ISBN 3-9809336-0-1
Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Beobachtungen im Frisiersalon
Eine Kurzgeschichte von Svenja Vennemann
Ich sehe aus als, hätte sich eine riesige Staubflocke auf meinem Kopf niedergelassen. Der Entschluss steht fest: Ab zum Friseur!
Mein Stammfriseur Pablo schaut mich freudestrahlend an: "Hola, chica bonita! Was kann ich dir diesmal Gutes tun?" "Ich brauche eine Komplettbehandlung Pablo", sage ich. Seine Augen beginnen zu glänzen: "Schneiden? Vielleicht Strähnchen? Stufen?" "Überrasch mich!" sage ich und lasse mich auf einen Stuhl bugsieren. Als er voller Eifer beginnt mit Schere und Kamm zu hantieren, beginne ich mich zu entspannen. Ich sehe mich um. Der Salon ist brechend voll. Ich schaue mir die
verschiedenen Menschen an und beginne zu träumen. Die alte Frau dort hinten zum Beispiel. Sie guckt griesgrämig während Pablos Kollegin ihr eine kunstvolle Dauerwelle macht. Das ist bestimmt eine von diesen Hexen-Omas, die Kinder verabscheuen. Sie lebt bestimmt in einer kleinen düsteren Wohnung in der alles vom Sofa, über den Fernseher bis hin zu den Gardinen braun ist. Und überall stehen scheußliche Nippesfiguren herum. Ich schaue sie angeekelt an und sie schaut etwas entsetzt zurück. Na ja, egal, hat sie verdient
die alte Hexe.
In der hinteren Ecke des Friseurs sitzt eine junge Frau in meinem Alter. Sie hat ein Hochzeitskleid an und bekommt gerade die Haare gemacht. Sie sieht sehr zufrieden aus. Na, freu dich mal nicht zu früh, denke ich. Dein Mann ist bestimmt ein gutverdienender Geschäftsführer, gutaussehend, gebildet, intelligent und schrecklich langweilig. In zehn Jahren stehst du in deiner Edelstahlküche, brüllst nach den statistisch korrekten 1,7 Kindern, die in eurem perfekten Garten mit dem Hund Bello spielen, dein Mann hat
dreißig Kilo zugenommen und du verbringst die Zeit mit Putzen und Häkeln. Ich schicke ihr einen mitleidigen Blick, der ihr einen leicht irritierten Gesichtsausdruck entlockt.
Dann klingelt die Türglocke und herein kommt eine Frau Ende dreißig mit einem fetten kleinen Jungen, der vielleicht acht Jahre alt sein mag. Sie ist perfekt zurechtgemacht und schwebt in einer Wolke süßen Parfums. Einem wird fast sofort kotzübel von diesem Geruch. Ihre mindestens zwei Zentimeter langen pinken Fingernägel passen perfekt zu ihrer pinken Lackhandtasche und den Pumps. Die Nase des Jungen läuft und er guckt ziemlich griesgrämig durch die Gegend. Pablos Kollege Juan nimmt sich der Frau an und führt
sie zu einem freien Stuhl. Ihr Sprössling war gerade damit beschäftigt einen Zeitschriftenstapel umzuwerfen und wird nun von seiner Mutter hinter Juan her gezogen. Sie schaut verzückt zu als ihr Sohn auf dem Stuhl Platz nimmt und holt ein Taschentuch aus der Handtasche. Sie beginnt ihm imaginären Dreck aus dem Gesicht zu wischen. Er verschränkt seine dicken kleinen Arme vor dem Bauch und guckt etwa so fröhlich als würde es nie wieder Sommerferien geben. Ich kann mir genau vorstellen, was das für eine Familie
ist. Der Hausherr ist stinkreich und genauso falsch wie seine Goldzähne. Sie verbringt mehr Zeit im Schönheitssalon als im Haus und ist eine Giftschlange übelster Art. Der kleine Junge ist total verzogen und auf einer Privatschule, für die er wahrscheinlich viel zu dumm ist. Er schikaniert bestimmt andere Kinder und darf nur auf der Schule bleiben, weil Papi ein großzügiger Spender ist...
