www.online-roman.de       www.ronald-henss-verlag.de
Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Lehrjahre

© Jean-Luc Wanawizzi


Nachdem ich die Hauptschule verlassen hatte, war mir nicht im Geringsten klar, was ich nun eigentlich tun sollte. Meine Leistungen waren meist mittelmäßig, über die Jahre hatten mich sämtliche Bemühungen meiner Lehrer kalt gelassen, was man mir bot, kotzte mich an. Ich war stets ein Fremdkörper geblieben.
Es begann schon in der Grundschule, ohne jegliche Erfahrung mit anderen Kindern wurde ich mit 7 Jahren in die Mühle des Schulbetriebes geworfen. Eigentlich wollte man mich mit 6 Jahren einschulen, da ich aber bei der schulpychologischen Prüfung schlicht auf keine Frage antworte, konnte ich eine Rückstellung erreichen. Die Schulpsychologen hielten mich für bescheuert, dies verschaffte mir ein Jahr Aufschub...
Was dann folgte, wurde um so schlimmer, vom ersten Tage an war ich der Klassendepp, ich hatte nie gelernt, mich gegen die Angriffe meiner Mitschüler zu wehren.
Es fing so harmlos an, das Jahr 1968, meine Mutter eröffnete mir, daß ich nun doch mit der Schule beginnen würde. Ich bekam ich eine Schultüte, ein Bild vor den Stufen der Wohnung wurde gemacht (ich besitze es heute noch), dann wurde ich von meiner Mutter vor das Schulgebäude gebracht. Da stand ich nun vor dem Schulgebäude, beim Hineingehen hatte ich den Eindruck, als würde ich eingemauert, es war unangenehm, die genaue Erinnerung stellt sich mir als Verwirrung dar, sie bedeutet nicht das Wort "Mauer", welches eine Deutung des Erwachsenen ist, der ich nun bin. Es waren vielmehr Bilder des Drucks, der Angst, die Angst, die mir von Besuchen beim Zahnarzt bekannt war, beim Warten, die Angst, die an den Beinen zum Arsch hochsteigt, die Angst die so unangenehm kribbelt. Jeder kennt diese Angst.
Die Einschulung selbst vollzog sich für mich bedeutungslos, unsere zukünftige Lehrerin laberte Einleitungsworte, ich hörte nicht zu. In der ersten Pause wurden wir auf den Hof geführt, am Rande des Hofes war ein Sandkasten, ich setzte mich auf den Rand des Sandkastens, kurze Zeit später sprach mich ein Mädchen an. Sie war hübsch, ihre Kleidung roch mir nach Himbeeren. Ich frage mich noch heute, ob sie tatsächlich nach Himbeeren roch, oder ob mir meine erste Verliebtheit diesen verführerischen Geruch nur vorgaukelte.
"Denise" hatten ihre Eltern dieses zauberhafte Wesen genannt. Sie schaffte es, mich trotz meiner Schüchternheit zum Sprechen zu bringen, ich offenbarte meine Angst vor der Schule. Sie hatte auch Angst, sie verstand mich, meine männlichen Schulmitbeginner verstanden mich in keiner Weise. Ich war also ein Mädchen. Kurz bevor die Pause zu Ende war, schlug sie vor, mich zu heiraten. Zu der Hochzeit mit Denise kam es allerdings nicht, ich sah sie nur noch ein einziges Mal. nur weil meine "bösen Eltern" umzogen.
In der neuen Schule wurde es schlimmer, die einfühlsamen Mädchen fand ich hier nicht vor, ich wurde stets verdroschen, nur die Aussicht auf die Ferien hielten mich vom ständigen Gedanken an Selbsttötung ab. Ich hatte keine Interessen, die "normal" waren, Fußball sagte mir nichts, überhaupt schien mir jeglicher Wettkampf, das Übertrumpfen der anderen Mitschüler sinnlos, ich war ein Schwächling und fragte mich, warum nur Stärke zählte, ich hatte doch auch Träume, warum waren sie nichts wert? Ein Ironie des Schicksals, daß ich einige Jahre später selbst als gefühlloser "Schläger" gelten sollte und mich auch entsprechend verhielt. Ich werde hierzu an späterer Stelle meiner Beschreibung berichten.
Ich interessierte mich ganz überwiegend für "Lesen", vielleicht, weil ich ein Einzelkind war. Anfangs waren es nur Bilderheftchen, wie "Tom & Jerry", diese Hefte sagten mir nicht allzu viel, da die Hauptfiguren Tiere waren. Ich wünschte einen menschlichen Bezug. Als mir ein Heft von "Spiderman" in die Finger geriet, war ich begeistert, Peter Parker (Spiderman) war ein Mensch und wahrlich ein göttlicher Verlierer, ich liebte ihn von der ersten Seite der damals noch schwarz- weißen Darstellung an. Ich liebte jegliches gedrucktes Wort, da ich nahezu immer allein war...
