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Lunazauber
Von Camilla Sitte
"Der Mond ist so schön", meinte Anna. Sie stand am Balkon und blickte hinauf. Hinauf, dem Himmel entgegen, und ganz hoch oben war der Mond. Vollmond. Ein schöner großer weißer Ballon. Schwebte einfach so in der Luft. "Er wird von silbernen Seilen gehalten", flüsterte Anna, "und wenn man oben ist, am Mond, steht man auf silber glitzerndem Sand. Er ist feinkörnig und angenehm, wenn du barfuß unterwegs bist. Und die Flüsse und Seen am Mond sind nicht mit Wasser sondern mit Sternenstaub gefüllt.
Fühlt sich so wie Wasser an, nur zarter.
"Anna, träumst du wieder solchen Unsinn vor dich hin?", fragte ihre Mutter, die eben gekommen war. "Jede Nacht stehst du hier und beobachtest den Mond. Und denkst dir allen möglichen Unsinn darüber aus." "Ich habe mir den Mond von klein auf so vorgestellt. Er ist ein friedvoller Ort, ohne Krieg und wenn du genau hinhörst, Mama, kannst du ihn hören" "Anna! Red nicht so einen Unsinn! Du bist 14 Jahre alt, mein liebes Kind!", sagte ihre Mutter und schüttelte den Kopf. "Es
ist die Stimme des Mondes, Mama. Ich kann sie fühlen." "Man kann Stimmen nur hören, nicht fühlen! Und jetzt hör auf, so einen Unsinn zu glauben!", meinte ihre Mutter. "Sie ist da, die Stimme des Mondes. Ich kann sie hören und fühlen", sagte Anna, ohne ihren Blick vom Mond abzuwenden. "Und was sagt sie?", fragte ihre Mutter spöttisch. "Komm zu mir, Anna, sagt sie, der Mond ruft mich, ich soll zu ihm kommen...", sagte Anna leise und verträumt. "Also, jetzt machst
du mir Angst, Kind. Hör endlich auf, solchen Schwachsinn zu reden, und geh ins Bett!", schimpfte Annas Mutter. Anna wollte ihre Mutter nicht noch wütender machen, also ging sie langsam ins Bett.
Anna schlief ein und träumte. Sie träumte vom Mond. Wie fast jede Nacht. Er war vor ihr, doppelt so groß wie sonst, und er rief ihr zu: "Anna! Komm endlich! Komm zu mir! ... Anna, ich brauche deine Hilfe... Anna!" Anna wachte schweißgebadet in ihrem Bett auf. Sie war aufgeregt. Der Mond hatte sie zwar schon oft gerufen, aber noch nie hatte er um Hilfe gerufen. Anna stand vorsichtig auf und ging aus ihrem Zimmer. Wenig später war sie am Balkon. Sie schaute den Mond an. Hell wie jeden Abend stand er hoch
am Himmel. "Ich möchte dir gerne helfen, Mond, aber ich weiß wirklich nicht, wie!", sagte Anna. Sie hörte wieder die Stimme des Mondes. "Komm zu mir" "Kann ich nicht. Ehrlich", sagte Anna enttäuscht und wartete auf eine Antwort vom Mond. Aber sie blieb aus. Nach einer Weile ging Anna wieder ins Bett.
Am nächsten Morgen ging Anna zur Schule. Sie hatte keine Freundin in ihrer Klasse, weil sie so schüchtern war. Anna hasste ihre Schüchternheit, aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie redete nicht mit ihren Mitschülern, und diese dachten, Anna wäre sich zu gut, um mit ihnen zu reden und redeten nicht mit ihr. "Wir machen in den nächsten Wochen Referate", sagte ihre Klassenlehrerin., "Jeder muss eines machen. Das Thema könnt ihr euch aussuchen." Die Klasse redete wild durcheinander. "Ich
mach Robbie Williams!!!" "Ich mach Drogen!" "Ich referiere über Alkohol!" "Ich mach ein Referat über Selbstmordversuche!!!" Anna schüttelte unmerklich den Kopf. Diese Themen interessierten sie überhaupt nicht. Sie hob ihre Hand. "Ja, Anna?" "Ich möchte ein Referat über den Mond machen", sagte Anna entschlossen. In der Klasse wurde es still. "Über den Mond?", fragten manche erstaunt. Einige rümpften die Nase. Aber Anna war sich sicher: sie würde
über den Mond referieren.
