ISBN 3-9809336-0-1
Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Ruhetempel der Schönheit
Eine Kurzgeschichte von Peter H. Burger
Ich kam etwas zu früh und saß nun im Sessel, wartend auf eine der beiden Damen.
Ich blicke in den Spiegel, in dem sich alle Spiegel widerspiegeln, sehe so alle
Arbeitsplätze gleichzeitig und hinter mir auf die Prozedur, die urkomisch auf
mich wirkt. Da wird ein Frauenkopf in durchsichtige Plastikfolie gepackt, selbst
das Gesicht scheint bedeckt zu sein. Die Friseuse sticht nun Löcher in die Folie
und zupft einzelne Haarpartien hervor, die nun senkrecht hoch stehen. Fast wie
ein futuristischer Punkiekopf sieht dies aus und ich überlege, was dies hingibt.
Später erfahre ich, dass diese Strähnchen neu eingefärbt werden. Aber der Anblick
dieses Kopfes erheitert mich ebenso, wie der Junge neben mir. Wie ein Erwachsener
sitzt er da und lässt sich den Spiegel hinter den Kopf halten. Er nickt und ist
zufrieden. Jedesmal beim Frisör mache ich solche Beobachtungen im Spiegelkabinett
und lausche den Gesprächen. Was da alles bewegt wird, Getratsch, Sorgen, neueste
Moden, Gesundheitstipps, über eine Busreise wird berichtet und vieles mehr. So unbekümmert plaudern da die Menschen, wie selten wo. Hier bin ich Voyeur und lausche, was den Menschen auf der Seele liegt, was sie hier loswerden wollen. Nur hier scheinen sie offen darüber sprechen zu können. Die Friseusen hören geduldig zu, fragen nach und geben dazwischen eigenes zum Besten. Da fast alle schon Stammkunden sind, weiß diese genau, welches Thema interessant ist.
Der Frisiersalon als Nachrichtenbörse, mit den Haaren fallen alte Seelenthemen und Neues wird aufgenommen, dazwischen gelacht und Intimes leise geflüstert.
Früher wusste ich diese Eigenart der Frisöre zu nutzen, als ich als Werbeleiter
eines Theaters gerne die Frisöre mit Plakaten und Werbematerial versorgte. Wenn
ich Freikarten übrig hatte, gab ich diese einigen Frisören, denn dann wurde in
den nächsten Tagen dort über die Aufführung gesprochen. Auf den Tischchen die
Prospekte und Flugblätter, die hier gerne gelesen wurden, denn hier hatten die
Menschen Zeit dafür. Damals nutze und steuerte ich diese Besonderheit dieser
Ruhetempel der Schönheit. Denn jeder trat verwandelt aus der Tür, verändert
in der Ausstrahlung, mit neuem Selbstbewusstsein, gelüftetem Hirn und neuen Informationen.
Dies kommt mir alles in den Sinn, während ich da sitze und in den Spiegel blicke.
Sehe das Tattoo auf der Brust der Chefin, die immer mit viel Elan auch diesen
ansprechenden Seiten Geltung verschafft. Sehe die rotbunte Frisur der Azubi, die
aufmerksam alle Handreichungen macht, die gefallene Haarpracht wegkehrt und schon mal die Haare wäscht. Leidenschaftliche Massage der Kopfhaut, was sie dabei wohl denken mag? Der Kundin tut es sichtlich gut, wird wohl durch alle Nerven und Meridiane wandern, mit Ekstase im linken Knie. Es vibriert mit, ich kann es deutlich sehen. Wo es wohl noch durchzieht. Meine Phantasie lebt mit.
Wenn ich dann schließlich dran komme, ist all dieses Erleben vorbei, dann geht es in den Dialog mit meiner Friseuse und immer finden wir ein Thema, das die Zeit vertreibt.
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Eingereicht am 11. September 2003.
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