Aufgrund des beschissenen Verdienstes meines Vaters ging meine Mutter "putzen", es war also kaum Zeit für Kinderbetreuung, also las ich, zunächst Kurzgeschichten über "Flipper", Kriminal - oder auch Liebesromane, etwas später kam Samuel Clemens (Tom Sawyer) hinzu. Diese gedruckten Worte bedeuteten meine Ausflucht aus dem Alleinsein, es tat so gut, wie sich fügten, die kleinen schwarzen Buchstaben, sie hatten eine Magie, die Fernsehen nicht erreichen konnte. Und auch ich konnte Worte zusammenfügen. So schnitt ich aus einem Werbeprospekt der Firma "Villeroy und Boch" Bilder aus, die ich mit Ausschnitten aus Donald-Duck-Heften vermischte, dazwischen plazierte ich eigene Texte. Wenn man an der Einsamkeit schon nichts ändern konnte, konnte man doch wenigstens darüber schreiben.
Eines Tages führte ich meine Aufzeichnungen mit in die Schule. Mein damaliger Lehrer bekam sie zufällig in die Hände. Er hielt meine "Werke" für "krank" und drohte, meinen Eltern davon zu berichten. Ich schämte mich, mein Zusammenfügen war unterdrückt, ich galt als "krank". Also ließ ich es zunächst.
Ich spielte stattdessen mit den damals üblichen Spielzeugen. So hatte mir meine Mutter ein "Batmobil" geschenkt. Das Fahrzeug muß für damalige Verhältnisse sehr teuer gewesen sein. Batman und Robin saßen als herausnehmbare Figuren in dem Vehikel, vorn an der Motorhaube konnte man ein winziges Beil auf Knopfdruck herausschnellen lassen. Am Auspuff züngelte eine rote Plastikflamme, die durch das Rollen des Fahrzeuges hin und her bewegt wurde. Dort, an der Stelle, an der gewöhnliche Fahrzeuge einen schnöden Gepäckträger haben, war ein Raketenwerfer angebracht. Man konnte den Raketenwerfer mit kleinen Plastikraketen laden. Diese konnten mittels einer Federeinrichtung verschossen werden. Ebenso stolz war ich auf den "View-Master". Dies war ein Sichtgerät, welches annährend dreidimensionale Bilder lieferte, da man es wie ein Fernrohr nutzte, und so beide Augen angesprochen wurden. Die Bilder befanden sich auf kleinen Scheiben, die man selbstredent extra kaufen mußte.
Der "Renner" aber war das Western-Fort, das mein handwerklich begabter Vater für mich eigenhändig gefertigt hatte. Der ganz überwiegende Teil, speziell die Holzteile, waren selbstgeschnitzt. Eines hatte jedoch dieser praktisch veranlagte Mensch übersehen, er hatte in das Western-Fort eine neuzeitliche Tankstelle mit Garagen unter dem hinteren Holzwall angebracht. Diese Blechspielzeugtankstelle thronte in diesem Fort, und trotzte standhaft der geschichtlichen Realität. Mich indes störte der "Fehler" nicht, im Gegenteil, mein Fort war einzigartig. Es war Western-Fort, Tankstelle und ein Bruch im Raum-Zeit-Kontinuum zugleich. Die Vergangenheit und ihre Zukunft trafen in friedlicher Weise aufeinander, meine Plastik-Cowboys genossen das Privileg, ihre Pferde in einer Garage abzustellen zu können. Der Garagennachbar der Postkutsche war ein Geländewagen...
Die folgenden Jahre waren von einer brutalen Gleichförmigkeit geprägt, ich versagte natürlich auch im Sport, über diesen Bereich die Beachtung der Mitschüler zu erringen war also auch gelaufen. Dann fingen sie mit den "Bundesjugendspielen" an, man hatte sich in das Stadion der Stadt zu begeben, dort wurden auf dem Rasen fein säuberlich mit Zeltheringen Bereiche abgesteckt und schwule Fähnchen mit Nummern angebracht. Hier also zelebrierten sie das sportliche Leben, die bislang unbeteiligte Wiese wurde mittels Zeltheringen, Plastikband und Nummernschildchen zur Sportparzelle...Mir schien es einen Augenblick als duldete die Wiese dies ebenso unwillig wie ich, aus den für die Zeltheringe gestochenen Löchern drang der Geruch von Erde - Geruch wie man ihn von Friedhöfen her kennt - ihrer Arroganz die Erinnerung an ihre Sterblichkeit entgegenhaltend -sie nahmen die Mahnung jedoch nicht wahr, zu köstlich roch ihnen der eigene Schweiß, da er doch Auszeichnungen verhieß.
