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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

"Jetzt"

Harald Haemmerle


Laufe nicht der Vergangenheit nach,
verliere dich nicht in der Zukunft.
Die Vergangenheit ist nicht mehr,
die Zukunft noch nicht gekommen.
Das Leben ist hier und jetzt!!!!
Mit traurigen Augen schaue ich auf die Karte, was will man mir damit sagen? Nervös drehe ich die Karte hin und her und wieder hin und wieder her, doch das nach dem ich suche, nämlich den Absender finde ich nicht.
Wer hat diese Karte geschrieben und vor allen Dingen, was will er mir damit sagen? Ich überlege mir, wer mir so etwas schicken könnte und als ich den Spruch erneut lese, füllen sich meine Augen mit Tränen. Ich will sie aufhalten, doch es geht nicht, es ist wie eine Macht die über mich gerät. Immer wieder drücke ich mir ein Taschentuch gegen die Augen, doch es will und will nicht aufhören! Wie recht hat doch derjenige, der mir diese Karte geschickte hat. Was will ich noch mit meiner Vergangenheit? Es ist doch jetzt eh alles anders. Und wen interessiert es? Keinen, nicht mal meine Mutter. Aber der ist ja mittlerweile eh alles egal. Die hat ja ihren Karl. Oh Gott, schon wenn ich den Namen hör, wird mir schlecht. Und wie durch Zufall beginnt es in meinem Kopf zu hämmern: "Karl, Karl, Karl....K-A-R-L!!!". Ich beginne zu schreien, doch keiner hört mich, ist ja auch eigentlich kein Wunder, denn es sind stumme Schreie. Mir wird schlecht und je öfter dieser Name in meinem Kopf hämmert, desto schlimmer wird es! Ich renne ins Bad. Ich würge und würge, doch es kommt nichts. Manch einer würde sich jetzt in meiner Situation fragen was ich eigentlich gegen Karl hab! Ich mein so zusagen ist er doch mein Stiefvater, er liebt meine Mutter und jetzt wollen sie sogar heiraten! Heiraten!!!!
Das muss man sich mal vorstellen und ich? - Ich werde mal wieder gar nicht gefragt, ob ich mit diesem Schleimbeutel unter einem Dach leben will! Die Frage, was ich gegen Karl habe, kann ich ganz leichte beantworten. Er ist schuld an der Scheidung meiner Eltern! Wegen ihr hat Mama von jetzt auf gleich ihr Sachen gepackt und ist aus unsere Villa abgehauen. Und mich musste sie natürlich auch noch gleich mitschleppen! Ich wurde mal wieder nicht gefragt, wie schon so oft!
"Laufe nicht der Vergangenheit nach"
So ein bescheuerter Satz! Ich meine, die Vergangenheit ist doch das einzige was ich noch habe. Und in der Vergangenheit ist auch mein Zuhause! Eine schöne Villa in einem kleinen schönem Vorort von Feldkirch. Dort kannte jeder Jeden und schon, wenn man früh morgens Brötchen holen ging, lief einem die nette Oma von nebenan über den Weg. Ich hatte dort viele Freunde. Wir waren eine so richtig schöne Clique. Wir besaßen ein Baumhaus, in dem wir jeden gemeinsamen Nachmittag verbrachten. Ich sehe mich so sehr nach ihnen.
Doch jetzt? - Jetzt lebe ich in Dornbirn, der größten Stadt in Vorarlberg.
Mittlerweile stehe ich auf der Straße. Wenn ich die Straße rauf und runter blicke, sehe ich Menschenmassen. Fremde Menschen, wohlgemerkt. Alle ist in Eile und niemand nimmt mich wahr.
Eigentlich müsste ich ja in die Schule. Doch was soll ich da?. Soll ich mich wieder als "Klappenstricher", "Tunte", oder ähnlichem beschimpfen lassen?! Die Schule ist ein weitere Grund, weshalb ich Dornbirn hasse. In meiner Klasse gibt es viele verschiedene Cliquen und viel Hass gegenüber den anderen. Doch wenn es darum geht mich zu mobben ,dann halten sie auf einmal alle zusammen. Ich fühle mich machtlos dagegen.
