Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
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Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"

Der Vinylkopf

Eine Kurzgeschichte von Heidi Muell


Kennt Ihr diese Vinylpuppe, die eigentlich gar keine richtige Puppe ist, weil sie nur aus einem einzigen Körperteil besteht, nämlich dem Kopf? Dieser Puppenkopf kann auf der Tischplatte stehen und hat zumeist einen üppigen Haarschopf, an dem sich die Puppen-Friseurin mit Hilfe von Kamm, Spangen, Färbemitteln, Lockenwicklern und allem möglichen Zubehör nach Herzenslust austoben kann.
So eine Puppe - die musste einfach her, auch bei mir, die ich doch meinen Traumberuf schon im Alter von sieben Jahren festgelegt hatte. Ich konnte meinen 10. Geburtstag nicht erwarten, an dem ich mir einen solchen Frisierkopf wünschte und selbigen auch bekam.
Etliche Jahre später stand ich zum ersten Mal vor einem anderen Kopf.
Der stand nicht auf einer Tischplatte, sondern saß auf einem menschlichen Körper und war in seiner Beschaffenheit ganz, ganz anders als der gewohnte Vinylkopf. Er war bei weitem nicht so griffig. Er gab nach. Er drehte sich in Richtungen, die ich nicht selber bestimmen konnte.
Und, was das Schlimmste war: dieser Kopf konnte sprechen. Dadurch brachte er eine angehende Friseurin wie mich vollkommen aus dem Konzept, denn musste ich mich nicht mit voller Aufmerksamkeit auf meine Arbeit an dem Haar konzentrieren?
Schade, dass die Spielzeughersteller nicht daran gedacht haben, einen sprechenden Vinylkopf zu erfinden. Dann wäre ich an meinem ersten Tag nicht derart irritiert worden.
Und heute war schließlich mein allererster Tag in einem echten Frisiersalon.
Er begann ja noch relativ harmlos und eigentlich eher langweilig, indem ich angewiesen wurde, Kaffee zu kochen. Darin hatte ich vorher zuhause bei meiner Mutter einen Schnellkurs absolviert. Dann sollte ich diverse Kämme und Scheren reinigen und bereit legen.
Als nächstes wurde von mir verlangt, den Kundinnen den inzwischen durchgelaufenen Kaffee anzubieten. Jetzt wurde es schon brenzliger. Aber ich hatte keine Wahl, da musste ich durch. Das Risiko eingehen, den willigen unter ihnen den selbstgebrauten Kaffee nebst Tassen, Löffeln, Zucker und Milch möglichst ohne zu Schwappen vorzusetzen und aus einiger Entfernung ängstlich ihren Gesichtsausdruck nach dem ersten Schluck zu beobachten. Hatte meine Mutter mir alles richtig gezeigt? Vielleicht hätte ich den Crash-Kurs doch etwas ausdehnen sollen..... Aber der Ausdruck der ersten Testkundin veränderte sich nicht, auch ihre Gesichtsfarbe blieb dieselbe, also verbuchte ich stolz mein erstes Erfolgserlebnis als Friseurin für mich.
Zwischendurch durfte ich beim Kopfwaschen zusehen, um mir die Technik einzuprägen.
Dann gab es diverse Lesezirkel-Zeitschriften auszuteilen, wofür ich dankbares Nicken erntete - ein weiteres Erfolgserlebnis.
Dann kam es.
"Evi, bitte wasch doch bitte der Frau Schöffmann den Kopf!"
Dies war also der Augenblick, wo ich zum ersten Mal vor einem quicklebendigen sprechenden Kopf mit zugehörigem sitzenden Unterteil stand. Ich rollte ihn vorschriftsgemäß in seinem Frisierstuhl an das Waschbecken. Hier begann er schon. Der Unterschied zum Vinylkopf. Dieser hier, an dem ich mich üben sollte, der musste sich nach hinten lehnen, bevor ich mit meiner Aktion beginnen konnte. Fühlte sich eigenartig an, so ein fremder haariger beweglicher Kopf. Er quietschte auf, als ich versehentlich vergaß, das Wasser richtig zu temperieren. Das brachte meine an Vinylköpfen eintrainierte Selbstsicherheit ziemlich ins Schwanken. Doch es passte dann alles, und das Waschen und Massieren des Kopfes machte auch tatsächlich richtig Spaß. Anschließend Abtrocknen - und ich wurde zur nächsten Kundin geschickt, um dasselbe Spielchen noch einmal zu vollziehen und Übung zu bekommen.
Ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich meine Vinylpuppe ja nicht nur zum Frisieren benutzt hatte. Da waren auch Schminkutensilien dabei gewesen, und so fragte ich die Dame vor mir, deren Haar ich soeben trocken gerubbelt hatte, wie es denn mit dem Schminken aussähe. Sie schaute mich fragend an.
"Ah, Sie meinen Augenbrauen und Wimpern färben? Ja warum eigentlich nicht - da wär ich zwar jetzt nicht von selbst drauf gekommen, aber es ist eine gute Idee! Machen Sie das!"
Nachdem ich meiner Kollegin also beim Föhnen zugeschaut und sie den letzten Schliff an der Frisur meiner potentiellen Schminkpremierekundin angelegt hatte, durfte ich selbständig das Färben der Wimpern und Augenbrauen vornehmen. Nun ja, um ehrlich zu sein, ich schummelte etwas und schwindelte meine Kollegin an, ich hätte diese Prozedur bereits mehrmals erfolgreich gemacht. Was ja auch eigentlich gar nicht gelogen war. Das Beweisobjekt stand zuhause in meinem Zimmer auf der Tischplatte.
Die Augenbrauen gingen dann auch tatsächlich prima. Bei den Wimpern war es bedeutend schwieriger, zumal meine "Patientin" es partout nicht hinkriegte, wenigstens eine einzige Minute lang nicht zu zwinkern. Ich begann meinen Vorschlag zu bereuen, musste mehrmals wegwischen, was daneben geraten war - schließlich gelang es mir unter viel Eigenschweißtreiberei mehr schlecht als recht. Und, Gott Lob, die Kundin war ganz zufrieden mit dem Ergebnis, zumindest mäkelte sie nicht daran herum.
Als nächstes durfte ich beim Strähnchenmachen helfen. Nie hätte ich gedacht, dass das so langweilig sein kann. Meine Arbeit bestand darin, Alufoliestreifen für Alufoliestreifen rüberzureichen, die meine Chefin dann als Trennmittel in die Strähnchen des vor ihr befindlichen Kopfes hineintat, worauf sie jedes Haarsträhnchen mit Farbe einpinselte. Während durch meine Finger unzählige solcher Alufoliestreifen wanderten. Fließbandarbeit ohne fließendes Band.
Meine Hilfe beim Reichen der Dauerwellenwickler war genau derselbe stupide Salat. Wenn ich sie doch wenigstens selbständig hätte eindrehen dürfen.
"Nein, da müssen Sie etliche Male zuschauen, bevor ich Sie da heran lasse, aber bitte schauen Sie aufmerksam zu - dafür gibt es nämlich eine ganz besondere Technik, die wiederum abhängig ist von der Beschaffenheit der Wirbel....", ich hörte mir die Theorie etwas gelangweilt an und reichte monoton einen neuen Wickler herüber.
Meine nächste Arbeit war etwas kreativer: abgeschnittenes Haar zusammenfegen. Das Kreative daran lag in meiner Fantasie: es war Haar von unterschiedlichen Leuten, und ich malte mir aus, wie aus diesen verschiedenen Haaren wohl eine peppige Perücke entstehen könnte.
Inzwischen tat mir mein Rücken ganz schön weh von der ständigen Steherei und Lauferei.
Aber da gab's nix - ich hatte noch eine Menge zu lernen bis zur Eröffnung meines eigenen Salons




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Eingereicht am 12. August 2003.
Herzlichen Dank an die Autorin.
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