"Braun, oder blond?" Häh, braun oder blond, was hat das mit diesen Schickimickis zu tun? Ich bin verwirrt. "Hey Lena! Hallo?? Erde an Lena? Noch da?" Ich erwache aus meinen Träumereien und schaue Pablo verwirrt an. "Was? Wie bitte?" "Möchtest du braune oder blonde Strähnchen, hab ich dich gefragt", sagt Pablo leicht amüsiert. "Ach so, blonde bitte!", sage ich und schaue ihm zu wie er die Farbe mischt.
Mein Blick wandert zurück zu dem verwöhnten Jungen. Er hat gerade seinen Saft umgekippt und sieht nun interessiert Juan zu, wie er ihn aufwischt. Seine Mutter sitzt ein Stück abseits und ist völlig vertieft in eine Cosmopolitan. Jetzt schiebt Pablo mich zu den Trockenhauben und die Beiden verschwinden aus meinem Blickfeld. Als ich einen letzten Blick auf den Jungen werfe streckt er mir die Zunge raus.
Vor mir sitzt jetzt ein Mann Mitte sechzig, dessen weiße Haare gerade geföhnt werden. Das sieht aus, als hätte er eine Stachelfrisur und ich muss schmunzeln. Der war früher bestimmt mal in einer Rockband und hat Tausenden von Frauen das Herz gebrochen. Er war der Leadsänger und hat sich bei jedem Auftritt mit Bier volllaufen lassen. Sein Name damals war "Dangerous Jack" oder etwas ähnliches. Jetzt hat er sich zur Ruhe gesetzt und fährt nur noch ab und zu mit seiner alten Harley durch die Gegend. "So,
Herr Meier, wir wären dann soweit." sagt die junge Friseuse zu ihm. "Dangerous Jack Meier"? Das passt aber gar nicht gut.
Na ja, in diesem Moment kommt Pablo wieder und führt mich zum Waschbecken.
Während ich die leichte Kopfmassage genieße, sehe ich aus den Augenwinkeln, wie ein junger Mann zu einem der noch freien Plätze geführt wird. Er hat ein graues enges T-Shirt und gebleichte Blue Jeans an. Hmm, der sieht ja gar nicht übel aus, denke ich mir, während Pablo mir ein Handtuch um den Kopf schlingt und mich zurück zu meinem Platz geleitet. Toll jetzt kann ich den jungen Mann genau durch den Spiegel beobachten. Er sieht aus wie ein Frauenheld und bestimmt hat er eine Freundin, die er andauernd betrügt.
Aber mit diesen stahlblauen Augen kann man bestimmt nicht unauffällig sein. Ich sehe wie Juan auf ihn zu kommt. Oh, oh, das geht nicht gut. Juan ist für jeden auf Kilometer erkennbar schwul. Mit seinen knallengen gestreiften Hosen und seinem Lack T-Shirt in neongelb gibt er sich jedoch auch keine Mühe es zu verbergen. Solch ein Macho ist bestimmt ein furchtbarer Schwulenhasser. Ich beobachte gespannt wie es weitergeht. Juan kommt mit breitem Grinsen auf den Fremden zu. Der erhebt sich und... gibt ihm einen Kuss
auf den Mund!? Ups, wieder daneben, Das ist also Juans geheimnisvoller Freund. Ich sollte wirklich an meiner Menschenkenntnis arbeiten...!
Jetzt fängt Pablo an mich zu föhnen. Ich kann keine weiteren Leute beobachten. Als er fertig ist schaue ich mich an. Nun sehe ich aus, als hätte sich eine riesige Streifenhörnchen-Staubflocke auf meinem Kopf nieder gelassen. Ich danke Pablo und gebe ihm ein üppiges Trinkgeld bevor ich meinen kurzen Rock über der buntgestreiften Strumpfhose zurechtzupfe, meine giftgrüne Jeansjacke anziehe, im Spiegel noch mal mein Nasenpiercing zurechtrücke und mit meinen Lieblings-Docmartens zur Tür stapfe. Ich schaue mich um
und sage in Gedanken der Hexe, der 08/15 Braut, dem verwöhnten Gör und seiner Zickenmutter, dem Harley Opa und dem verkappten Schwulen Tschüss. Was gibt es doch für seltsame Menschen!
Ich bin schon aus der Tür, so dass ich nicht mehr höre wie die Hexe sich an die Schickimicki Frau wendet und sagt :"Mein Gott, was ist bloß aus der Jugend geworden, Frau Klaas-Hinrichs!" "Das können sie aber laut sagen, Frau Schulze, unmöglich!"
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Eingereicht am 08. September 2003.
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