Wir wurden in "Riegen" unterteilt, Riege 1, Riege 2, Riege 3,....Riege-Schrei - die Stumpfheit gen Himmel. Da es säuisch heiß war, ging mir der Reigen der Riegen am Arsch vorbei, ebenso wie die Disziplinen Rennen, Plastikscheibe-durch-die-Luft-werfen, und Weithüpfen. Da inzwischen schon am Saufen war, wäre mir ein kaltes Bier entschieden lieber gewesen. Die Mitschüler aber rackerten sich brav ab, um eine verschissene Sieger- oder Ehrenurkunde zu erringen. Als mein Mitschüler Achim mir Anfang der nächsten Woche stolz seine Siegerurkunde präsentierte, hatte ich Gelegenheit mir das Objekt der schülerischen Begierde genauer anzusehen, zu meinem Erstaunen handelte es sich um ein völlig freudloses Stück Papier, ich besah mir den Wisch genau aber außer den Worten SIEGERURKUNDE und Achim W. konnte ich keine Besonderheiten entdecken. Dieses schnöde Stück Papier also versetzte sie in höchste Verzückung, ich war erstaunt. Müßig zu erwähnen, daß ich niemals in meiner Schullaufbahn auch nur eine Sieger-oder Ehrenurkunde errang. In ebensolche Begeisterung versetzte meine Mitschüler das Absolvieren des Frei- Fahrten - und Jugendschwimmers, putzige Abzeichen mit einer, zwei oder gar drei stilisierten Wellen wurden von den Muttis auf die Badehosen genäht. Ich errang auf Drängen meiner Mitschüler Frei- und Fahrtenschwimmer, als meine Mutter die Abzeichen auf meiner Badehose angebracht hatte, schämte ich mich derart "geschmückt" unter die Allgemeinheit zu treten.
Die einsetzende Pubertät hatte den Vorteil, daß sich die Mitschüler für Musik zu interessieren begannen, dies hätte eine gemeinsame Basis eröffnen können, gleichsam ein größter gemeinsamer Nenner, ich aber bevorzugte statt den "Bay City Rollers" oder "Sweet" die Gruppe "Deep
Purple", die galten aber schon damals als "überholt" und so war ich auch hinsichtlich meines Musikgeschmacks ein Sonderling.
Dennoch ergab sich eine Übereinstimmung, mein Mitschüler Achim konnte sich "Deep Purple" und "Sweet" begeistern, wir verbrachten viel Freizeit miteinander, und kauften uns von den zur Konfirmation üblichen Geldgeschenken einen Bass und eine Elektrogitarre. Fortan wurde im Keller meiner Eltern geklimpert und gesoffen. An meiner Stellung als untergeordnetes Klassenmitglied änderte dies unterdessen nicht allzu viel, aber immerhin wurde ich nun weniger häufig verprügelt.
Indessen verdanke ich Achim W. vieles, so gelangte ich durch sein Bemühen zu meinem ersten Zungenkuss, da ich bislang eine orale "Jungfrau" war, wurde ich von Achim's Freundin Diana in die Praxis des Zungenkusses eingewiesen:" do steckscht die Zung nei un rührscht so rum, die Alt tut dann aach so rum mache mit de Zung, werscht dann scho merke, wie's abgeht", intonierte sie im pfälzischen Idiom. Wie es dann abging, merkte ich dann in der Tat auf einem Spielplatz in der Nähe des Hafens, die ziemlich häßliche Claudia B. steckte mir ihre wahrhaft dicke Zunge in den Schlund, ich folgte exakt der Knutsch-Anweisung von Diana, dennoch lief ständig die Sabber an unseren Mäulern herunter.Scheiße! Claudia B. störte es nicht.
Als die 9. Klasse begann, standen sogenannte Berufspraktika an, man hatte sich einen Praktikumsplatz zu besorgen, um die "berufliche Wirklichkeit" kennenzulernen. Ich hoffte die berufliche Wirklichkeit umgehen zu können und erkrankte erst einmal für zwei Wochen. Danach drängten mir meine Eltern ein Praktikum bei der Fernsehmechaniker-Firma an der Ecke auf, am ersten Tag erschien ich erst mal zwei Stunden zu spät, glücklicherweise hatten die Herren Fernsehmechaniker nicht ein Fünkchen Interesse an ihrem Praktikanten, so kam ich zunächst unbelligt davon. Die nächste Woche verbrachte ich auf einem Stuhl sitzend, während der rührige Fernsehmechaniker X, dessen Name mir nicht mehr erinnerlich ist, die Bäuche von zahlreichen Fernseh- und Radiogeräten eröffnete und hiernach irgendwelche Kabel irgendwohin verlötete. Nebenbei dudelte ein schmieriges Transistorradio, dessen Klang von gelegentlichen Fürzen meines Gesellen durchbrochen wurde.
