"Schwestern"
Renate Ivanisevic
Ich stand von meinem Schreibtisch auf und betrat durch den Garten die Wohnung. Irma wartete schon in der Wohnung auf mich: "Und, willst du etwa die Augen verschließen? Bist doch sonst ein tapferes Mädchen. Komm, setz dich, atme tief durch und dann ruf sie endlich an."
Sie verabschiedete sich noch mit einem dicken Kuss, mit der so vertrauten, burschikos-herzlichen Umarmung und einigen tiefen Lachtönen. Ich kehrte zurück, in meine Stube. Ich musste mir Gewissheit verschaffen, wählte Marias Nummer. Am anderen Ende meldete sich eine blasse, schwache, durchscheinende Frauenstimme. Ich stellte mich vor und sagte zu ihr, dass wir beide seit vier Jahren etwas gemeinsam hätten, nämlich den Mann. Die plötzlich entstandene Stille gab meinen Vermutungen Recht.
"Und was werden wir jetzt tun, Iris? Ich brauche ihn, kann nicht ohne ihn leben", schluchzte Maria.
"Von mir, Marie, wirst du nie mehr etwas zu fürchten haben, ich bin fertig mit ihm", antwortete ich; und meine Stimme erschien mir selbst fremd. Metallisch und dröhnend zugleich. "Außerdem hätte ich mich niemals auf ihn eingelassen, wenn ich nur gewusst hätte, dass es dich gibt", sagte ich zu Maria.
Den Abend verbrachte ich mit zwei Flaschen Rotwein von Aldi und unzähligen Tempo-Taschentüchern. Ich wurde immer wütender. Wäre dieses Konzert nicht gewesen, an welchem ausgerechnet meine Nachbarin Ambros und Maria zusammen gesehen hatte, hätte nicht diese Nachbarin diese Tatsache sofort mit einem befriedigten Glanz in ihren Augen mir und allen, die Ambros und mich als Paar kannten, berichtet, wäre ich niemals in diesen Zugzwang geraten. Innerlich verfluchte ich die Nachbarin, wusste jedoch gleichzeitig, dass
ich mich nicht über Menschen ärgern sollte, welche die mir Wahrheit sagten.
Irgendwann schlief ich an der Seite meiner alten Dackelfreundin ein. Am nächsten Tag waren meine Augen verklebt vom Wein und Weinen, doch ich fühlte mich besser. Entschlossener.
Das Telefon klingelte. "Iris, ich muss mit dir über ihn reden", vernahm ich Marias gepresste, weinerliche Stimme. "Ich weiß nicht, wie ich mit ihm weiterleben soll, und ich verstehe dich vollkommen, hat er ja mit uns beiden gespielt, und beide vier Jahre glauben lassen, wir wären die Einzigen.
"Ach, Maria, mach dir da mal keine Sorgen, es gibt bestimmt noch eine Dritte", antwortete ich.
Im selben Moment lachten wir zwei gleichzeitig laut heraus. Maria ließ nicht locker. Da ich nun mal die Einzige sei, die sie jetzt verstehen könne, solle ich ihr doch bitte sagen, was sie zu tun hätte.
"Maria, bist du dir wirklich sicher, dass du mit ihm zusammen bleiben willst?" Fragte ich.
"Jaaaa!", krächzte es mir verheult ins Ohr.
"Gut, Mädchen, hast du eine Stunde Zeit?"
Sie war gespannt bis zum Bersten, ich konnte es fühlen.
"Und du willst einen Rat von mir, die ich ja genauso betrogen wurde, wie du."
"Ja, aber Du hast die Kraft, zu gehen, Iris, ich nicht."
"Gut, dann heirate diesen Mann."
"Heiraten?"
"Heiraten!", Sagte ich entschlossen. Ich kannte Ambrosius gut und wusste, dass er niemals eine Scheidung riskieren würde. "Tu es, Mädchen. Dann, genüsslich und langsam, treib ihn in den Wahnsinn."
"Oh, das ist eine gute Idee", danke Iris, "du bist für mich wie eine Schwester."
"Und noch was, Maria: Die nächste und Dritte im Bunde heißt Monika und lebt in Zug, merk Dir das gut."
"Danke", flüsterte Maria und wir verabschiedeten uns.
Am folgenden Tag brachte mir ein Bote Blumen. "Für eine besondere Frau" stand auf dem Kärtchen, und anstelle ihres Namens war die Karte mit "M" unterschrieben.
Keine zwei Minuten später klingelte mein Telefon; es war Ambrosios.
"Och du, wie schön, dass du anrufst", flötete ich. "Aber, lieber Ambros, es ist gerade unpassend, ich melde mich später."
Dieses Spiel zog ich tatsächlich einige Tage durch, stammelte jeweils etwas von "keine Zeit" und schließlich erzählte ich ihm, ich hätte jemand anderen kennen gelernt; ließ keine Einzelheit aus, bemühte meine Phantasie, so reichhaltig wie möglich zu erzählen, denn schließlich wollte ich mir einen grandiosen Abgang verschaffen, was mir auch gelang, denn seither hat Ambros nie mehr angerufen.
Mit Maria telefonierte ich noch oft, einmal weinten wir beide ob der Ungerechtigkeit, welche uns beiden widerfahren ist, dann erzählte Maria mir von ihrer Ohnmacht, die ich ja selber zur Genüge kannte, doch nach einigen Monaten bat ich Maria, mich nicht mehr als Ratgeberin zu sehen, sondern ihr eigenes Leben mit Ambros zu leben. Lieber sie als ich.