Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Unliebsame Kunden

Eine Kurzgeschichte von Eva Markert


Es gibt sie tatsächlich, diese Tage, an denen man immer auf dem falschen Bein erwischt wird.
Um neun Uhr öffnete der Salon, und um Viertel nach neun wusste Daniela bereits, dass heute so ein Tag war. Genau um 9.15 Uhr nämlich riss die feuchte Filtertüte vom Vortag, die sie gerade aus der Kaffeemaschine genommen hatte, und klebriger Kaffeesatz verstreute sich bis in die entferntesten Winkel des Hinterzimmers. Während Daniela auf dem Boden kniend das bröselige Zeug zusammenfegte, fragte sie sich zum wiederholten Male, warum in drei Teufels Namen den Kunden beim Frisör immer Kaffee angeboten wurde. Sollten die Leute doch gefälligst zu Hause ihren Kaffee trinken! In einem fort mussten Frisörinnen Kaffeemaschinen füllen, Tassen hin- und hertragen und Spülmaschinen ein- und ausräumen. Dabei waren sie doch schließlich nicht zum Kaffeekochen da, sondern hatten genug damit zu tun, sich um die Haare der Leute zu kümmern!
Daniela öffnete den Kühlschrank. Oje! Es war kaum noch Milch da! Wenn der Chef gleich kam, musste sie sofort gehen und neue besorgen, denn bestimmt - und darauf wagte sie jede Wette - hatte Fred nicht daran gedacht, welche mitzubringen. Waschpulver brauchten sie auch. Für die unzähligen Handtücher, die täglich gewaschen wurden. Und wer musste die waschen? Natürlich sie! Wer sonst?
Für den Salon einzukaufen würde ihr heute noch weniger Spaß machen als sonst, denn es fing wieder an zu regnen. Was heißt hier "regnen"? "Gießen" wäre sicherlich der passendere Ausdruck! Aber sie wollte nicht ungerecht sein. Schließlich hatte es gestern ja nur einmal geschüttet: nämlich vom Morgen bis zum Abend!
Die Kaffeemaschine fing an, leise zu zischen und zu brodeln, und die ersten spärlichen Tropfen fielen in die Kaffeekanne. Daniela wollte den Kaffeeduft gerade ganz angenehm finden, da ging die Ladenglocke. Auch das noch! Es war eine von Freds Kundinnen, und sicher hatte sie einen Termin. Sie würde nicht begeistert sein, dass der Chef noch nicht da war. Vielleicht konnten eine Zeitschrift und eine Tasse Kaffee sie eine Zeitlang bei Laune halten.
Daniela zwang sich zu einem freundlichen Gesicht, als sie auf die Kundin zuging. Die Frau hatte eine übergroße spitze Nase und einen ganz schmalen Mund. Daniela fand Menschen mit solchen Nasen und Lippen äußerst unsympathisch. Anscheinend zu Recht, denn auch diese Frau benahm sich genau so, wie sie aussah.
"Wo ist der Chef?", herrschte sie Daniela an.
Danielas Wangenmuskulatur verkrampfte sich zu einem Lächeln.
"Er muss jeden Augenblick kommen", sagte sie. "Darf ich Ihnen schon einmal eine Tasse Kaffee bringen?"
"Aber mit viel Milch!"
Danielas Lächeln gefror. Nun trank diese Person auch noch die letzte Milch weg!
Wo der Chef bloß blieb? Lange würde diese Kundin nicht stillhalten! Immer heftiger blätterte sie die Seiten in ihrer Zeitschrift um. Immer lauter klirrte das Geschirr, wenn sie die Tasse auf dem Unterteller absetzte.
Na endlich! Da fuhr sein Wagen auf den Parkplatz vor dem Salon. Daniela schloss eine Wette mit sich ab, dass die Kundin dem lieben Fred keine Vorwürfe machen würde. Für so was musste immer sie herhalten.
Sie gewann diese Wette. Die Kundin verzog ihre fadenförmigen Lippen zu einem süßlichen Lächeln, als Fred sich liebenswürdig bei ihr entschuldigte, obwohl er eigentlich gar nichts für seine Verspätung konnte, weil er in einem Stau gestanden hatte, der durch einen Unfall verursacht worden war, den ein LKW usw. usw. Daniela hörte nicht länger zu.