"Gut geforzt is halb geschisse", pflegte mein Mechaniker immer zu sagen, sprachs und rülpste mir ins Gesicht.Meist erzählte er mir dann, wie er seine Frau am Wochende durchgevögelt hatte: "Die Sau hott ihr Woch ghabt, abba geil war se wie Nachbars Lumpi, do hab ich 'er die Finger in die Fut gschobe, donoch ware die Finger mit Votzeblut eigsaut. So lehrnte ich zwar manches über die innere Befindlichkeit deutscher Fersehmechaniker-Ehemänner, aber leider gar nichts über den Beruf des Fernsehmechanikers.
Ich absolvierte dann ein weiteres Praktikum bei einem Gas- und Wasserinstallateur. Ich fand mich morgens um um 6.00 Uhr ein, wir bestiegen einen VW-Bus, gegen 6.45 Uhr kamen wir bei den Auftraggebern an. Im Keller sollte ein Anschluß freigelegt werden, mein Geselle wuchtete das gigantische Bohrgerät gegen die Mauer, Stück für Stück wurde abgetragen. "Jets bohrscht du weita...", forderte er mich auf. Mir gelang es kaum das Gerät anzuheben, nach einer Minute erlahmten meine Arme, ich schwitzte wie ein Schwein, abgetragen hatte ich fast nichts. So sehr mich auch bemühte, ich bekam den perversen Monsterbohrer nicht mehr hoch. Mein Geselle bemerkte, daß ich ein Schwächling war, zur Erholung durfte ich draußen vor dem Haus eine Grube ausheben. Auch beim Graben erlahmten meine ungeübten Arme nach Minuten, ich konnte nicht glauben, daß irgendein Mensch derartige Tätigkeiten 40 Jahre lang erbringen kann... Dies sollte also meine Zukunft sein, 40 Jahre Gas, Wasser und Scheiße. Ich fand diese Aussichten angesichts der Weisheit meiner 15 Lebensjahre als ungerecht, verdienten doch Leute wie Mick Jagger Millionen mit Singen und Arschwackeln, irgendwas schien hier entschieden falsch zu laufen. So verfiel ich in tiefes Selbstmitleid und arbeitete schlicht gar nichts mehr. Mein harter Einsatz wurde am Ende des Tages entlohnt, man eröffnete mir, daß ich gänzlich ungeeignet für diesen Beruf sei.
In meiner nun wieder reichlichen Freizeit soff und kiffte ich oder schnüffelte Fleckenentferner. Wichtig war, dieser trostlosen Realität einige Stunden entfliehen zu können, oft sah ich in diesem Zustand einen im Park einen Baum an, die zarten Sprossen von grünen Blättern, die kleinen Ameisen, eine Welt für sich inmitten der Stadt, unter dem Baum eine Insel von Grün, auf dem Friedhof eine Grashügellandschaft. Ich stellte mir vor zu schrumpfen, dort eine Parallelwelt vorzufinden, in der ich leben könnte. Die Idee kam mir zuerst als Kind durch die Superman-Comics, Superman konnte sich in eine Flasche "beamen", in der sich Kandor befand, ein Reststück seines Heimatplaneten Krypton, eine komplette Stadt. Die Weiterentwicklung brachte der Film "Brigadoon" mit Gene Kelly, ein schottisches Dorf tauchte alle hundert Jahre auf, zwei Wanderer finden es.
Meine Eltern wurden ob meiner Unentschlossenheit nervös, so wurde mir nach dem Hauptschulabschluß kurzerhand eine Lehrstelle als Stahlbauschlosser "besorgt".