Der Tag des Referats war gekommen. Aufgeregt trat Anna vor die Klasse. "Ich referiere über den Mond", begann sie, "Die Oberfläche ist silberner, feinkörniger Sand. Der Mond wird gehalten von silbernen Seilen. Es gibt keine Jahreszeiten, sondern es ist immer gleich warm. Am Mond hat es ca. 30 Grad. Die Wesen, die am Mond leben, werden Moondweller genannt. Sie schauen aus wie Menschen und verhalten sich ähnlich. Aber sie können fliegen und haben einen höheren IQ als wir." Annas Augen begannen
zu strahlen. "Der Mond ist von Milliarden Sternen umgeben. Es gibt auch ganz normale Bäume am Mond, die grün und braun sind, und Flüsse und Seen bestehen aus Sternenstaub, der sich anfühlt wie Wasser. Den Mond umgibt etwas Geheimnisvolles. Er ist noch relativ unerforscht und das bleibt er hoffentlich auch." So endete Annas Referat. Die Klasse begann laut zu lachen. "So eine Spinnerin!", riefen alle durcheinander. "Die gehört in die Irrenanstalt." "Ich hab ja immer gesagt, dass
diese Anna nicht ganz dicht ist!", riefen ihre Mitschüler. "Wir holen eine Zwangsjacke für Anna!", brüllten zwei Mädchen los. Alle lachten und johlten. Sie lachten Anna aus. Anna kämpfte mit den Tränen. Sie hatte sich den Mond immer so vorgestellt. Das war ihr Bild vom Mond. Für sie war es so logisch, dass der Mond von silbernen Seilen gehalten wurde, wie es für andere logisch war, am Abend ins Bett zu gehen. Sie hatte sich das nicht erträumt. Es war einfach so. "Anna, ich habe gedacht, du
nimmst diese Referate ernst! Stattdessen machst du dich darüber lustig und erfindest allerhand Blödsinn über den Mond! Das hätte ich nicht von dir gedacht!", sagte die Lehrerin wütend. Anna konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie stürmte aus ihrer Klasse. Sie weinte leise. Dann rannte sie nach Hause. Sie rannte auf den Balkon, wo sie sich immer am geborgensten gefühlt hatte. Aber der Mond war nicht zu sehen, da es Tag war. Anna schluchzte. "Wieso glaubt mir niemand?" Dann fasste sie einen Entschluss. Langsam stieg sie aufs Balkongeländer. Die Tränen rannen über ihre Wangen. Ich kann so nicht mehr weiterleben. Ich halte das nicht aus. Niemand glaubt mir. Alle lachen mich aus. Vielleicht, bin ich ja wirklich verrückt. Aber
es kann so nicht mehr weitergehen. Ich halte das nicht länger aus. Anna sprang vom Balkongeländer. Hart schlug sie unten am Beton auf. Sie hatte sich das Genick gebrochen.
Anna wachte auf. Alles um sie herum war blau. Sie schwebte irgendwo herum. Die Schwerkraft war nicht vorhanden. "Bin... bin ich tot?" Aber sie bekam keine Antwort. Sie bewegte sich etwas vorwärts. Dann tauchte plötzlich vor ihr, wie aus dem Nichts eine Tür auf. Anna öffnete sie. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Anna wachte wieder auf. Allerdings war sie nicht mehr in dem blauen Raum und die Schwerkraft war auch wieder da. Sie lag am Boden. Genauer gesagt, sie lag in silbernem Sand. Feinkörnig. Anna setzte sich kerzengerade auf. Das war Mondsand! So hatte sie sich Mondsand immer vorgestellt. Mondsand, wohin das Auge blickte. Und viele Bäume. So wie auf der Erde. "Willkommen Anna", sagte da plötzlich eine Stimme hinter ihr. Sie fuhr herum. Und stand einem alten Mann gegenüber. "Bin ich tot?", fragte
sie ihn. "Zum Glück nicht, Moon fighter Anna", sagte der alte Mann schmunzelnd. "Was? Moonfighter? Wo bin ich?", fragte Anna ängstlich. "Oh, du weißt wo du bist", sagte der alte Mann langsam. "Am Mond. Ich bin tatsächlich am Mond?", Anna glaubte zu träumen. "Aber, ich bin vom Geländer gesprungen und..." "und die Kraft des Mondes hat dich gerettet", vollendete der alte Mann den Satz. "Wow. Alles ist so, wie ich es mir von klein auf vorgestellt habe.
