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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Das Gewitter

Von Jannis Kounatidis


Die heiße, von einem grauen Wolkenschleier verdeckte Sonne über der Stadt gleicht einer fahlen, schwebenden Kugel, doch trotzdem wischen sich die spielenden Kinder auf dem Spielplatz immer wieder den Schweiß von ihrer Stirn. Dann, wenn sie sich im kühleren Schatten erholt haben, nehmen sie ihren Ball - so sieht die Sonne jetzt auch aus: nur ein kleiner, bedeutungsloser Ball am Himmel - und setzen ihr Spiel fort, um es in kurzer Zeit wieder abzubrechen. Ein leichter Wind weht, der, anstatt zu kühlen, eine noch heißere und noch schwülere Decke über den Spielplatz wirft.
Von Weitem ist ein leises, dumpfes Grollen zu hören. Noch können die Kinder spielen, die Wespen durch die Luft fliegen und haben die Frauen Zeit, ihre Kinder herein zu rufen, denn noch ist das Grollen fern und der kleine Ball am Himmel sichtbar. Nur fern am Horizont, wo sich zwischendurch Hell und Dunkel wie Tag und Nacht abwechseln, wenn ein Blitz in den Wolken zuckt, dort ist das Unwetter. Dort drüben am Abendhimmel, wo sich die Wolken in einen dunklen Aubergine-Ton färben und den Rest des Himmels langsam ebenfalls verdunkeln, müssen die Kinder aufhören zu spielen, verstummt das Wespengesumme und müssen die Frauen ihre Kinder in die Häuser rufen. Aber hier ist das Gewitter ja noch nicht. Noch ist es fern. Nur noch wenige Minuten und dann sind die Kinder erlöst, dann ist die Hitzewelle vorbei, dann müssen sie ins Haus und wenn sie hinterher wieder hinausgehen, wird es nicht mehr heiß sein.
Durch die angespannte und schwüle Luft dringt ein weiteres Grollen. Lauter als zuvor. Langsam beginnen die Kinder immer wieder zum Horizont zu schauen, um sich zu vergewissern, wie weit die Wolken zu ihnen gerückt sind und wie lange ihnen noch Zeit bleibt, um sich in ihre Häuser zu verkriechen. Ein Fenster nach dem anderen öffnet sich und in ihren Scheiben spiegeln sich die blitzenden Pfeile des Gewitters. Das Wespensummen verstummt. Das Weizenfeld am Stadtrand beginnt zu zittern, als ein kräftiger Wind weht, der den Ball hoch in die Luft fliegen lässt und ihn hinfort in den Himmel weht, direkt in die kaum sichtbare Sonne, bis Ball und schwebende Kugel zu einem werden. Im nächsten Moment tauchen die immer schneller heran wehenden Wolken die trübe Sonne in ihre Dunkelheit und ihr dumpfes Licht erlischt, als ob es jemand ausgeschaltet habe. Die Kinder schauen in den Himmel, als wenn sich etwas Mystisches darin abspiele - und in den Fenstergläsern zuckt es wieder, dicht gefolgt von einem düsteren Donnern, das die Kinder zusammenzucken lässt.
Ein Tropfen prallt auf das durstige Pflaster, gefolgt von einem anderen, bis dann immer wieder riesige Tropfen auf die Straßen peitschen und aus dem rauschenden Regen hört man Mutterstimmen nach ihren Kindern aus lautem Halse schreien, worauf diese so schnell wie möglich in die Häuser rennen, über ihnen blitzt es und ein lauter Knall, als wenn der Himmel ihnen auf den Kopf fallen würde, als wenn ein ganzes Haus zusammenfalle, lässt sie ein zweites Mal zusammenzucken, bis sie schließlich im sicheren Zuhause sind, wo ihnen so gut wie nichts passieren kann. Hagelkörner prasseln wie ein Bombenregen auf die überschwemmten Straßen, die endlich wieder das bekommen, wonach sie sich so lange sehnten. Klirrende Glasscheiben begleiten das kräftige Donnern, und in den Spiegelfenstern sind die Kindergesichter, die ängstlich und wimmernd bei jedem Blitzschlag zusammenzucken und gespannt auf das Ende des Gewitters warten.
Und dann, nachdem wohl der lauteste Schlag erklungen ist, kommt das Licht am Horizont wieder hervor. Ein schmaler Streifen hellen, sanften Lichtes erscheint, das sich durch die Felder kämpft und die Kinder zählen nur noch die Sekunden, die das erlösende Licht braucht, um auch bei ihnen das Unwetter zu vertreiben.
Bis schließlich, genauso schnell wie es gekommen ist, das Gewitter weiterzieht, die Blitze werden seltener, das mächtige Donnern wird nur noch zu einem leichten Grollen, bis es sich schließlich selbst verschluckt. Die bleischweren Tropfen sinken nun als feiner Sprühregen hinab, bis sie schließlich im Himmel bleiben. Die Sonne taucht langsam wieder durch das Lila der Wolken auf und strahlt nur einen kurzen Moment später so hell und prächtig als habe sie noch nie vorher geschienen. Die Kinder dürfen wieder hinaus. Auf der anderen Seite des Horizonts sieht man nun die Wolken über die anderen Städte hinwegwalzen, ein Regenbogen in den prächtigsten Farben verabschiedet sie und als die Wolken am Horizont verschwinden, ist auch der Regenbogen erloschen. Nur die riesigen Pfützen, durch die nun die Kinder springen und über die durstige Wespen schwirren, verraten, welch ein Unwetter vor wenigen Minuten hier gewütet hat.



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