Zu Beginn der Schloßer-Leere wurden wir mit "Blaumännern" ausgestattet, schon diese Bekleidung war eine Zumutung, zu den schlabbernd weiten blauen Fetzen gab es höllisch bequeme Stahlkappenschuhe. Dann war "Grundkurs Metall" angesagt, mehrere Stücke von verschissenem Metall sollten in eine vorgegebene Form gefeilt werden. Das Rumschrubben auf mir unbekannten Metallstücken langweilte mich, so suchte ich regelmäßig das Betriebsscheißhaus auf, um unter Zurhilfenahme eines mitgeführten Pornoheftes zu onanieren und danach einen Joint durchzuziehen. Nach meiner Rückkehr an den Schraubstock hatte ich eine Schraube zu bearbeiten, hierzu war daß behutsame Feilen mit einer sogenannten Schlichtfeile erforderlich. Um eine möglichst genaue Bearbeitung zu erreichen, wird Kreide auf die Schlichtfeile aufgebracht, ein geduldiges Unterfangen also. Mir aber ging die verfickte Schraube nach dem Kiff auf dem Scheißhaus so auf den Sack, daß ich kurzerhand die Grobfeile ansetzte... grumbb...ritsch...als ich die Schraube danach in Augenschein nehmen wollte, war sie nur noch Metallstaub...Mein Meister war angemessen begeistert, zwei Wochen später war ich arbeitslos.
Inzwischen besuchte ich regelmäßig die Kneipe " Zentrale" in Mannheim. In diese Lokalität war ich von meiner etwas älteren Cousine Birgit eingeführt worden. Auch Birgit verdanke ich viel, denn in der "Zentrale" traf ich Sabine K., meine erste "feste" Freundin.
Wir saßen an einer großen, durchgehenden Bank gegenüber, wir redeten, unsere unfertigen Charakter fanden sich, verschlangen sich - kurz - wir waren verliebt. Verliebt, so wie man nur mit 15 oder 16 Lebensjahren verliebt sein kann. Alles war magisch, die Luft, die Musik, nichts war unerreichbar. Als wir zum ersten Male am Mannheimer Paradeplatz am Knutschen waren, lief uns die Sabber an unseren Mäulern herunter, nur diesmal störte es mich nicht. Es war eine schöne und unvergeßliche Erfahrung, aber ich zerstörte unsere Beziehung schließlich durch mein Abweichen und mein rücksichtloses Interesse für Saufen und Drogen.
Ob diese Beziehung Chancen gehabt hätte, kann ich im Rückblick von jetzt mehr als 25 Jahren nicht beurteilen, ich habe allerdings berechtigte Zweifel...
Sabine's Eltern luden mich an einem Abend zum Essen ein, ich war in derartigen gesellschaftlichen Verpflichtungen in keiner Weise geübt. So brachte ich schon keine Blumen für die Mutti mit, auch zog ich mir keine besondere Kleidung an. Zur gleichen Zeit war der Freund der Freudin meiner Sabine eingeladen, er war etwas älter und besuchte ein Wirtschaftsgymnasium, er wußte, wie er vorzugehen hatte. Er erschien mit Blumen, beherrschte "Konversation" und war edel gekleidet, ich Schaf hatte keine Chance, ich bemerkte nicht einmal, daß man mich zur Schlachtbank geladen hatte, während der Musterschüler brillierte, ging ich unter, ein "Fehler" folgte dem nächsten.
In dem mir gereichten Sektglas befand sich ein Stück Korken, durch die Kohlensäure getrieben stieg es stetig im Glase auf und ab, es sah irgendwie lustig aus, wie es hoch und runter ging. Ich machte in meiner Unerfahrenheit auf das "Ereignis" aufmerksam, es war wohl mein "gesellschaftlicher Tod", Sabine's Eltern hatten sich für ihre Tochter einen bürgerlich sozialisierten Freund erwartet, da war dieser Sohn eines Hilfskochs entschieden falsch am Platze. Ich hatte alles "falsch" gemacht, indes hatte mir niemand gesagt, daß es bei dem Abendessen in Wahrheit um einen Wettbewerb gehen würde, um ein Rennen, daß ich mangels Training niemals hätte gewinnen können. Da war es wieder, ich war doch auch ein netter Kerl, warum zählte nur das hündische Kriechen vor den Begriffen und der Konvention? Ich wurde den Rest des langen Abends darauf verwiesen, mir die in Aussicht genommenen Zukunftspläne des Wirtschaftsgymnasiasten anzuhören, er ließ keine Gelegenheit aus.Wort um Wort, Satz um Satz stieg er, während ich in die Bodenlosigkeit fiel. Es war eine Hinrichtung, ich fragte mich damals, warum sie ein Schaf hinrichten mussten. Heute weiß ich, daß alle Schafe diese Frage stellen.Darum hörte ich auf ein Schaf zu sein. Am späten Abend, brachte mich Sabine an die Hauseingangstür, da bemerkte ich, daß sie weinte, ihre Eltern hatten ihr zu verstehen gegeben, daß ich der "Falsche" war.
