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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Der Sonntagsausflug

Eine Kurzgeschichte von Karl-Heinz Ganser


"Vati!", quengelte meine fünfjährige Tochter Merlina, "wann fahren wir endlich?"
"Wenn alle fertig sind!", antwortete ich etwas ungehalten. "Fahr mit Klaus in der Zwischenzeit schon mal 'ne Runde ums Haus!"
Dieser Sonntag war ein wunderschöner Frühlingsmorgen, kleine Quellwolken am Himmel und fast windstill.
Während meine Frau noch die Käsebrote und den Orangensaft einpackte, überprüfte ich den Reifendruck der Fahrräder. Es war die erste Radtour, die wir hier starteten, nachdem wir vor sechs Wochen in dieses Dorf gezogen waren.
Wir fuhren ein Stück Feldweg und erreichten dann den Radweg, der durch einen schattigen Buchenwald führte. Alle waren gutgelaunt. Meine Frau trällerte ein Frühlingslied, und ich dachte an die Kindeszeit, als ich sonntags öfters zusammen mit meinen Eltern radelte. Klaus, unser Zehnjähriger, fuhr natürlich mit Merlina ein Wettrennen.
Statt auf dem Weg zu bleiben, sausten die beiden in eine Schneise hinein.
Dann geschah es: Ein Fall, ein Schrei, Fuß gebrochen!
Die Aufregung war riesengroß. Keiner wusste, wieweit es bis zum nächsten Haus oder bis zu einer befahrenen Straße war.
Wir waren alle so mit dem gebrochenen Fuß von Merlina beschäftigt, dass wir den Rollstuhlfahrer neben uns erst bemerkten, als dieser sich räusperte.
Er erklärte uns, dass etwa fünfhundert Meter von hier ein Forsthaus an einer Straße liege. Ich sah den Mann an, und mir war, als ob ich ihn kennen würde.
"Komm", sagte er dann zu mir, "setz das Kind auf meinen Schoß, und wir fahren gemeinsam dorthin. Da kannst du telefonieren und den Krankenwagen bestellen!"
Ich zögerte, doch meine Frau drängte, denn der Fuß von Merlina war stark geschwollen und sie hatte große Schmerzen.
Nachdem meine Frau und Merlina mit dem Krankenwagen abgefahren waren, bedankte ich mich bei dem hilfsbereiten Rollstuhlfahrer. Ich lud ihn für den nächsten Sonntag zu Kaffee und Kuchen zu uns nach Hause ein.
Nach vier Tagen wurde Merlina bereits aus dem Krankenhaus entlassen.
Am Sonntagnachmittag setzten wir uns bei strahlendem Sonnenschein mit dem Rollstuhlfahrer in den Garten zum Kaffeetrinken.
"Ich möchte mich noch einmal recht herzlich bedanken", begann ich das Gespräch.
"Das beruht auf Gegenseitigkeit!", meinte der Mann, nahm ein Stück Sahnekuchen und lächelte verschmitzt.
"Wie bitte? Wieso auf Gegenseitigkeit, ich meine ..."
Ich war ganz und gar irritiert.
"Denk mal fünfundzwanzig Jahre zurück. Da wohnten wir doch zusammen in dem kleinen Dorf an der französischen Grenze, oder weißt du das nicht mehr?"
Ich überlegte und plötzlich war die Erinnerung da: "Das gibt's doch nicht! Dann bist du der Paul, der im Dorfteich im Eis eingebrochen war und ich habe ...?"
"Genau!", lachte Paul. "Du hast mich damals rausgezogen, und wie das Schicksal so spielt, habe ich nun am letzten Sonntag deiner Tochter helfen können!"



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