Die Porzellanpuppe
Von Jannis Kounatidis
Sie fiel nicht auf, man hätte sie auch übersehen können. Er saß seiner Freundin die ganze Zeit schon gegenüber. Er saß nur da und hörte ihr zu. Plötzlich sah er sie, diese Frau. Sie saß ganz alleine dort und schaute apathisch und traurig in ihr Glas. Dann und wann rührte sie ihren Martini um, ohne zu ihrem Beobachter hinüberzuschauen. Ihr scharlachroter Lippenstiftmund nippte ab und zu an dem Glas.
Und wieder begann seine Freundin von Leuten zu erzählen, die bald heiraten wollten, doch seine Blicke lösten sich nicht von der Frau, die nur auf ihr Glas starrte. Nur wenn alle paar Minuten die Tür aufsprang und das Glöckchen läutete, wie ein sanfter Alarm, der ihr sagte, dass jemand eintrete, dann wagte sie aufzublicken, hoffnungsvoll, aber auch angewidert, zur Tür zu schauen, nur um dann wieder ihren Kopf zu senken und wieder auf das Glas zu starren, das ihr verriet, dass sie schon alles getrunken hatte.
Seine Freundin redete, doch er musste immer wieder zu dieser Frau hinüberschauen.
Sie schaute auf die Uhr. Wenn die Zeit, die Minuten, die Sekunden des Wartens sich unendlich zogen, schaute sie auf die Uhr, um festzustellen, dass sie schon zu lange wartete. Sie bestellte sich noch einen Martini.
Freunde, Eheleute, Bekannte, alle waren zusammen hier, nur die Frau blieb an ihrem Tisch allein und schaute in ihr Glas, als ob dort ihre Zukunft stünde und ihr nichts Gutes verheiße. Ihre Augen waren glasig und traurig, kaum zu unterscheiden von dem Martini im Glas vor ihr, und der rote Lippenstift. Sie hatte Ähnlichkeit mit einer Porzellanpuppe. Man musste sie einfach um ihre Schönheit bewundern. Ihr feines Gesicht war blass geschminkt und passte zu den glasigen Augen, ihre Wangen hatte sie mit Rouge abgedeckt,
aber egal wie hübsch sie geschminkt war, hinter der Fassade der bemitleidenswerten Schönheit, schien eine aus Porzellan angefertigte, zerbrechliche Seele zu stecken. Sie tat ihm Leid.
Und dann zündete sie sich ihre Zigarette an. Ihr Aschenbecher war schon voll, auch wenn es keiner gemerkt hatte, nicht einmal er. Sie zog an ihrer Zigarette, doch ihr Blick war immer noch auf den Martini gerichtet, dann wieder zur Tür, denn es hatte das Glöckchen geläutet und ein älterer Mann war eingetreten, der sich im Café umschaute, die Frau erblickte, und auf sie zuging, mit einem merkwürdigem Lächeln im Gesicht. Auch die Frau erzwang sich ein Lächeln. Er setzte sich zu ihr, einen Kuss auf die Wange gebend,
sich umschauend, dem Kellner winkend, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Der Kellner kam und der Mann bezahlte ihr die Martinis, und als der Kellner ging, schien es, als ob er der Frau einige Geldscheine auf den Tisch legte, worauf die Frau sie einsteckte und die Zigarette ausdrückte. Sie standen auf, die Frau zog ihren Mantel an, blickte kurz zu ihm, der sie die ganze Zeit beobachtete, hinüber - und nun sahen ihm die glasigen Perlaugen der Porzellanpuppenfrau ins Gesicht -. Der fremde Mann, seine Arme um ihre
Hüften gelegt, und sie, in ihren hohen Stöckelschuhen von ihm geleitet, verließen das Café.
Er bestellte sich einen Martini und hörte wieder seiner Freundin zu.