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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Cluburlauber

© Katja


Der Urlaub ist für die meisten Menschen wohl die schönste Zeit des Jahres.
Dem nervigen Chef und den mobbenden Kollegen den Rücken zuwenden und einfach mal zwei Wochen entspannen.
Jeder versteht unter Ausspannen etwas anderes. Es gibt also auch verschiedene Kategorien von Urlaubern: Tramper, Städteurlauber, Balkonier und nicht zu vergessen die Cluburlauber. Diese Spezies beschäftigt sich bereits kurz nach Jahreswechsel mit dem Sommerurlaub. Er studiert Neckermann und Co. und markiert mit den gefladerten Post-its aus dem Büro die günstigsten Clubs. Dieser Urlauber berechnet exakt wie er am günstigsten zu seinem All-Inklusiv-Urlaub kommt, weiß genau wann er buchen muss damit er sich den Frühbucherbonus abziehen kann und ist niemals bereit eine Reisezusatzversicherung abzuschließen. Das sind diejenigen die dem Personalchef am 2. Jänner ein riesengroßes Marzipanschwein schenken und ihm ganz nebenbei den Urlaubsantrag für Mitte August zur Unterschrift vorlegen.
Im Club treffen dann die leise und die laute Gruppe aufeinander. Zur Lauten gehören die Familienurlauber: Der Vater übernimmt für zwei Wochen die Kindeserziehung und die Mutter ist den ganzen Tag damit beschäftigt sich bei verärgerten Gästen für den Nachwuchs zu entschuldigen. Weiters zählen Rentner und von Natur aus "Ungute" zur lauten Gruppe. Diese sind morgens als erstes auf und eilen zu den Liegestühlen um diese mit Handtüchern und unförmigen Badehosen zu reservieren. Nicht irgendein Liegestuhl, nein das muss schon jeden Tag der selbe sein, auch im Urlaub gibt es eine gewisse Ordnung, und wehe dem es erlaubt sich ein anderer Frühaufsteher "sein" Liegebett zu benützen, dann wird der Rentner böse. Auch wegen des Essens kann es zu der einen oder anderen lautstarken Auseinandersetzung mit dem Hotelpersonal kommen, der Rentner sieht nämlich gar nicht ein warum er in exotischen Ländern auch exotische Speisen essen soll. Nach heftigen Debatten mit dem Küchenchef bekommt der Rentner sein Wiener Schnitzel oder Bratwürstl mit Sauerkraut, tagsdarauf folgt dann der Aufstand bei der Hotelleitung weil der von Durchfall Geplagte nicht schlafen konnte.
Zur zweiten, der leisen Urlaubergruppe zählen zum einen die Singles, die vorgeben alleine Ferien zu machen, um sich selbst zu finden. In Wirklichkeit beobachten sie den ganzen Tag am Strand die fröhlichen Familien und die glücklichen Pärchen, um abends mit einem frustrierten Gesicht an der Bar zu sitzen und mit dem Kellner den typischen Woher kommst du-wie lange bleibst du-bist du alleine hier-Smalltalk zu führen. Zum anderen sind es junge verliebte Paare, die gerade damit begonnen haben ein "ordentliches" Leben mit ihrem neuen Partner zu führen. Diese verbringen jede Minute gemeinsam, sprechen kaum mit jemandem, gehen früh zu Bett und sind die ersten beim Frühstück. Sie liegen den ganzen Tag am Pool und hängen in Gedanken ihren Erinnerungen an die fetzigen Mallorca-Parties nach, als sie noch solo und unabhängig waren.
In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: das Buffet ist da um geplündert zu werden. Schon beim Frühstück wird kräftig zugelangt. Spiegelei, weiches Ei, hartes Ei, Rührei oder gleich die ganze Henne, es ist alles zu haben, von süß bis sauer von salzig bis geschmacklos beim Frühstücksbuffet kommt jeder auf seine Kosten. Gierig sitzen die verschlafenen Hotelgäste vor ihren Futtertrögen, lassen den Kellner Kaffee nachschenken und lachen jedes Mal über den gleichen Schmäh. Es wird geschlemmt, gelöffelt und geschmiert bis nichts mehr rein geht.
