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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Abschied

Katharina Schwarz


Ich habe immer gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Nun ist er da, aber trotzdem bin ich irgendwie unvorbereitet. Es gibt noch so viele Dinge, die ich mit ihr bereden wollte… Ich schaue sie an und Erinnerungen stürzen auf mich ein: Oma, wie sie in der Küche steht und ein leckeres Essen zaubert; Oma, wie sie mir zum Nachtisch noch ein Eis erlaubt; Oma, wie sie im Schwarzwaldurlaub auf einer Bank im Wald sitzt und Geschichten aus ihrer Zeit in der Hühnerei erzählt; Oma, wie sie auf dem Balkon sitzt und Däumchen dreht, dabei die Drehrichtung abwechselt; Oma, die so phantastische Gedankensprünge machen konnte: "…es gibt Männer, die schlagen ihre Frauen…da hängt er ja, der Kerl!" (gemeint war eine Fliege, die sie 30 Minuten vorher versucht hatte zu erschlagen); Oma, wie sie beim familiären Kartenspielen ohne mit der Wimper zu zucken ihre letzte Karte ausspielt und gewinnt; Oma, die noch im stolzen Alter von über 90 mit mir politisches Geschehen in Deutschland beredet….
All diese Erinnerungen überschwemmen mich, doch die Realität holt mich wieder ein. Sie schläft unruhig. Ich streiche ihr eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht, meine andere Hand streichelt sacht über ihren Arm. Leise flüstere ich ihr zu: "Lass los, geh, ich kümmere mich um alles. Ich hab dich lieb!" Ich hauche ihr einen letzten Kuss auf die Stirn, dann drehe ich mich um, gehe in Richtung Tür. Meine Mutter und meine Tante sitzen an ihrem Bett. Zögerlich drücke ich die Türklinke hinunter. "Ruft mich an, wenn ihr mich braucht, ok?" Meine Tante nickt, meine Mutter hält nun Omas Hand fest. Mehr Worte sind nicht nötig. Auf Zehenspitzen verlasse ich das Krankenhaus, die Uhr zeigt 23:08 Uhr an. Im Auto lasse ich meinen Tränen freien Lauf. Als ich mich wieder gefasst habe, fahre ich nach Hause. Ich bleibe fast die ganze Nacht wach, eine innere Unruhe hat mich gepackt. Mein Handy liegt immer in meiner Nähe, ich nehme es sogar mit ins Badezimmer zum Zähneputzen. Gegen Viertel nach 4 siegt die Müdigkeit und ich lege mich ins Bett.
Um 9:30 Uhr erhalte ich eine SMS von meiner Mutter: "Oma hat es geschafft, sie ist heute Nacht um 4 Uhr über die Regenbogenbrücke nach Hause gegangen."
In Erinnerung an meine Oma, die heute Nacht (13.05.04), 10 Tage vor ihrem 94. Geburtstag gestorben ist.




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