Zufrieden!
Von Thomas R.
Klar, er hat es so gewollt. Das Kind lässt ihn in vielen ausgefüllten Stunden den Alltag vergessen. Auch seine Frau liebt er. Sie hat ihm die geliebte Tochter geschenkt, gezeichnet ist nun ihr ohnehin nie ganz athletisch gewesener Körper. Sie schafft ihm Freiheiten, die er für sein Kind, den Hund oder die Hobbys verwenden kann. Dankbar, ja, das ist er wohl.
Er ist zufrieden. Er rutschte so in dieses Leben hinein. Selbstständigkeit zeichnete ihn früh aus und so kam es auch, dass er das Elternhaus früh verließ und mit seiner Freundin zusammenzog. Es sollte nicht für immer sein. … Den Absprung schaffte er nie.
Seine Familie wohnt in einem kleinen Einfamilienhaus in der Kleinstadt vor den Toren der großen Metropole. Spießige Leute wohnen hier, alt sind sie, konservativ und alle so schrecklich zufrieden. Die Großstadt, in der er arbeitet, fängt an ihn zu prägen. Er fühlt sich mehr und mehr ihr zugehörig und verlernt langsam das beschauliche Kleinstadtleben, fühlt sich unwohl in seiner Umgebung und die Bekannten und Freunde werden fremder. Seinen Hochmut und seine Verachtung vermag er nicht immer zu verbergen.
Ertappt er sich selbst bei diesen Gedanken, dann fühlt er sich undankbar. Worüber kann er sich denn wirklich beschweren? Es geht ihm gut. Seine Frau würde immer zu ihm stehen, egal was passiert. Da ist er sich sicher, auch ihrer Liebe. Seine Tochter ist, wenngleich noch nicht sehr alt und daher verfrüht zu sagen, vorbildlich. Nie hat sie ihren Eltern Kummer gemacht. Selbst der Hund ist wohlerzogen. Alleine der nicht immer ganz gepflegte Garten sorgt in der Nachbarschaft für Aufsehen.
Aber gibt es da nicht noch mehr? Kommt nicht irgendwann der Tag, an dem man sich die Antwort schuldig ist, was man mit seinem Leben angefangen hat? Will er sich sagen müssen, dass er zufrieden war? Sein Leben war okay! Wäre das nicht Verschwendung? Wo ist das Glück? Soll es Liebe und Leidenschaft für ihn nur in den ersten paar Jahren mit seiner Frau gegeben haben? Danach hat man so neben sich hergelebt, man war dem Anderen ein guter Freund. Nur die Liebe war nicht mehr da.
Ein Ruckeln ließ ihn die Augen aufschlagen. Er hatte gedöst während der Regionalzug die ersten Arbeitskräfte in die Großstadt brachte. Ein Blick aus dem Fenster genügte ihm, er wusste nun, dass er gleich aussteigen musste. Alles war vertraut. Die Gegend, jede Station, die anderen Pendler und selbst die wundeschönen, teilweise von Nebel begleiteten, Sonnenaufgänge im Frühling und Herbst. Gegenüber saß eine Frau, er hatte sie schon oft gesehen, sie gefiel ihm. Sie bemerkte seinen Blick, sie lächelte und er lächelte
zurück. Der Zug war nun am Ziel angekommen, er ließ seiner Sitznachbarin den Vortritt und sie gingen zum Ausgang. Sie stolperte, fiel hin. Er half ihr auf, half beim aufsammeln des Inhalts ihres Korbes und fragte, ob sie sich verletzt habe. Man verabredete sich zum Kaffee nach Feierabend, fuhr gemeinsam zurück in die Kleinstadt, entfloh aber dem Alltag beim Lachen, Albern und Tanzen.
Alles was er doch so schmerzlich vermisste gab sie ihm. Freiheit, der Reiz des Neuen, des jugendlichen Leichtsinns, endlich mal wieder Blödsinn machen. Es war ein Rausch. Ein Anruf bei seiner Frau, es würde später werden, ein Kundengespräch dauert länger, er würde im Hotel schlafen.