Die Stadt
© Selita Telli
Er ging über die Straße. Der Regen lief ihm übers Gesicht, vermischte sich mit seinen Kleidern und bildete zusammen mit ihm eine graue Silhouette, die sich in die Mitte der Stadt vorschob.
Sein Denken war getränkt von den Eindrücken der Stadt: Graue Fassaden glotzten ihn an, die stellenweise von grellen Werbeplakaten unterbrochen wurden. Menschen ohne Gesichter schnellten an ihm vorbei. Ampeln wechselten zeitgerecht ihre Farbe und beschleunigten oder bremsten Automaßen. Wellenartige Motorengeräusche, einzelne Gesprächsfetzen und aufschreckende Autohupen wurden von dem dumpfen Aufklatschen des Regens gedämpft.
Um ihn herum erdrückte ihn die Hektik der Großstadt, drängte sich an ihn heran, versuchte in ihn hineinzudringen, doch genauso sehr versuchte er sich ihr entgegenzustellen und Einhalt zu gebieten.
Sein mittlerweile vom Regen durchnässter Mantel saugte sich an ihm fest. Er eilte weiter. Ein stechender Schmerz hatte sich in seinem Kopf festgesetzt.
Der Regen peitschte ihn voran. Wohin er wollte, wusste er nicht. Er war ziellos, hoffnungslos.
Es schien, als würden Stunden vergehen, sich an ihn heranschleichen, ihn anspringen, um dann wieder von ihm abzulassen.
Der Rhythmus der Stadt hatte von ihm Besitz ergriffen. Er war schon nicht mehr ganz bei sich, so völlig gefangen genommen in dieser anderen Welt, als er plötzlich ruckartig stehen blieb. Sie war das schönste, was er jemals gesehen hatte.
Er verharrte bewegungslos vor ihr und war unfähig, etwas anderes zu tun als sie zu betrachten. Wie fein und zerbrechlich sie wirkte, und dennoch konnte diese Stadt ihr nichts anhaben. Sie trotzte allem, hatte Fuß gefasst zwischen Beton und dem ganzen Schmutz, den trampelnden Füßen und der Eile, von welcher sie täglich umgeben war.
Auf einmal wurde es ruhig um ihn und in ihm. Die Geräusche und der Schmerz in seinem Kopf verebbten, bis sie sich völlig aufgelöst hatten. Der Schmutz, die Hektik, die ganzen Häuser und Autos waren vergessen, als ob sie niemals zuvor existiert hätten.
Er befand sich in einem Tunnel, wo es nur noch ihn und die Blume gab. Ihr dunkles Karminrot reflektierte alle seine sehnlichsten Wünsche, die er in sich verborgen trug. Das Licht, welches sie umgab, fand seinen Weg direkt in seine Seele und erleuchtete sie. Er war unfähig, noch etwas zu denken. Er war nur noch. Er, ein Mensch, die Ewigkeit, alles.
Eingereicht am 04. Februar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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