Voll und ganz in meinen Gedanken versunken, finde ich mich schließlich im Park wieder. Ich nehme entfernt Stimmen und das Zwitschern der Vögel wahr, ich lege mich ins Gras und denke an Zuhause, nicht an die kleine Wohnung hier in Dornbirn, nein ich denke an mein richtiges Zuhause, Da wo ich wirklich hingehöre. In unsere Villa, zu meinem Vater! Ich schließe die Augen und meine Träume werden immer farbenfroher und realer.
Ich schrecke auf. "Wie spät ist es?" ich muss eingenickt sein. Ich blinzele gegen die Sonne, um das Zifferblatt der Kirchturmuhr zu erkennen. Es ist fünf nach elf, wenn ich mich beeilen würde, könnte ich es noch zu Dritten Stunde in die Schule schaffen. Doch wozu? - Ich lege mich also wieder ins Gras. Nach einer halben Ewigkeit, die ich dort gelegen haben muss, höre ich meinen Namen. "Harald, Harald, wach doch auf!", die stimme gehört zu Tobi. Ich mache ganz langsam die Augen auf und sehe direkt in sein besorgtes Gesicht. Tobi ist eigentlich der einzig normale in meiner Klasse und auch der einzige Grund, weshalb ich bislang eigentlich jeden Tag in die Schule gegangen bin. Die anderen könne ihn genauso wenig leiden wie mich, doch ich find ihn süß!
Plötzlich spüre ich, wie Tobi mich an sich heranzieht und mir ins Ohr flüstert: "Ich hatte Angst, das die etwas passiert ist. Du wirkst immer so traurig, wenn du jemandem zum reden brauchst, ich bin immer für dich da. Wir könnten doch auch mal was unternehmen. Ich würde mich zumindest sehr freuen, etwas mehr Zeit auch außerhalb der Schule mit dir zu verbringen.". Und da bricht es wie ein Sturm aus mir heraus. Ich erzähle ihm von meinem Zuhause, von der Scheidung meiner Eltern und von dem widerlichem Lover meiner Mutter und das ich gar nicht weiß wieso Karl eigentlich so widerlich ist und davon das leben eigentlich sinnlos ist. Tobi hat die ganzen Zeit stumm zugehört und meine Tränen getrocknet. Es tat gut, bei ihm im Arm zu liegen und mich trösten zu lassen. Danach fühle ich mich sogar etwas besser. Er fragt mich, ob ich denn gar keine Träume und Hoffnungen habe. Unter einem sehr misslungenem Lächeln, erzähle ich ihm ,das ich gerne wieder in den Vorort von Feldkirch ziehen möchte. Tobi hört wieder nur stumm zu und sagt einen Satz der mir irgendwoher bekannt vor kommt: "Das Leben ist hier und jetzt.".
Obwohl ich weiß, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. Habe ich vor dem Tot keine Angst. Warum soll ich auch angst vor Ihm haben, er kommt ja sowieso. Ob ich mich Freue oder nicht! Er kommt zu jedem arm reich, Bettler oder König! Zum einen kommt er er früher, zum anderen kommt er später. Wann er uns besucht das wissen wir nicht. Aber wenn er kommt, dann gibt es keine zweite Chance. Da gibt es kein Handeln mehr. Auch wenn mancher versuchen würde, sein Leben so zu Verlängern.