Sie weinte so bitter, im Treppenhaus, daß es mir scheinbar körperlich am Herzen stach, ein Stechen, als schnitte man mir Teile der Innereien weg, nur weil ich versagt hatte, war sie traurig, es tat so weh, da ich sie doch so lieb hatte, ich fühlte mich wie ein Eimer Scheiße. Nachdem ich den Hausgang verlassen hatte, liefen auch mir die Tränen die Backen herunter. Ich sah meine Tränen auf den unbeteiligten Beton klatschen, all unsere zärtliche Zusammenheit war nichts wert, die endlichen - die für uns unendlichen Stunden der gelebten Sehnsucht - wurden von gesellschaftlichen Notwendigkeiten ausgelöscht...
Doch dann wurde ich zornig, sollte doch der Wirtschaftsficker Scheiße fressen, ich würde sie alle einschläfern und des Gymnasiasten verdammte Mutter in ihren faltigen Arsch ficken, sie aufschneiden, ihr die bescheuerte Möse rausschneiden, sie ausstopfen und an meine Posterwand hängen. Oder noch besser, ich würde die faulige Gebärmutter der Drecksau rausschneiden und dann fressen, frisch und roh, blutig tropfend, zur Einverleibung ihrer Stärke. All ihre spießigen Hoffnungen würde ich mit meinem stinkenden Proletensperma ersticken, die Welt war tot, zehntausendmal war sie tot...
Nach einigen weiteren Praktika, war ich 17 Jahre alt, nach meinem vorzeitigen Ende als Stahlbauschlosser, suchte ich eine Möglichkeit, mich ein paar weitere Jahre vor dem Eintritt ins Berufsleben zu drücken, also ging ich auf eine Handelsschule. Ich hätte mit sicherlich mit der gleichen Begeisterung einen 24 monatigen Kurs für Sackhüpfen absolviert, aber Hauptsache Mamma hielt die Fresse. Gleich zu Anfang ließ ich mich der deutsch-griechischen Mitschülerin Nana L. ein, auch sie war schon höllisch am Saufen, wir hangen ständig in der Wohnung ihrer stets abwesenden Eltern rum. An Buchführung und Kurzschrift verschwendete ich kaum noch Zeit. Es war eine bitter-süße Beziehung, da Nana ein wahrhaftes Dreckstück war, ständig bumste sie mit anderen Typen rum, schaffte es aber immer wieder mich in ihren Bann zu ziehen. Das ständig abgedunkelte Zimmer in der Wohnung ihrer Eltern, die Sauforgien, die Musik der Gruppe
"Nazareth" und die Faszination die von ihr ausging, waren wie eine Droge. Nana stand scheinbar regelmäßig an der Schwelle zur Selbstötung, sie schnippelte sich wöchentlich die Arme mit einer Rasierklinge auf und warf Unmengen von Pillen ein, mir ist bis heute nicht klar, ob sie nur auffallen wollte oder aber wirklich derart kaputt war. Wir soffen und quälten uns weiter.
Um Eindruck zu schinden, fuhr ich mit einem Mitschüler regelmäßig bei einer Motorradgruppe mit, Schlägereien, Saufturen, es endete damit, daß ich mit einer Schußverletzung ins Krankenhaus kam.. Irgendein Arschloch hatte mitten in der Nacht an unserem Zelt gefummelt, als ich nachsehen wollte, traf mich der Schuß einer Gaspistole in die Fresse.So verbrachte ich mehrere Wochen in der Augenklinik, Nana besuchte mich zwar einmalig, zog es dann aber vor, sich wieder von anderen Stechern durchbumsen zu lassen. Ich Idiot war inwischen 18 Jahre alt geworden, nur für sie verließ ich das Krankenhaus, auf eigene Verantwortung, nur um sie zu besuchen. Sie lag inzwischen auch wieder im Krankenhaus, wieder mal Tabletten. Als ich sie besuchte, hatte sie gerade wieder einen "neuen" Freund! Selbst im Krankenhaus hatte diese Votze einen Idioten wie mich rekrutiert. Die Zeit meines Erwachens war gekommen, ich holte den Radiorecorder, den ich ihr geliehen hatte aus dem Krankenhaus ab, nun sollte Schluß sein. Sie erschien nicht mehr in der Handelsschule, ich habe sie nie wieder gesehen...
"it's better to have love and lost then never to have love at all..." so eine Zeile aus einem Nazareth-Song, den wir hundertfach im Suff hörten...Na, was denken Sie?