Voll gefressen rollt sich dann jeder in eine andere Richtung, entweder zum Pool, zum Strand oder zum Ausflugsbus. Die Poolmenschen liegen meist in der prallen Sonne weil sie sich einbilden sie vertragen eine geballte Ladung UV-Strahlen, sie schmieren sich mit Sonnenöl (Schutzfaktor 2) ein um knackig braun zu werden. Etwa jede halb Stunde werfen sie ihre glänzenden Körper in das verchlorte Wasser, schwimmen zwei Runden und legen sich wieder hin um den veralteten Hits des Clubradios zu lauschen oder den mutigen Hotelgästen zuzusehen wie sie sich bei hirnlosen Pool-Spielen zu Affen machen. Das Poolweibchen nützt die Gelegenheit um bei Aquagymnastik hundert von den bereits tausend gefutterten Kalorien loszuwerden, das Poolmännchen liegt da, in der Hand den Schirmchendrink und in den Augen den Hintern der Bikinischönheit aus der vorderen Reihe.
Die Strandlieger sind für gewöhnlich den ganzen Tag damit beschäftigt sich, ihren Roman und die Handtücher von den feinen Sandkörnern zu befreien. Die Strandmenschen liegen einen halben Tag in der Sonne und die zweite Tageshälfte im Schatten, je nachdem wie ihr Strohschirm platziert ist. Zur Mittagszeit kann man diese Wesen dabei beobachten wie sie von Schattenstelle zu Schattenstelle hoppeln um sich auf dem Weg ins Meer die Fußsohlen nicht völlig zu verbrennen.
Um fünf Uhr Nachmittags sind Pool- und Strandleute völlig ausgepowert beim Kuchenbuffet anzutreffen um sich bei Filterkaffee und Schokokuchen zu stärken und gegenseitig anzugähnen. Die geschafften Ausflügler kehren meist gegen 18 Uhr zum Hotel zurück. Reihenweise marschieren dann verschwitzte klebrige Menschen mit riesigen Plastiksäcken in denen sie ihre Gewürze, Teppiche und Holzfiguren transportieren durch die Clubanlage zu ihren Zimmern. Nach all den Strapazen fühlen sie sich aber Standliegern und Pooltigern überlegen, weil sie ihren Horizont erweitert und das Land kennen gelernt haben.
Abends um fünf vor sieben hat sich bereits eine lange Schlange wartender Menschen vor dem Clubrestaurant gebildet. Ungeduldig erwaten die Gäste die Öffnung der Türen damit sie endlich wieder was zu futtern kriegen - ist ja auch schon lange her die letzte Fuhr. Nachdem die netten Kellner endlich Zutritt zum Fresstempel gewährt haben herrscht ein reges Treiben um Tische und Buffet. Die verschiedensten Figuren, Gewänder und Aufmachungen sind zu bestaunen.
Besonders die Damen sehen in ihrem allabendlichen Restaurantbesuch ihren großen Auftritt. Sie schmeißen sich in zu knappe Abendkleider, tragen High-Heels für die eigentlich ein Waffenschein existieren müsste und versuchen ihre UV-Licht bedingten Schäden unter schichtweise aufgespachteltem Make-up zu verstecken. Trotz tropischer Temperaturen wird an Mascara nicht gespart und bereits nach der Vorspeise rinnt eine Mischung aus Schweiß und Wimperntusche literweise über die Gesichter der Damen.
Besonders extravagant lassen die Ehemänner diese Frauen wirken, wenn sie selbst in kurzen violetten Hosen, grünem Schlabber-T-Shirt und weißen Badeschlappen hinter ihrer Liebsten herdackeln.
