ISBN 3-9809336-0-1
Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Militärschnitt
Eine Kurzgeschichte von Stephan Schulte Kattenbusch
Ich habe es an Susana's Reaktion bemerkt, als sich die Tür öffnete. Ich bediente noch einen anderen Kunden, doch als die Türglocke erklang, hob ich für einen Moment meinen Blick. Zwar konnte ich ihn von meinem Platz aus nicht sehen, doch sah ich im Spiegel das angstvolle Gesicht von Susana und die Zeichen, die sie ihm mit der Hand machte. Als wolle sie einen Hund verscheuchen.
Doch er ließ sich nicht einschüchtern.
"Wer ist es?"
"Es ist für dich. Ein neuer Kunde, der wissen möchte, ob du Zeit für ihn hast", antwortete Susana mit einer nicht ganz erholten Stimme.
"Lass ihn eintreten. In einem Moment bin ich hier fertig und kann ihn bedienen"
Von Anfang an haben wir es so aufgeteilt. Susana und Evelyn bedienen die Frauen, und ich bin für die Männer verantwortlich.
Ich bin eifersüchtig. Ich gebe es zu. Ich könnte nicht zusehen, wie Susana das Haupt eines anderen Mannes massiert. Zusehen, wie ihre Finger einen anderen streicheln. Sie lächeln sehen, ohne zu hören, was die anderen Typen zu ihr sagen und ohne ihre Antworten zu hören. Ich weiß nämlich ganz genau, was die anderen denken. Dass sie wie von Gott geschaffen ist. Umwerfend. Nicht umsonst habe ich sie geheiratet. Ich musste um sie kämpfen, anfangs widerstand sie, sie wollte nicht, doch schließlich habe ich sie zu meiner
Frau gemacht.
Ich weiß, dass alle ein Auge auf sie geworfen haben. Jene, die sie durchs Fenster sehen und entscheiden, es sei Zeit für einen neuen Haarschnitt, und jene die monatlich kommen, da der Mann von heute auf sein Aussehen achten muss. Ich hasse die Art, wie sie Susana ansehen. Aber es ist gut für das Geschäft. Aber die Männer, die bediene ich. Und wem das nicht gefällt, der kann gehen. Bitte sehr! Es gibt genügend Friseure in dieser Stadt.
Das hat mich noch misstrauischer gemacht. Der junge Mann, der gerade eingetreten war und an dem ich mich nicht erinnern kann, ihn vorher mal gesehen zu haben, schien nicht überrascht darüber zu sein dass Susana ihn nicht bediente, obwohl sie frei war. Er hat auch nicht protestiert. Im Gegenteil, als wäre es das selbstverständlichste der Welt setzte er sich auf einen Stuhl und wartete.
Um den Schein zu wahren, nahm er eine Zeitschrift. Ich habe ihn aus dem Augenwinkel beobachtet, während ich Herrn Condea zu Ende rasierte. Ich bin es gewohnt, dass die Männer ihre Augen nicht von Susana lassen können, doch dies war die Höhe. So offen, so unverschämt! Und jedes Mal, wenn sie glaubte, ich könnte sie nicht sehen, antwortete Susana mit diesem verführerischen Lächeln, das sie besitzt.
"Bitte, setzen sie sich. Wie möchten sie ihren Schnitt?"
"Kurz geschoren. Militärschnitt. Den Frauen gefallen die Militärs"
Er hat es extra gesagt. Ich weiß es. Ich bin mir sicher. Er wollte sehen, wie ich reagiere. Ich weiß nicht wie, aber er wusste, dass ich, seit dem was meinem Vater geschehen ist, die Militärs nicht ausstehen kann.
Ich hab darauf nicht geantwortet. Ich habe mich auf die Arbeit beschränkt, stumm, ohne ein Wort zu sagen. Auch er verstummte, beobachtete mich jedoch mit diesem verachtenden Lächeln. Ich verspürte so eine Lust, ihm einen Schlag in dieses verdammte Lächeln zu verpassen! Doch ich ließ mir nichts anmerken, er sollte nicht merken, dass ich bereits Verdacht geschöpft hatte.
"Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich fühl mich unwohl. Ich brauche ein Glas Wasser. Ich komme gleich zurück. Möchten sie auch ein Glas Wasser?", sagte ich laut, damit auch Susana es hören könne und verschwand ins Hinterzimmer.
"Hab ich dir nicht gesagt, du solltest nie hierher kommen? Bist du verrückt, hier einfach so aufzutauchen? Und wenn er es merkt?"
"Ich musste den Alten mal sehen. Und vor allem hielt ich es nicht mehr aus ohne dich".
Ich hatte es schon seit Wochen vermutet. Es begann alles, als ich hörte, wie Carmen zu Susana sagte, sie hätten sich ja seit Ewigkeiten nicht gesehen, und so weiter und so fort. Susana dagegen hatte mir nur zwei Tage vorher erzählt, sie hätte Carmen auf der Straße getroffen und sie hätten ein Kaffee getrunken und sich dabei verquatscht. Daher käme sie so spät. Ich tat so, als hätte ich nichts bemerkt, doch seitdem habe ich meine Augen und Ohren offen gehalten und habe noch weitere Indizien gefunden. Jedes für
sich unbedeutend, doch in ihrer Summe nährten sie meinen Verdacht, der heute seine Bestätigung fand.
Ich trat wieder in den Friseursalon ein, als wäre nichts geschehen, dankte dem Mann fürs Warten und fuhr fort mit der Maschine, ihm die Haare zu schneiden. Ich hätte ihm am liebsten eins in die Fresse gehauen, um ihm sein bescheuertes Lächeln aus dem Gesicht zu zaubern, doch ich hielt mich zurück. Ich wartete. Militärschnitt. Kurzgeschoren.
"Ich sage dir, den Frauen gefällt der Militärschnitt. Sie glauben, es ist ein Zeichen der Männlichkeit. Der nackte Kopf erinnert sie an etwas anderes. Sie lieben es, mit ihren Händen über meinen Kopf zu streichen."
Ich schwöre Ihnen, es war nicht geplant. Ich mache es immer. Da sie selber nicht dahinkommen, rasiere ich meinen Kunden immer am Ende eines Haarschnittes den Hals mit dem Rasiermesser. Damit kein einziges Härchen übrigbleibt.
"Wenn du mir nicht glaubst, dann frag doch deine Susana. Die wird es dir bestätigen können."
Die Wahrheit muss gesagt sein: er hat es selber herausgefordert. Ich hatte es nicht geplant und ich hätte es nie getan, so eifersüchtig ich auch bin. Aber dieser Idiot musste mich genau in dem Moment provozieren, in dem ich das Messer in der Hand hatte. Dafür muss man doch echt bescheuert sein, oder? Ich meine, was erwartete er? Dass ich ruhig bleibe?
Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten,
benutzen Sie bitte unser
Diskussionsforum.
Unser Autor ist sicherlich
genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser.
Eingereicht am 19. September 2003.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.