Ich fing nun schon am Morgen mit Saufen an, da meine Mutter meist schon "putzen" war, ließ ich das Frühstück ausfallen und hörte stattdessen lieber Grateful Dead und soff zwei, drei oder mehr Flaschen Bier. Entsprechend angedonnert ging ich dann in die Handelsschule. Ich hatte mir die Haare inzwischen schulterlang wachsen lassen, trug weite Klamotten und ging oftmals mit zwei verschiedenen Schuhen zur Schule, was mir den Spitznahmen "Shoes" eintrug, da aber "ausgeflippt" sein inzwischen bei den Mitschülern ankam, stieg ich nun zum Exoten auf. Da ich als "wahnsinnig" galt, wagte auch niemand mehr mich körperlich zu belästigen. Nun wurde ich zwar nicht mehr verprügelt, dafür trachtete aber der Schulleiter ständig danach "den Verrückten" von der Schule zu werfen, angeblich hatte ich einen schlechten Einfluß auf meine Mitschüler.
Ich war fortan nur noch am Saufen, während der Schulzeit war ich halb besoffen, danach bis zur Bewußtlosigkeit.
Mitte des zweiten Jahres schickte mich meine Mutter, eine Lehrstelle im Handel zu erringen, schick gekleidet wurde das Haus verlassen, eine Lehrstelle suchte ich mir nicht. das von Mutter mitgebene Geld versoff ich (der Sommer 1980 war sehr heiß) meist schon auf halbem Wege. Es war eine Sauerei, es gab so viele geile Weiber und wie geil sie waren, ich sah ihre Beine, Ärsche und Titten und die überwiegende Zahl war für mich unerreichbar. So ging ich oftmals in ein Kino, eines, daß einen zünftigen Pornofilm zeigte, die heutigen, überaus komfortablen Wichskabinen waren ja noch nicht erfunden. So mußte man sich mit Dutzenden von schnaufenden Opas einen doch recht müden Fickfilm reinziehen. Die schwulen alten Bastarde schauten immer, ob man sich wichste, daher ließ man es. Einmal sah ich, wie ein junger Spund einen alten Sack in der ersten Reihe abkaute, der Spund wichste den Methusalem-Prügel ab, der alte Drecksack spritzte tatsächlich ab, die Brühe lief dem Bübchen aus der Fresse, auf den roten Stuhlbezug.
Da ich auch Kontakt zu den Mitschülern Jörgen, Andreas und einigen anderen fand, war der Rest des zweiten Jahres ein persönlicher Gewinn, wir soffen, hörten AC/DC oder Pink Floyd und hangen unseren Träumen nach.Dies hatte indes seinen Preis, ich bestand die Abschlußprüfung natürlich nicht.
Gleich nach der nicht geschafften Handelsschule zog mich die Bundeswehr ein. Ich hatte mich in Rennerod (Westerwald) einzufinden, schon der erste Tag war eine Katastrophe. Nach der langen Zugfahrt stand ich auf dem Kasernenhof, ein häßlicher Zwerg in grünem Kampfanzug ließ uns Anfänger erst mal antreten, dann eröffnete er uns, daß wir alle "dumme Wichser und außerdem Bettscheißer" seien, die bisher an "Mammas Titte gelutscht" haben.
Der Schnack von der politischen Korrektnis war zu jener Zeit noch nicht erfunden.Während der Wehrzwerg weiter giftete, fing es auch noch an zu schütten wie aus Eimern. "Und wenn's Scheiße schmeißt, ihr blöden Zivilistenkacker, ihr Rotärsche, ihr Muschis bleibt hier stehen", tönte der grüne Wicht. Dann wurde die Bettwäsche ausgegeben, sie fiel mir auf den naßen, schmutzigen Boden. "Willste dich nich gleich daneben legen, mein Schatz", kommentierte der Begrüßungsgnom mein Ungeschick.. ."Solche wie dich ham wa gerne, du Muschi, in einer Woche wirste aus allen Löchern scheißen" intonierte der Arschzwerg, er hatte mich offenbar ins Herz geschlossen. "Augen links, ihr Saftärsche, weggetreten, aber ganz schnell, ich will Gummi riechen..."
Das Essen war hundserbärmlich, oft gab es Nieren, dann stank der ganze Speiseraum nach Pisse, wahrscheinlich waren sie zu faul, die Kuddeln richtig auszuwaschen.Meist wurde dann in der kleinen Kantine gegessen, die hatten wenigstens Brathähnchen. Dort verbrachte ich auch die Abende, als die Wehrplichtigen besoffen waren, wurden die Bundeswehr-Evergreens gegrölt. "Was brauchen wir das G 3, wir schießen ja doch vorbei, was brauchen wir den Leopard, wenn er keine Votze hat, "was brauchen wir die Bundeswehr, schafft lieber junge Weiber her..." Gegen junge Weiber hätte ich wahrlich nichts einzuwenden gehabt, gegen diesen Grad der Stumpfheit jedoch allerhand.
