Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Die Metamorphose

Kris Mund


Bea hatte braunes Haar mit sonnengebleichten blonden Strähnen, das lang und schwer herabhing. In der Schule galt sie als süß und sportlich.
Als sie in die Pubertät kam, begann auch ihre Experimentierlust. Sie wollte unbedingt Stufen in ihr Haar haben. Die Friseuse, eine nette Frau in mittleren Jahren, erklärte ihr, dass bei ihrer Haarstruktur (schwer!) wahrscheinlich Locken entstehen würden. Ja, dachte Bea, warum nicht?! Schnipp, schnapp, schnupp, ihre süße Stupsnase wurde nun umrahmt von braunen Locken und sie sah aus wie ein Rauschgoldengel. In der Schule wurde sie gefragt, wie das möglich sei, von glatt auf solche Locken zu kommen, ob sie jeden Morgen um 4 Uhr aufstünde, um sich Locken zu drehen und ähnliches mehr. Bea war amüsiert. Aber es war endlich die gewünschte optische Abwechslung und sie fühlte sich wohl. Als sie dann allerdings mit einer Rundbürste aus Draht versuchte, die Locken zu bändigen, das aber nicht gelang und die Bürste im Haar stecken blieb ... schnitt sie nach einem verzweifelten einstündigen Kampf die Bürste mit einer Schere heraus. Nun hatte sie ein Loch auf der rechten Seite. "Oh Schreck!"
Sie lebte in einem Internat, wo das Mittagessen in einem großen Rittersaal stattfand, in dem circa 150 Jungen saßen. Weder mit einer Bürste noch mit einem Loch im Haar wollte sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Ihr Taschengeld reichte nicht aus, um nochmal zum Friseur zu gehen. So nahm sie die nächstbeste Schere, die sie fand und schnitt an sich herum. Das Schneiden machte ihr Spaß, obwohl sie wusste, dass sie volles Risiko lief. Bei einer Verstümmelung gab es keinen Fluchtweg. Es wurden Klausuren geschrieben, sie musste zur Schule.
Sie schnibbelte weiter an sich rum und - wow ! - heraus kam ein sensibler Kopf a la "Sinead o Connor", sehr verletzlich und ein bisschen jungenhaft. Das gefiel Bea. Dieses Uneindeutige des Geschlechtes. Da sie von ihrem Charakter sowieso ein halber Junge war, passte das zu ihr.
Ihre optische Veränderung führte zu Reaktionen im Internats- und Schulbetrieb. Junge Menschen sind leicht zu beeinflussen. Nach dem anfänglichen Erstaunen über Beas "neuen look" geschah Denkwürdiges im Internat. Die Jungs fanden die Frisur "megacool", sie hatte Piloten- und Polizistenformat... So fanden sie.
Der kleine Stadtfrisör hatte auf einmal "Massenandrang".
Die Mädchen, von ihrer Erziehung her eher auf Schleifchen und Zöpfchen geprägt, fandens ebenfalls cool... die Eltern waren verzweifelt! Sie bekamen für die hinterlassene Pracht sogar noch Geld bezahlt und die Perückenindustrie freute sich.
Die Mode kommt, die Mode geht. Aber im ehemaligen Kadettenschloss zu Plön blieb der maskulin-sensible Stil erhalten. Selbst bei größeren Festlichkeiten und Bällen gab es keine Kleider, Langhaarfrisuren und Spangen mehr zu sehen. Jungs und Mädchen tanzten zusammen in Anzügen von Yves Saint Laurent und Jil Sander. Die beiden Couturiers wurden eingeladen und riefen: "Bravo! Endlich - das androgyne Zeitalter kann beginnen!"
Das Liebesleben hatte auch frischen Wind bekommen. Man liebte mehr Charakter, Persönlichkeit, Sensibilität, statt Puppentheater und Affektiertheit.
.... Und ob man homo, hetero oder hutero war, war völlig egal!
Ein zeitgenössischer Fortschritt, eingeleitet von der kleinen Bea mit ihren ehemals langen Haaren.




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Eingereicht am 19. September 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
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