ISBN 3-9809336-0-1
Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Ein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb "Im Frisiersalon"
Wieder einmal zum Friseur
Eine Kurzgeschichte von Melina Marinos
Ich verschränkte meine Finger unter dem schwarzen Kittel, der mit einem Band etwas zu fest um meinen Hals gebunden war und wartete auf die Aufforderung, meinen Kopf an den Beckenrand des fahrbaren Waschbeckens zu lehnen.
"Wenn Sie sich bitte zurücklehnen würden", bat mich schließlich das Lehrmädchen hinter mir höflich aber bestimmt.
Ich lehnte mich zurück, sodass ich mit dem Genick zwischen dem vorgesehenen Spalt und mit dem Kopfende am Beckenrand auflag. Ich versuchte mich zu entspannen und begann die Einkaufsliste in Gedanken abzurufen, als es plötzlich sehr heiß auf meiner Kopfhaut wurde und ich reflexartig die Finger unter dem Kittel ineinander krampfte. Noch bevor ich schreien konnte, kühlte ein kalter Schauer die verbrühte Stelle, die ich bildlich vor mir sah, wie die kreisrunde Glatze eines alten Mannes.
"Passt die Temperatur?" Anscheinend hatten die Hände des Lehrmädchens vom dauernden Kontakt mit Chemie jegliches Gefühl verloren.
"Ja, danke." Lieber zu kalt als zu heiß, dachte ich mir noch etwas geschockt.
Ich war froh über diese Entscheidung, da die Temperatur während des Waschvorganges konstant anstieg.
Als mir das Lehrmädchen geschickt die Kopfhaut mit Haarshampoo massierte, begann ich mich allmählich wieder zu entspannen. Wieder rief ich mir die Lebensmittel in Erinnerung, die ich nach meinem Friseurbesuch in neuer Montur besorgen wollte. Milch, Brot, ...
"Möchten Sie vielleicht noch einen Balsam?", fragte das Lehrmädchen mit lieblicher Stimme, nachdem sie das Haarshampoo wieder ausgewaschen hatte.
"Ich glaube, das ist nicht notwendig", sagte ich zur Decke, dachte dabei an die wahrscheinlich ohnehin hohe Rechnung und ergänzte das Wort Balsam auf meiner imaginären Einkaufsliste. Meine Haare hatten einen Balsam für sprödes und gebrochenes Haar wirklich nötig.
Das Lehrmädchen rubbelte meine Haare trocken und führte mich anschließend zu einem freien Platz vor dem großen Spiegel. Ich betrachtete mich geschockt ohne die Möglichkeit, mich abzuwenden. Schließlich schweifte mein Blick von meinem eigenen erbärmlichen Spiegelbild zu den anderen unfertigen Werken und ich wurde wieder ruhiger.
Ich schielte von einer alten Dame mit weißen Haarsträhnen durch die die Kopfhaut schimmerte zu einem jungen Mädchen, das gerade Strähnchen bekam. Sie musste lange lange Zeit mit dem Kopf auf dem Waschbeckenrand verbringen. Ich bemitleidete sie wirklich, schließlich hatte ich jetzt noch Verspannungen.
Dann kam die Friseurin zu mir - kaum viel älter als das Lehrmädchen vorhin - dafür mit einer tollen Lockenpracht, um die ich sie wirklich beneidete. Sie fragte mich nach meinem Frisurenwunsch, wie kurz, ob gefärbt oder eine Dauerwelle.
Ich sah meine Haare an, die noch feucht und leblos auf meinen Schultern lagen und entschloss mich schweren Herzens, es ganze drei Zentimeter zu kürzen. Die Friseurin meinte, dass dies eine gute Idee wäre, da meine Haare schon sehr kaputt wären. Sie würde mir auch ein paar Stufen hinein schneiden, wenn ich nichts dagegen hätte. Ich vertraute ihr meine Haare vollkommen an und lehnte mich, in der Hoffnung, bald eine volle Löwenmähne zu besitzen, in meinem Stuhl zurück.
Ich bewunderte die Fingerfertigkeit der Friseurin, wie sie mit ein paar flinken Handbewegungen meine Haare auf den frisch gekehrten Boden beförderte.
Zu guter letzt gab sie zwei Hände voll Schaum auf meinen Kopf und verteilte ihn. Nachdem ich gefönt und meine Haare inklusive Wimpern mit Haarspray zugekleistert wurden, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Es schien, als wären mir nochmals so viele Haare gewachsen, wie ich sie vor dem Friseurbesuch besessen hatte. Meine Frisur sah toll aus. Ich betrachtete meinen vollen Hinterkopf durch das Spiegelbild des kleinen Handspiegels, den mir die Friseurin hinhielt. Ich war begeistert.
Doch plötzlich dachte ich daran, dass ich noch einkaufen gehen musste und auch kein Chauffeur samt Ballkleid und Einladung zu einem Ball vor dem Friseursalon wartete, wie ich vor einem kurzen Moment noch vor mich hin geträumt hatte.
Als ich auf der Strasse stand, war mir mulmig zumute. Die vorbeigehenden Passanten schienen mich anzustarren. Eigentlich nicht mich, sondern meine neue Frisur. Ich betrat flotten Schrittes den Supermarkt und versuchte alle Produkte in einem einzigen Durchlauf zu finden, was mir nur fast gelang.
Mit gesenktem Blick stellte ich mich bei der Kassa an und hoffte niemandem zu begegnen, den ich kannte.
Zu Hause angekommen wusch ich mir zu allererst die Haare, fönte sie wie gewohnt und ohne jegliche Hilfsmittel wie Fönschaum oder Spray. Meine Wirbel, an die ich mich mit der Zeit gewöhnt hatte, setzten sich wieder wie immer durch. Auch die Fülle brachte ich nicht wieder zustande. Kurz gesagt, ich sah wieder aus wie immer, nur mit frisch geschnittenen, gesunden Haaren. Der Friseurbesuch hatte sich doch gelohnt!
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Eingereicht am 08. August 2003.
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