Ich saß meist abseits, dieses laute Männergehabe, das sich letztendlich mit der Wehrpflicht abfand, stieß mich ab. Schon nach einem Monat hatten sie die Eigenheiten ihrer Ausbilder übernommen, sie ahmten ihren Tonfall bzw. typische Redensarten am Stammtisch nach, ein untrügliches Anzeichen, daß sie sich abgefunden hatten. Sie wurden Teil dessen, was sie angeblich hassten. Ich aber wollte mich nicht abfinden, so stellte ich weiterhin so dämlich als möglich an, hieß es "rechts um", machte ich links um. Die Lächerlichkeit dieser staatsbürgerlichen Pflicht war nicht war nicht zu übertreffen: In jeder Lehrveranstaltung erzählte man uns, daß wir im Erstfall ohnehin alle im Arsch wären, denn Einsätze für die Gasmasken gab's sowieso nicht. Aber der Ernstfall würde ja nie kommen, so hatte man eben seine 15 Monate abzureißen.
Am Abend gingen wir in das Dorf, hinter dem Eiscafe gab es eine Anhöhe, dort fand eine Art Gartenparty statt. Viele junge Leute waren da, eine Musikband spielte, langhaarige junge Männer spielten die gängigen Rockklassiker,nach dem 7. Bier klangen sie höllisch gut. Da so viele Bundeswehrsoldaten anwesend waren, widmete der Sänger der Band den nächsten Song uns Wehrpflichtigen. Er tat es auf englisch, offenbar hoffte er insgeheim auf unsere überwiegende Unfähigkeit ihn zu verstehen, um so sozialkritisch zu sein, ohne von einer Horde von besoffen "Bundeswehrlern" gleich auf die Schnauze zu bekommen. "This song is for the young soldiers, the title is: "Are you ready to die" Seine Taktik ging auf, meine inzwischen völlig blauen Kameraden realisierten die Botschaft nicht, ganz in Gegenteil, sie spendeten am Ende des Songs reichlich Applaus, da ihnen die Musik gefiel, der Sänger schien nun doch etwas enttäuscht, aber noch weiter zu gehen, wagte er nicht. Schade.
Da ich jeden Abend besoffen war, kam ich einen Abend 10 Minuten zu spät in die Kaserne, sogleich wurde mein Wochenendurlaub gestrichen. Zur Belohnung wurde Sonntags bei 30 Grad Hitze auf einem baum- und strauchlosen Betonplatz exerziert, wir fünf Ungücklichen repräsentierten den 5. Zug, in Reih und Glied angetreten, ertönte der Befehl "Augen rechts", da ich weitere Schikanen befürchtete, drehte ich meinen verschwitzen Schädel nach rechts. Zu meinem Erstaunen folgte der auf meinem Kopf thronende Stahlhelm meiner Bewegung nur mit einiger Verzögerung, dabei gab er quitschendes Geräusch von sich... ruck...skriitsch...der diensthabende Unteroffizier amüsierte sich köstlich - ich weniger. In diesem Augenblick beschloß ich, den Saftladen zu verlassen, koste es was es wolle.
Gekostet hat es dann einen fingierten Selbsttötungsversuch, am Ende eines unvergleichlich schönen Wochendendes brach ich den Tablettenschrank meiner Mutter auf und warf einige Dutzend Pillen ein, wohlwissend, daß sie 10 Minuten später heimkam..Mutti holte dann den Krankenwagen. Es hatte sich gelohnt, denn, ich hatte zuvor am Samstag einen recht hübschen weiblichen Teenager auf einer Wiese in der Nähe der Wohnung meiner Oma gevögelt Leider gab es in diesem Sommer ganze Legionen von Mücken. Während des Begattungsvorgangs zerstochen die geflügelten Bastarde meinen Arsch und meinen Rücken, in meiner Geilheit bemerkte ich davon rein gar nichts. Am nächsten Morgen waren Rücken und Arsch übersät mit Mückenstichen.
Da war er nun, der holde nächste Morgen, die Dämmerung meiner Ausmusterung. Außer meinem Arsch juckte mich nun gar nichts mehr, denn nun stand wahrhaftig die Ausmusterung an.Was wollte man mehr.
Sie verfrachteten mich den Tag darauf in die Bundeswehrpsychiatrie Gießen. Ich hatte dort intelligente Fragen wie "haben sie öfter das Verlangen ihre Mitmenschen zu quälen" oder "haben sie öfter Blähungen" zu beantworten. Ich entschloß mich intuitiv alle Fragen mit "ja" zu beantworten und lag wohl richtig, einige Wochen später wurde ich ausgemustert...
wird fortgesetzt.....

Eingereicht am 02. Februar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


»»» Kurzgeschichten Alltag «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Kurzgeschichten und Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««