Ihr blieb sowieso keine Zeit, über den Wahrheitsgehalt von Freds Geschichte nachzudenken, denn es kam Laufkundschaft. Eine Frau mit heftig tropfendem Schirm betrat das Geschäft. Kurz darauf erschien ein Mann, dessen Schuhsohlen sofort den ganzen Eingangsbereich verschmutzten. Fred warf Daniela einen auffordernden Blick zu. Ja, ja, sie hatte schon verstanden. Er brauchte gar nicht so zu gucken. Sie hatte sowieso vorgehabt, schnell dort zu wischen. Mürrisch holte sie Eimer und Wischmopp.
Und dann, weil Fred ewig mit dieser spitznasigen, schmallippigen Person beschäftigt war, kümmerte sie sich um die beiden anderen Kunden.
Die Kopfhaut der Frau war mit einer weißlichen Borke überzogen, und auch noch nach einer speziellen Haarwäsche und einer Packung für schuppiges Haar rieselten Daniela Unmengen ekliger Flocken durch die Finger, während sie der Frau die Haare fönte und frisierte.
Der Mann hatte glitschige, fettige Haare, die nach ranzigem Öl stanken, und verlangte - man fasste es nicht - trotzdem einen Trockenhaarschnitt.
Eins aber hatten diese Kunden gemeinsam: Trinkgeld gaben sie ihr beide nicht. Daniela hoffte umso inständiger, sie niemals wiedersehen zu müssen.
Sie beseitigte die letzten Spuren dieser unliebsamen Kunden und nahm deshalb gar nicht wahr, wie der junge Mann hereinkam und sich direkt auf einen der Plätze vor dem großen Spiegel setzte. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit sich, ihrem Beruf und der Welt bereits fertig. Und als sie diesen neuen Kunden bemerkte, wurde es auch nicht besser. Wie lange wollte Fred eigentlich noch an seiner Kundin herumzupfen? Daniela hatte nicht die geringste Lust, jetzt auch noch einen Verrückten zu bedienen. Sie machte sich erst an der Empfangstheke zu schaffen, räumte dann die Kaffeetasse von Freds Kundin weg und holte schließlich noch einen Stapel neuer Handtücher. Dabei beobachtete sie missmutig den jungen Mann im Spiegel.
Er war nicht nur bleich, sondern seine Haut sah geradezu wächsern aus. Der Kontrast, in dem die dunkelvioletten Ringe unter seinen Augen zu seiner gelblichen Gesichtsfarbe standen, wirkte fast schon schockierend. Das kommt eben davon, dachte Daniela unfreundlich, wenn man die Nächte durchsäuft und zuwenig schläft. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie sich am letzten Sonntag gefühlt hatte, als sie erst morgens aus der Altstadt nach Hause gekommen war. Und möglicherweise hatte sie nach dieser durchfeierten Nacht auch nicht viel besser ausgesehen als der junge Mann.
Er war recht groß und hatte auffallend große Füße. Daniela stellte missbilligend fest, dass er mit seinen nassen, klobigen Stiefeln den Boden um seinem Stuhl herum ganz schmutzig gemacht hatte. Wenn man ihn so ansah, musste man sich beinahe wundern, dass er genug Kraft besaß, diese schweren Stiefel zu tragen. Seine weit geschnittenen Hosen und sein locker fallendes, schwarzes Sweatshirt konnten kaum verbergen, wie hager er war. Vor allem wenn man seine Handgelenke und seine langen dürren Finger betrachtete, konnte man auf den Gedanken kommen, dass er nur aus Knochen bestand, die mit Haut überzogen waren. Tja, dachte Daniela giftig, das kommt davon, wenn man statt Nahrung lieber Hasch oder Ecstasy oder wer weiß was noch so alles zu sich nimmt.
Aber das Lächerlichste an ihm, das waren wirklich seine Haare. So etwas hatte Daniela in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen! Wie konnte ein Skelett mit dunkelvioletten Ringen unter den Augenhöhlen bloß auf die Idee kommen, sich eine Punkfrisur zuzulegen und sich den stacheligen Hahnenkamm obendrein auch noch knallgrün zu färben! Glaubte diese jämmerliche Gestalt wirklich, auf diese Weise attraktiver zu wirken? Warum hatten Frisöre es eigentlich so oft mit Irren zu tun, fragte sie sich. Denn dass dieser junge Mann übergeschnappt war, daran zweifelte sie keinen Augenblick.
Auch Fred und seiner Kundin war er schon aufgefallen. Daniela bemerkte, dass sie des öfteren heimlich zu ihm hinüber sahen.