Aber, wieso habe ich gewusst, wie es am Mond aussieht?", fragte Anna verwundert. "Manche Sachen weiß niemand. Aber eines steht fest. Der Mond hat dich geholt, weil er deine Hilfe braucht. Ich bin der Weise des Mondes. Sein Berater", sagte der alte Mann. "Und, wieso braucht der Mond mich?", fragte Anna. "Das soll er dir selbst erzählen. Höre, lausche der Stimme des Mondes." Anna konzentrierte sich auf die Stimme des Mondes. Von hier war sie viel deutlicher zu hören als von der
Erde. "Anna. Ich ernenne dich zum Moon fighter. Ich, der Mond und seine Bewohner, die Moondweller sind in großer Gefahr. Vor Hunderten Jahren wurde eine Vorhersagung gemacht: Wenn der Mond eine Milliarde Jahre alt ist, wird ein Moondweller geboren werden. Sein Herz wird böse sein und er wir mit Hilfe eines schwarzen Steins den Mond vernichten. Kein Moondweller wir ihn aufhalten können, aber es wird ein Mädchen, ein Erdenmädchen geboren werden, das es kann. Es kann ihn vernichten, indem sie den schwarzen
Stein neutralisiert."
Anna schwieg. "Anna. Dieses Mädchen, bist du. Ich ernenne dich hiermit zum Moon Fighter. Hier hast du einen Stab. Mit ihm kannst du den schwarzen Stein neutralisieren. Achte darauf, denn wenn er kaputtgeht, kann ich, also der Mond nicht mehr gerettet werden. Viel Glück auf deiner Mission, Moon Fighter Anna!"
Anna hatte verstanden. Sie würde den Mond retten. Sie nahm den Stab entgegen. "Wie kann ich den Feind finden?", fragte Anna. "Der Stab erkennt ihn", sagte der Weise.
Anna war jetzt schon Stunden unterwegs. Sie hatte schon viele Moondweller getroffen, aber keiner war der Feind. Sie hatte sich auch ein Messer gekauft, sicher war sicher. Dann traf sie auf ihrem Weg auf eine düstere Gestalt. Der Stab leuchtete auf. "Er ist es" "Stopp! Bleib stehen! Ich bin Moon Fighter Anna, und ich fordere dich zum Duell heraus. Wenn ich gewinne, bekomme ich den schwarzen Stein!" Die düstere Gestalt kam näher. "Du hast keine Chance gegen mich, aber wenn du meinst..."
Die düstere Gestalt zog ein Schwert heraus. Anna nahm ihren Stab fest in die Hand. Der Fremde schlug auf sie zu, aber Anna machte einen Satz nach hinten und wich aus. Dann schlug sie mit ihrem Stab nach ihm, aber der schwarze Stein, den der Fremde in seiner anderen Hand hatte, hielt allen Schaden von ihm ab. "Ich kann dich nicht verletzen...", schrie Anna. "Tja, der Stein schützt mich" Wieder wich Anna einem Schwerthieb aus. Dann machte sie einen Salto rückwärts. "Du bist geschickt. Nur,
wie lange hältst du noch durch?" Ich muss versuchen, den Stein zu neutralisieren, dachte Anna. Sie versuchte, mit ihrem Stab den Stein zu berühren, aber der Fremde war schneller und schlug ihren Stab mit seinem Schwert entzwei. Der Stab leuchtete kurz auf und zerbröselte dann zu Staub. "Nein!", schrie Anna. "Jetzt hast du keine Möglichkeit mehr, den Mond zu retten!", sagte die düstere Gestalt. "Nein, eine Möglichkeit gibt es noch!", sagte Anna und zog verzweifelt den Dolch heraus.
"Ich werde zum zweiten Mal sterben, aber der Mond ist dann in Sicherheit!" Sie stach sich den Dolch ins Herz. "Wenn ein Mensch sein Leben... für den Mond... gibt.....", keuchte Anna, "dann wird... automatisch.... der schwarze... Stein... ver... nichtet."
"Und so ist Anna zum zweiten Mal gestorben", meinte der alte Mann. "Ja, und der schwarze Stein ist erloschen, und hat seine Wirkung verloren, und ich bin gerettet", sagte der Mond. "Es tut mir Leid um Anna", sagte der alte Mann bedauernd, "Woher hat sie eigentlich gewusst, dass du gerettet wirst, wenn sie sich opfert?" "Das weiß ich nicht. Aber Anna war immer ein geheimnisvolles Mädchen. Siehst du den neuen Stern am Himmel? Er leuchtet am hellsten von allen. Das ist
sie..."