Ziemlich genau lassen sich beim Abendessen die Neulinge von den "alteingesessenen" Clubgästen unterscheiden. Erstere suchen eher zögernd nach einem Tisch von dem aus sie möglichst gut alle Vorgänge beobachten können. Sie blicken gespannt in jeden Topf und sind begeistert von den variantenreichen Reis- und Nudelkreationen, den undefinierbaren Fleischgerichten und den Salaten die dem Darm zwar feindlich gesinnt aber schön anzuschauen sind. Die die das Buffet bereits kennen gehen gezielt vor und sind schneller. Erstens müssen sie nicht auf den Kellner warten um ein Getränk zu bestellen, weil sie diesen bereits tagelang dressiert und ihn mit Trinkgeld gefüttert haben so dass er automatisch den gewünschten Durstlöscher auf den Tisch stellt, zweitens wissen sie genau in welchem Topf welches Gericht lagert und drittens kennen sie sich im Tisch-Labyrinth aus und laufen flink wie Wiesel zwischen Stühlen und Menschen umher.
Nach dem großen Fressen nehmen die meisten Gäste gerne einen Cocktail an der Bar, sehen sich ein schlechtes Schauspiel im Amphitheater an oder spazieren in den nächstgelegenen Ort um gefälschte Designerklamotten zu ergattern.
Gegen Mitternacht beginnt in den Hotelclubs für gewöhnlich die Disco. Dort amüsieren sich jung und alt, dick und dünn, dumm und dümmer. Damen und Herren genießen gleichermaßen ihre Anonymität und tanzen bis zum Morgengrauen. Ob Discofox, Hip-Hop, Salsa oder Techno sie bewegen sich zu allen Melodien, singen jeden Text mit und mit jedem Drink mehr werden sie freizügiger. Man muss es selbst erlebt haben, um glauben zu können welche Verrenkungen, Tanzschritte und andere Peinlichkeiten ein Mensch tatsächlich vollbringen kann. Wenn der DJ dann plötzlich das Licht aufdreht, weil der Saal für diverse Tagesaktivitäten freigemacht werden muss ertönt dann im Chor ein enttäuschtes "Ohhhh" und langsam bewegen sich die wilden Partylöwen zu ihren Zimmern. Da diese natürlich den sonnigen Tag nicht dort verschlafen wollen quälen sie sich ohne Schlaf durch den Tag und muten den anderen Gästen ihre verschwollenen Augenlider und faden Gesichtsausdrücke zu.
Nachdem der Cluburlauber nun vierzehn Tage Essen, Sonne und Meer genießen durfte, geht es schweren Herzens zurück in die Heimat. Um fünf Uhr morgens läutet ihn der Wecker aus dem Bett. Dann werden noch die restlichen Sachen in die Koffer gepackt und das Zimmer geräumt. Bevor die Busreise zum Flughafen losgeht nehmen die traurigen Cluburlauber noch ein letztes Frühstück im Hotel ein. Blöd nur, dass um halb sechs Uhr morgens noch nicht so viel reingeht. Dann heißt es auschecken, die überhöhte Rechnung für Minibar-Drinks und Heimattelefonate bezahlen und rein in den Bus.
Noch einmal kann jeder Land und Leute durch die verschmierte Glasscheibe bestaunen. Spätestens am Flughafen ist dann endgültig Schluss mit Urlaubsstimmung und Entspanntheit. Der steife Österreicher und der korrekte Deutsche kann nicht verstehen warum Einchecken und Passkontrolle so lange dauern. Außerdem macht es ihn rasend dass es mit der Verständigung nicht klappt und der bemühte Beamte den Wiener Slang nicht versteht. Endlich im Flugzeug angekommen muss sich der Cluburlauber dann noch darüber ärgern dass die gewünschte Zeitung nicht an Bord ist und das Flugzeugessen ganz und gar nicht seinem Geschmack entspricht.
Wüsste man nicht das diese aufgebrachten Menschen gerade von einem sauteuren Luxusurlaub kommen würde man ihnen beim Blick in ihre genervten Gesichter genau diesen empfehlen.



Eingereicht am 03. November 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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