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Kurzgeschichte

Landarbeit

© Karl Köckemann


An einem mittleren Septembertag geschah, dass Gertrude und Albert ihre Verbundenheit mit güldenen Ringen verewigten. Ein solcher zierte schon seines Urgroßvaters nicht weniger riesig prankende Hand. Der dem Albert auf Erden beschiedene Platz entfernte sich vom großen elterlichen Bauernhof in Westbevern-Brock zu einem kleinen schwiegerväterlichen Hof in Westfalen. Stur zu sein ist der Westfalen Ruf, dessen Verbreitung in dort heute noch anzutreffenden Originalen seine Ursache finden mag. Und gewiss nicht minder in Albert samt seinem Schwiegervater. War es just dieser Schwiegervater, verlacht für die Anschaffung des ersten qualmschnaubenden Stahlrosses in der Bauernschaft, der Albertens unerwartetem Vorschlag nachkam: er schaffte tatsächlich jene Kreatur ab. Man hörte und staunte. Als gelte es der Sturheit Ehre zu wahren, man schüttelte die Köpfe, donnerte bald ein neugeboren tosendes Ungetüm über des Hofes Äcker. Mit diesem lieferte der Schwiegervater sich manchen Zweikampf. Anfangs vermochte er der widerhallenden Sturheit nichts entgegenzusetzen. Das änderte sich, nachdem der listige Albert sich einen erfolgreichen Dressurstil ersann, den er seinem eingewurzelten Schwiegervater zum Besten gab. Glattweg vergaß Albert zu erwähnen, etwas Hilfreiches gelesen zu haben.
Bald, an einem Herbsttag, so kalt, dass blasse Finger schrumpften, ward es für Albert höchste Zeit, den ihm neuen Acker erstmals zu pflügen. Mit kurzem Schwung stieg er auf den vorbereiteten grünen Poltergeist, umwickelte seine Knie mit einem alten Kartoffelsack aus Jute, schob den nagelförmigen Schlüssel ins Zündschloss und ließ das kalte Wesen unter sich erglühen, woraufhin das stets betäubende Aufbrüllen über die Bauernschaft stampfte. Der kühne Dompteur spürte in seinen geschickt lenkenden Händen ein anhaltendes Zittern, ja vibrieren. Gezähmter Stahl zog scharfe Klauen durch schweren Lehm. Noch bevor die Sonne ihre abendliche Keuschheit entblößte, duftete das ganze Feld nach frischer Erde. Der brave Koloss bekam aus dem eigens für ihn angeschafften Stahlfass seinen Lebenssaft zu trinken.
Nach dem Waschen trat Albert mit tropfenden Händen, selbst noch vibrierend, in die Küche. Sein Gesicht schien aschfahl. Gepeinigten Gewissens gestand er Gertrude schlotternd, unter rüttelnder Kälte seinen Ehering verloren zu haben. Hatte er in dem erst seit Kurzem Gezähmten das Wilde unterschätzt?
Das Leben ging weiter. Stur wie Westfalen sind, erhielten die Schwiegereltern auf dem Balken eine eigene Wohnung. Kinder wuchsen heran. Ein Gasherd ersetzte den gusseisernen Ofen. Ach, wie wohlig haben sich im einstigen Pferdestall die Ferkel getummelt, bis das Wort Tummel ertönte, der Name des nächsten Schlachthofs. Vor den Augen seiner Frau stürzte der Schwiegervater von der steilen Treppe und war auf der Stelle tot. Zwei Scheunen und eine Mistplatte konnten entstehen. Längst tuckerte auf jedem Hof der Bauernschaft ein Traktor. Äcker wurden zu Weiden. Und Wiesen wurden umgebrochen. Ein letztes Mal baute Albert den kleinen Pflug an den alten Traktor, seinem gut gepflegten Freund. Er begann die Weide kunstfertig umzubrechen. Durch achtsames Arbeiten ward es Albert lange gelungen, den Pflug vor groben Steinen zu bewahren. Nun war ihm für einen Augenblick - aber er war sich nicht sicher: möchte zwischen den umkippenden Lehmschollen etwas am rostigen Pflug geschimmert haben? Eine ungewöhnliche Erscheinung. Als leitete ihn Bestimmung, wollte er sich das eingehender betrachten. Er hielt an, hub den Pflug an, stieg ab, ging darauf zu. Nein, verbogenen Anschein gab das gewölbte Pflugschar nicht. Abgebrochen zeigte sich dessen lehmige Spitze nicht. Sie in seinem Blickfeld hüllend, kniete er tatsächlich nieder. Er streifte Lehm von der Spitze. Albert hatte sich wohl geirrt, ihm fiel nichts Besonderes auf. Er richtete sich hoch, stapfte gen Traktor unterdessen das in seiner Rechten noch gehaltene Lehmstückchen gedankenverloren zerbröselte. Ehe er die Brösel fallen ließ, fühlte Albert beim letzten Pflügen in seiner Hand - man hörte und staunte - den beim ersten Pflügen verlorenen Ehering.
Mit lehmigen Stiefeln wie Händen stürzte er zu Gertrude in die Küche. Ein feierlicher Blick präsentierte seinen Fund.
Den einst gezähmten Feind und nunmehr allerbesten Freund behielt er über die Hälfte seines Lebens. Nach einem Schlaganfall verkaufte Albert schweren Herzens den ererbten Traktor. Und das sogar zum siebenfachen Marktwert. Eines vergaß er nicht mitzugeben: das lange unbeachtete Heftchen mit dem Titel "Betriebsanweisung."



Eingereicht am 11. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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