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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Hoffnung?

Von Anika Wagner


Es ist ein wunderschöner, ruhiger Morgen. Die Sonne sagte schon früh hallo und der Tau hat sich schon vor ein paar Stunden von den Grashalmen verabschiedet.
Das Haus reiht sich, umrahmt von einigen orange-rosanen Sonnenstrahlen, in das triste Stadtbild ein.
Michi stolpert mit einer kleinen Tüte im Arm durch die quietschende Tür und begrüßt seine Frau mit einem lächelnden "Morgen, Rehlein! Hab' dir ein Brötchen mitgebracht." Er kämpft sich durch herumfliegende Socken, Pullover und Hosen, die, von einem hastigen Fußtritt angestoßen, über das Parkett fliegen. Michi stellt einen Kaffee für sich auf und wirft einen Blick in die Zeitung. Nix Neues, denkt er sich, faltet sie wieder zusammen und legt sie ordentlich zurück auf den Tisch. Eine Tasse, zwei Teller und Besteck nimmt er aus dem verstaubten Küchenschrank. Der Staub widert ihn an, aber er macht nur das Nötigste im Haushalt. Seine Frau könnte ja auch mal was machen. Nach einer Weile kommt sie endlich aus dem Bad. Bleich, müde und abgekämpft sieht sie aus. Wie jeden Morgen. Zwei, drei Handgriffe und ihr Outfit für heute ist zusammengestellt. Auf dem Boden findet sich immer etwas Brauchbares. Michi sieht ihr an, dass sie wieder dieses mulmige Gefühl in der Magengegend beschleicht. Dieses Gefühl, von dem sie ihm so oft berichtet wenn es ihr nicht gut geht.
Heute aber spricht sie wieder nicht mit ihm. Sie sieht ihn auch nicht an. "Willst du Orangensaft? Soll ich dir welchen pressen. Hab' gestern frische Apfelsinen gekauft." Wenn Blicke töten könnten, so wäre er jetzt tot. Das war wohl zu viel, denkt er sich, denn jetzt steht sie wieder auf, lässt ihr Brötchen liegen und verschwindet wieder in ihrem Schlafzimmer. Manchmal hat er Sehnsucht. Nach ihr. Er hat Sehnsucht nach den Gesprächen, nach dem Verständnis, das sie ihm entgegenbringt wenn er ihr von einem Problem auf der Arbeit erzählt. Sehnsucht nach den politischen Diskussionen. Er kann sie nicht anrufen oder ihr schreiben. Sie ist weg. Verschlossen hinter einem undurchdringbaren Schleier voller Einsamkeit. In letzter Zeit werden diese Phasen immer häufiger und dauern immer länger.
"Ich geh jetzt zur Arbeit. Soll ich uns für heut Abend was mitbringen?", hallt es durch die Wohnung. Keine Antwort dringt aus dem Dunkel des Schlafzimmers. Es wird heute wohl etwas länger dauern. Er lässt die Tür ins Schloss fallen und hofft.
Als er um acht nach Hause kommt freut er sich bereits auf sein Essen. Er wird sich Tortellini machen. Doch als er die Tür zu seiner Wohnung öffnet dringt ein angenehmer Geruch in seine Nase. "Ich habe schon mal was kleines gekocht", ruft sie ihm aus der Küche zu, "hatte wahnsinnigen Hunger." Seine Nase führt ihn durch den Flur zur Küche. Feine Gemüselasagne und ein Glas Rotwein warten schon auf ihn. Sie lacht ihn an: "Heute ist sie mir richtig gut gelungen." Er ist glücklich.
- Michi stolpert mit einer Tüte Brötchen durch die Tür. Kaffee hatte er sich bereits gemacht. Jetzt hat er die richtige Genießer-Temperatur, bei der man einfach trinken kann ohne sich zu verbrennen.
Sie liegt im Schlafzimmer in ihrem Bett, apathisch, verschlossen vor der Welt. Dunkelheit und Einsamkeit in ihrem Kopf. Ein kleiner Bär liegt auf ihrem Nachttisch. Total zerzaust und von den Jahren gezeichnet liegt er da und sie starrt ihn an. Als ob er das Einzige wär', was sie von der Außenwelt noch wahrnimmt. Sie verspürt keinen Hunger oder Schmerz, sie fühlt nur Einsamkeit. Eine Leere, die nicht von ihr weichen will. So vergehen die Stunden, und manchmal Tage, bis ein Funke in ihr wieder zu glimmen beginnt und sie sich wieder öffnen kann für die Welt da draußen.
Drei Tage ist es her, dass er sie zuletzt gesehen hat. Wenn es ihr nicht so gut geht schläft er in seinem eigenen kleinen Zimmer. Dann arbeitet Michi sehr viel um den Kummer zu verdrängen. Außerdem muss er gut sein in seinem Job. Sein Chef hat ihm erst vor vier Monaten eine Gehaltserhöhung gegeben. Er will ihn jetzt nicht enttäuschen. Jetzt arbeitet er den ganzen Tag und wenn der Kummer zu groß wird und er nicht schlafen kann, dann arbeitet er auch noch die ganze Nacht.
Einige Tage wird es wohl noch dauern, aber er hofft.
Michi hat ein blaues Auge. Es ist ihm etwas peinlich so zur Arbeit zu gehen. Er kann schließlich nicht in seinem Büro erzählen: "Mein Veilchen? Ja das hat mir meine Frau verpasst, als ich sie nach neun Tagen endlich mal waschen wollte." Das würde keiner verstehen. Man würde es als Witz auffassen oder empört zu den anderen Kollegen rennen und es würde im ganzen Betrieb die Runde machen. Bis hinauf in die Chefetage. Michi beschließt, sich für heute einfach krank zu melden. Er hat in den letzten 6 Jahren nur einmal gefehlt. Da musste er mit ihr ins Krankenhaus. Sie aß eine Woche lang nichts mehr. Da ging es ihr noch um einiges schlechter als heut'. Michi stellt ihr jetzt immer Obst vor die Tür, oder mal ne Suppe. Wie ein scheues Reh kommt sie dann aus dem Zimmer gekrochen wenn er nicht hinsieht und nimmt sich ihr Essen. Manchmal fragt er sich, ob sie nicht besser ein Reh geworden wäre und nicht ein Mensch. Aber dann fallen ihm die gemeinsamen Abende ein, wenn es ihr gut geht. Wie sie dann lacht und wie sie tanzt wenn sie ausgehen. So tanzt kein Reh.
Michi sinnt gerade über sie und sich nach als sie plötzlich an der Tür steht und ihn ansieht. Sie steht nur da, aber mit einer Ruhe und einer Zufriedenheit wie er es schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hat. Sie ist angezogen und sogar gewaschen. Sie lächelt ihn an. Aber er kann nicht zurücklächeln. Irgendwas ist merkwürdig. Er wird nervös aber er weiß nicht warum. Da bemerkt er auf einmal ein gleichmäßiges Tropfen. "Hast du den Wasserhahn nicht richtig zugedreht?", huscht ihm über die Lippen, doch im selben Moment sieht er den eigentlichen Grund.
Auf dem Parkett ist bereits ein kleine rote Lache und als er aufsteht um ihre Wunden irgendwie zu verbinden fällt sie auch schon in sich zusammen. Er tut nichts.



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