Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Vergissmeinnicht - oder die Geschichte des "Autsch"

Eine Kurzgeschichte von Sandra Wilke


Natürlich ist meine Haus-und-Hof-Friseurin (nennen wir sie aus Pietätsgründen Gaby) die Beste von allen.
Sympathisch, flink, immer auf dem neuesten Stand und sehr um ihre Kunden bemüht.
Überhaupt sollte Gaby und ihren Branchenkollegen viel mehr gezahlt werden, denn das Friseurhandwerk ist ja fast schon Nebensache.
Nein, die Damen und Herren der Zunft sind unentgeltlich gleichsam Psychologen (warum hat mein Mann mich nur verlassen?), Ärzte (meinen Sie, dieser Ausschlag ist ansteckend?), Reiseführer (bestimmt kennen Sie die kleine Taverne in Venedig, gleich neben...) und noch einiges mehr.
Also absolut unterbezahlt.
Ich persönlich benötige keinen Rat aus obigen Bereichen, habe allerdings einen kleinen Makel, welcher vor jeder Behandlung angesprochen werden sollte - einen erbsengroßen Blutschwamm am Hinterkopf (nennen wir ihn der Einfachheit halber "Autsch").
Sicherheitshalber, keinesfalls aus Misstrauensgründen, verweise ich also jedes Mal auf dieses ach so empfindliche Gewebeteil, auf welches doch bitte Rücksicht zu nehmen sei.
Schliesslich kann man auch als Stammkundin nicht automatisch erwarten, dass den Magiern der Haarkunst jedes Kundengebrechen in Erinnerung bleibt.
"Natürlich habe ich daran gedacht", sagt Gaby und ich kann im Spiegel ein vielsagendes Grinsen ihrerseits erkennen.
Ganz klar, das war eindeutig geflunkert und wenn ich es nicht extra erwähnt hätte.....
Aber erst einmal kommt Azubi Heike, um mir die Haare zu waschen.
"Heike, denk doch bitte an...", "Ja, ich weiß Bescheid", erwidert das nette Mädchen.
Heike macht das fantastisch, mit kräftigen Fingern (und langen Fingernägeln) und dermaßen entspannend, dass sich jede Hirnschwartenmassage einer REHA-Klinik dahinter verstecken könnte.
Der Vorgang ist so richtig wohltuend, bis das gute Kind auf "Autsch" trifft.
Ein kleiner Streif mit einem ihrer Fingernägel, als wolle sie ihn chirurgisch entfernen (ich sage ja: Ärzte).
Nicht, dass der Schmerz übermenschlich ist, aber ein übles Stechen verspüre ich doch.
Da ich mich nicht wie die Kundin nebenan in Szene setzen will (deren offener Zeh will und will nicht heilen), aber auch nicht immer auf dem Thema "Autsch" herumreiten möchte, lasse ich lediglich mein linkes Bein vor Schreck nach oben und meinen Kopf aus dem Waschbecken schnellen.
"War das Wasser zu heiß?", fragt Heike. "Gut, dass es nicht der Blutschwamm war, auf den habe ich nämlich extra geachtet. Den spürt man ja auch kaum."
Ja, DU nicht, denke ich und gebe vor, aus einem Kurzschlaf ob ihrer Wellnesskünste hochgeschreckt zu sein.
"Was machen wir denn diesmal?", fragt Gaby, nachdem mein Schmerz abgeklungen ist. Ich denke an rötliche Färbung, aufgelockert durch schwarze Strähnchen.
"Vergiss aber bitte nicht meinen...." setze ich an.
"Selbstverständlich nicht", sagt Gaby, genau in dem Moment, als die feinen Zinken des Stielkamms "Autsch" an einer besonders empfindlichen Stelle treffen.
Gerade erst erholt, kann "Autsch" dieser neuerlichen Attacke rein gar nichts abgewinnen und beschert mir ein kopfschmerzähnliches Pochen unter der Haut.
Meine plötzliche Blässe wertet Gaby sogleich als den Druck der Alltagslast und prompt erkundigt sie sich, ob es mir denn auch gut geht (wie schon erwähnt: Psychologen). Ja wunderbar, alles bestens.
Glücklicherweise wird mein Haar jetzt eingefärbt und da Gaby Haarpartie für Haarpartie gründlich sowie vorsichtig bearbeitet, hat "Autsch" nichts zu befürchten. Die Wirkzeit verbringe ich mit einer Tasse Kaffee und den obligatorischen Klatschzeitungen.
"Oh weh, aua...rupfen sie doch nicht so doll", stöhnt eine andere Kundin, welcher man gerade das nasse Haar durchpflügt. Setzt dir mal meinen Kopf auf, dann hast du was zum Stöhnen, denke ich und lobe innerlich mich und meine Tapferkeit.
"Hat gut angenommen", erklärt Gaby ca. 20 Minuten später, als sie selbstzufrieden die neue Farbe meines Haares beäugt und setzt mir eine Gummihaube zwecks Erzeugung von Strähnchen auf.
Nicht nur, dass der ästhetische Effekt solcher Hauben gleich Null ist, auch lässt mich die bevorstehende Prozedur Schlimmes befürchten.
Ich wage noch einen letzten mutigen Vorstoß, indem ich abermals die Existenz von "Autsch" zur Sprache bringe.
"Ach ja, aber wo saß das nochmal?", fragt Gaby etwas ratlos.
Durch die Gummikappe ist die Anwesenheit von "Autsch" natürlich nicht mehr zu ertasten und angesichts des Strähnchen-Zupfgerätes bricht mir der kalte Schweiß us.
Sprach ich nicht auch von Reiseführern? Netterweise könnte Gaby die Gefahrenzone doch grob umschiffen, doch eine Rücksprache mit meiner Dame des Vertrauens ergibt, dass so ein Vorgehen den visuellen Gesamteindruck des bald neuen Kopfes extrem beeinträchtigen würde.
Also bleibt mir nur die Hoffnung, diesmal der Qual zu entgehen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt.
Fröhlich von Gott und der Welt plappernd, zieht Gaby in schnellem Rhythmus die Strähnchen heraus und piekst mitten in "Autsch" hinein.
Augenblicklich springe ich, vom Schmerz durchzuckt, aus dem Stuhl auf und erschrecke damit meine Wohltäterin fast zu Tode.
"Oh, mein Gott", ruft Gaby völlig entsetzt, "das tut mir wirklich leid. Dabei habe ich so aufgepasst".
Benommen nehme ich wieder Platz und quetsche durch meine zusammengebissenen Zähne hervor, dass so etwas ja jedem mal passieren kann.
Nein, mir geht es gut und die Tränen in meinen Augen sind eine im Yogakurs erlernte Fähigkeit der Selbstreinigung.
Auch um das Zittern meiner Hände muss nicht so ein Aufhebens gemacht werden und Hyperventilieren gehört bei mir praktisch zur Tagesordnung.
Unter unzähligen Entschuldigungen wird das Werk an mir vollendet und immer wieder muss ich versichern, dass die Welt noch in Ordnung ist.
So verlasse ich kurz darauf den Salon mit einem Erste-Sahne-Styling und der festen Gewissheit, dass ich mich vor dem nächsten Friseurtermin wohl von "Autsch" trennen werde.




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Eingereicht am 13. August 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
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