Nun für mich ist das schreiben hier eine Entlastung, ja sogar eine Wohltat. Darum habe ich auch beschlossen ein Buch zu schreiben. Hier kann ich meine Ängste, meine Leiden, meine schmerzen anderen anvertrauen, die mich nicht kennen. Ab und zu unterläuft mir ein kleiner Rechtschreibfehler, aber wenn man wie ich nicht mehr lange zu Leben hat, Ist das nicht mehr wichtig. Da gibt es wichtigere Sachen, die man der Nachwelt anvertrauen will. Eine davon ist über mein Leben zu Schreiben, was ich in den nächsten Tagen tun werde. Ich hatte ein schönes und erfülltes Leben. Ich möchte darum, dass die Leser einen Teil davon miterleben können. Man sieht das Leben mit anderen Augen, wenn man weiß, dass man nur noch kurze Zeit, zur Verfügung hat. Bei einem meiner Internet-Ausflüge, bin ich auf das KEO Projekt der Nasa gestossen. Ein Satellit, der 2005 ins All geschossen wird. Ihm kann man eine persönliche Mitteilung mitsenden. Der Satellit kommt nach 50000 Jahren wieder auf die Erde, und die Nachricht wird veröffentlicht. Bin mir noch am Überlegen, was ich unseren Nachkommen berichte über meine Krankheit. In 50000 Jahren kann man sie wahrscheinlich Heilen, und ich müsste nicht Sterben. Aber in unserem Jahrhundert ist Aids noch immer eine Tödliche Krankheit. Das Obwohl man Flugzeuge Baut, die mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Oder wenn man Kriege führt, nur weil man sich um ein Ölfeld streitet. Das Schrecklichste Ereignis, dass ich erlebt habe, war der 11. September 2001. Menschen die einfach in den Tod sprangen, weil Sie nicht Verbrennen wollten. Aber jeder hat die Bilder gesehen. Ich selber bin nur eine kleine unbedeutende Figur in diesem Leben. ich hatte mein Leben, und das wirt nun auf nicht ganz Alltägliche art beendet. Aber ich hege keinen groll, gegen das Leben. Es wirt schon seinen Sinn haben, dass ich auf solche Art aus dem Leben trete!
Als junger Mann liebte ich die Sprache. Ich las alles, was es in geschriebener, getippter und gedruckter Form zu lesen gab. In meinem Kopfe speicherte ich die Texte dieser Welt wie in einem Archiv, aus dem er sich zu jedem Anlass mühelos bedienen konnte: ernste Texte, fröhliche Texte, dramatische Texte, melodramatische Texte, Liebesgeschichten, Legenden, Sagen, Schundromane und Weltliteratur, einfach alles.
Eines Nachts, als sich im Traum seine abgespeicherten Texte wieder einmal ein Wortgefecht lieferten, hörte ich eine leise Stimme, die ich zuvor noch nie gehört hatte. Die Stimme hatte einen schönen Klang und sprach Worte, die waren völlig neu und wunderschön. Doch am nächsten Morgen, als ich erwachte, erschrak ich. Wohl wusste ich noch, dass da in seinem Traum eine bezaubernde Stimme gesprochen hatte, aber die Worte, die hatte ich vergessen. Und so sehr ich auch grübelte, ich konnte mich nicht erinnern, was sie gesagt hatte. Und auch nicht, wie sie es gesagt hatte, nur dass es wunderschön war. Ich machte mich auf die Suche nach der unbekannten Stimme mit den unbekannten Worten.
Zuerst sucht ich in den großen und kleinen Bibliotheken dieser Welt nach Texten und Dichtern der Vergangenheit. Aber ich kannte sie alle schon. Dann machte ich mich auf den Weg zu den großen Literaten der Gegenwart. Aber auch hier gab es nichts, was seiner Traumstimme vergleichbar gewesen wäre.
Mutlos setzt ich mich auf eine Bank in einem großen Park und überlegte, wo ich noch suchen könnte. Da hörte ich hinter mir ein leises Schluchzen und drehte sich um. Dort stand ein kleiner Junge und weinte. Ich vergaß sofort meine eigene Verzweiflung und ging zu dem Jungen, um ihn zu trösten. Aber so sehr ich mich auch mühte, der Junge hörte nicht auf zu weinen. "Gibt es denn gar nichts, was dich trösten könnte?"
"Erzähl mir eine Geschichte, aber es muss eine sein, die ich noch nicht kenne, eine ganz neue." Ich überlegte nicht lange, denn ich wollte, dass der kleine Junge so schnell wie möglich aufhörte zu weinen, und fing an, eine Geschichte zu erzählen. Als ich den ersten Satz begann, wusste ich noch nicht, wie meine Geschichte enden würde. Aber ich erzählte und erzählte mit einer Leidenschaft, als ginge es nicht um die Traurigkeit des Jungen, sondern um mein eigenes Leben. Dabei bemerkte ich nicht, wie die Tränen des Jungen versiegten und trockneten, so sehr war er selbst gefangen von seiner Geschichte. Und plötzlich hörte ich sie wieder, die Stimme aus meinem Traum, denn ich hörte das erste Mal meine eigene Stimme. Ich finde das ist ein schöner Anfang um über mein Leben zu berichten.



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