusche werden nicht so deutlich bis zu den Ohren übertragen. Als sie den Hals rasiert fühle ich mich wie ein Hund in Unterwerfungsposition. Ich bin doch lieb und artig, bitte tu mir nichts. Hoffentlich bist du jetzt auch lieb und artig.....
Was wäre wenn sie eine unbändige Männerhasserin ist? Alles so komische Gedanken, während ich die Schneide an meinem Hals spüre...... Dann wird das Gesicht gereinigt, ich soll noch einmal zum Waschplatz. Sie wäscht mir den Kopf. Ich spüre sie nicht in irgendwelchen Stoppeln hängen bleiben, alles ist nur glatte Haut auf dem Kopf.
Dann geht es wieder zum Bedienplatz. Sie trocknet den Kopf mit einem Frotteehandtuch, dann cremt sie ihn ein, die Haut entspannt sich, nichts brennt, nichts schmerzt. Ich sehe mich mit völlig glatten und glänzenden Kopf vor dem Spiegel sitzen. Sie nimmt den Handspiegel und zeigt mir das Werk von allen Seiten. Nur noch ein leichter Haarschatten auf dem Kopf, alles glatt und glänzend. Jetzt sehe ich erst, welche Unebenheiten so ein Kopf haben kann, und dass sie das mit dem Rasiermesser ohne Hautverletzungen hinbekommen hat bewundere ich zutiefst. Aus meiner Begleiterinnenrunde kommt die Frage: "Und? ist das so kurz genug?" Mit einem Gelächter, Kichern und Prusten entlädt sich die Spannung. Meine Begleitrinnen lächeln mich an, ich weiß, jetzt nicht, ob es Schadenfreude oder einfach nur Freude ist. Dann streichen sie nacheinander über meinen Kopf. Dazu höre ich: ".... schön.... das steht dir sogar.....alles so schön glatt......"
Die Friseurin nimmt mir jetzt den Schneidekragen und den Umhang ab. Meine Begleiterinnen sind schon mit dem Zettel an der Kasse. Ich bekomme die Krawatte wieder gereicht, während ich sie umlege, bin ich mit der Friseurin allein.
Jetzt denke ich ist es Zeit für die Offenbarung ich muss es ihr irgendwie sagen, außerdem möchte ich ein Geheimnis erfahren: "Ich habe mir fast in die Hosen gemacht vor Angst, dass sie mich schneiden würden, das hätte ich selbst so nicht hinbekommen mit dem Messer, noch nicht einmal mit einem Wechselklingenrasierer. Auch der weiche Pinsel - so etwas kannte ich bisher gar nicht. Wo ist das Geheimnis?"
Dann klärt sie mich auf über die Bedeutung von der Vorbereitung, Einweichen mit warmem Wasser, die Bedeutung von alkalischer Rasiercreme die das Haar aufquellen lässt den Unterschied zwischen Dachsborsten- und Dachshaarpinseln und den Gebrauch einer scharfen Klinge auf vorgegespannter Haut.
Dann sage ich mir, dass ich mich auf die gewohnte Weise heute rasiert hätte und es einfach nicht besser hinbekommen hatte. Sie lächelt triumphal.
Derweil kommen meine Begleiterinnen wieder. Während ich noch vor dem Spiegel sitze streichen mir einige über den glatten Kopf.
Dann laden sie mich zum Frühstück ein.
Da sage ich sofort zu, vor dem Friseurbesuch hatte ich wesentlich mehr Angst gehabt.

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Eingereicht am 27. September 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
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