Sie setzte ihr Berufslächeln auf und trat hinter ihn. Als sie ihm über die Schulter blickte, hätte sie beinahe losgeprustet. Da las doch dieses Knochengerüst tatsächlich in der Motorradzeitschrift, die Fred immer in den Salon mitbrachte! Als ob dieser Hänfling jemals auf einem Motorrad sitzen könnte! Ein leiser Windhauch würde ihn doch sofort vom Sitz blasen! Und man stelle sich bloß vor, wie sein Kopf auf dem dürren Hals wackeln würde, wenn er einen schweren Motorradhelm trüge!
Vielleicht bemerkte der junge Mann den höhnischen Glanz in ihren Augen. Wie ertappt schlug er die Zeitschrift zu und schob sie hastig unter einen Stapel anderer Illustrierten.
"Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?", fragte Daniela höflich, aber kühl.
"Vermutlich nicht viel!", dachte sie dabei unfreundlich. "Bei dir ist sowieso Hopfen und Malz verloren."
Der junge Mann räusperte sich. "Guten Tag!", sagte er. Seine Stimme klang unerwartet tief. "Ich möchte, dass Sie mir die Haare abrasieren."
Daniela war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
"Wie? Vollständig abrasieren?"
"Ja, ganz abrasieren."
"Sie wollen wirklich eine Glatze?", fragte Daniela ungläubig.
"Ja!"
Daniela ging erst einmal fort, um einen Frisierumhang zu holen. Warum wollte der bloß einen glattrasierten Schädel haben? Bildete er sich vielleicht ein, damit männlicher auszusehen? Oder wollte er etwa von den Punks zu den Rockern wechseln? Mit einer Rockerbande nachts auf Motorrädern über Landstraßen rasen? Sie grinste in sich hinein. Na, über dieses neue Mitglied würden sich die Rocker aber sicher freuen!
Sie legte ihm den Umhang um die knochigen Schultern und begann mit der Rasur. Der junge Mann sah auf seine Hände hinunter. Er sah nicht ein einziges Mal in den Spiegel. Als Freds Kundin endlich den Laden verließ, war Daniela mit ihrer Arbeit fast fertig. Der Schädel des jungen Mannes war kahl, doch man hatte den Eindruck, als läge immer noch ein leicht grünlicher Schimmer darauf.
"Leider, leider", dachte Daniela spöttisch, "macht eine grünliche Glatze noch keinen Mann aus!" Im Gegenteil! Sein Kopf wirkte nun viel kleiner als vorher und irgendwie zerbrechlich.
Der Himmel hatte sich inzwischen vollständig zugezogen, und der Regen rauschte immer stärker. Im Laden war es so düster geworden, dass man meinen konnte, es wäre Abend. Fred schaltete das Neonlicht ein, und der junge Mann hob kurz seinen Kopf. Daniela zuckte unwillkürlich zurück. Für einen Augenblick hatte sie fast das Gefühl gehabt, mit ihren Fingern einen Totenschädel zu berühren.
Da schepperte schon wieder die altmodische Glocke über der Ladentür. Eine ihr unbekannte Frau trat ein. Um die würde Fred sich wohl kümmern. Daniela hatte erst mal genug von Kunden. Warum lief heute eigentlich alles zum Frisör, fragte sie sich übel gelaunt. Es musste wohl am Wetter liegen.
Die Frau steuerte geradewegs auf sie zu. Daniela sah ihr entgegen. Hatte sie diese Kundin doch schon einmal bedient?
"Fertig?", fragte die Frau.
"Ja, gleich!", antwortete der junge Mann.
Daniela nahm ihm den Frisierumhang ab.
"Das steht dir doch gar nicht so schlecht!" Die Frau blickte prüfend in den Spiegel.
Der junge Mann zuckte mit den Schultern.
"Nein wirklich, das sieht gar nicht übel aus!" In ihrer Stimme klang so etwas wie Erleichterung.
"Zumindest ist es besser als Haarbüschel im Waschbecken.", sagte der junge Mann.
Erst jetzt sah Daniela, dass die Frau zwei Krücken mitgebracht hatte, die sie ihm hinhielt. Mühsam kämpfte der junge Mann sich aus seinem Sessel hoch. Daniela war sich unsicher, ob sie ihm dabei helfen sollte.
"Wir hatten geglaubt, es wäre vorbei", erklärte die Frau. "Aber nun braucht er doch wieder eine Chemotherapie."
"Mutter!", unterbrach sie der junge Mann sie unwirsch. "Lass doch! Komm jetzt!" Damit wandte er sich zum Gehen.
Während seine Mutter an der Kasse für ihn bezahlte, sah er Daniela kein einziges Mal an.

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Eingereicht am 21. September 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin.