Bratkartoffeln ... iih!!
© Gaby Schumacher
Jede meiner vier Töchter hatte ihren eigenen Geschmack. Das war schon so, als sie alle noch Schulkinder waren.
Leider bezog sich "eigener Geschmack" nicht nur auf deren Vorstellung von Mode. Dazu äußerte ich mich schon lange nicht mehr, dachte aber mit Grauen an die Jeans mit eingearbeiteter Klimaanlage. Löcher am Po, Löcher in der Kniegegend, Ausgucklöcher für den großen Zeh. (Auch Zehen möchten etwas von der Welt sehen!).
Leider konnte ich jenen Anblick selbst dann nicht ganz aus meinem Gedächtnis verdrängen, wenn meine Töchter morgens dann endlich zur Schule abmarschiert waren. Denn, kam ich dann in die Küche, guckte mir dort das geliebte Sieb entgegen, mit noch mehr Löchern. Es fungierte sozusagen als metallene optische Hosenvertretung, die meinen Beinkleiderfrust einfach ignorierte und ihn wie Luft behandelte.
Dem konnte ich auch nicht ausweichen, denn mein Leben spielte sich selbst bei herrlichstem Sommersonnenwetter hauptsächlich in der Küche ab. Als engagierte Mutter interessierte mich von morgens bis abends ausschließlich das Wohl der Kinder. Mein größtes Glück war es, sie von vorne bis hinten und möglichst noch rund um die Uhr zu bedienen. Aber das befand ich noch als zu wenig der Zuwendung. So spielte ich, mir der großen damit verbundenen Verantwortung bewusst, außerdem Köchin für sie.
Das war nun recht kompliziert. Sie aßen beileibe nicht alle alles. Die älteste Tochter mochte keine Tomaten, die zweite keinen Käse, die dritte keine Eier und die vierte so rein gar nichts. Der war ich dann sehr dankbar. Rein gar nichts war eigentlich äußerst praktisch, arbeitssparend und stand nach extrem kurzer Zubereitungszeit, nämlich so ungefähr gar keiner Minute, verlockend auf dem von mir liebevoll gedeckten Tisch. Das betreffende Töchterchen strahlte mich dann an. Doch die Blicke der anderen würden mich
nach kurzem ungläubigem Staunen erdolchen.
Notgedrungen nahm ich doch besser (ich lebte gern!) von diesem mir so angenehmen Gedanken Abstand. Nein, ich müsste ein Gericht finden, das allen schmeckte!
Ich kaufte sämtliche Kochbuchbestände von Düsseldorf auf, verzweifelt hoffend, sie präsentierten mir irgendwelche Mahlzeiten ohne Tomaten, Käse und Eier. Doch selbst die großen Köche dieser Welt standen meinem Problem anscheinend absolut hilflos gegenüber. Überall leuchteten mir in satten Farben die gelungensten Fotos von Tomaten, Käse und Eiern entgegen. Der Not gehorchend flitzte ich in die Stadt, erstand ein zusätzliches Regal für die Küche, verstaute all diese wunderschönen Kochbücher darauf und vergaß sie
tunlichst.
Ab und an gönnte ich mir ja doch Ferien von meinem Küchenaufenthalt und einen ausgiebigen Lebensmitteleinkaufsbummel bei Spar. Wie ich mich dunkel erinnerte (der letzte Einkauf war schon so lange her!), lagen dort ganz viele Illustrierten aus mit ganz vielen Seiten, die man ganz lange durchblättern konnte. Ab und zu, wenn die Zeit reichte, auch durchlesen durfte.
Mir war die Zeit gesonnen. Ich durfte schmökern. Wahllos griff ich mir eines der Hefte. Es war die Elternzeitschrift. Das war die, die den Erwachsenen immer erklärte, an allem Unglück im Umgang mit dem lieben Nachwuchs seien allein die Erziehungsberechtigten schuld, die sie diesbezüglich durch die Bank alle zu Irren im Geiste erklärte. Dem Nachwuchs durfte noch nicht einmal Schelte angedroht werden. Dessen zarte Kinderseele konnte dran zerbrechen. Den Erziehungsberechtigten musste eigentlich deren Berechtigung
zum Erziehen entzogen und diese den Kindern übertragen werden, damit aus den Erwachsenen dann richtige Erwachsene würden.
Als ich diese letzte Bemerkung gelesen hatte, entschloss ich mich, mir das Weitere nicht anzutun und blätterte die Seite schnellstens um. Mit dieser Entscheidung beeinflusste ich nichts ahnend mein Schicksal, wie ich dann jubelnd feststellte. Denn mir sahen Rezepte entgegen. Viele wunderschöne bunte Menüs doch tatsächlich ohne Eier, ohne Tomaten und ohne Käse. Lauter Bratkartoffelgerichte!! Es erschien mir wie ein Wink des Himmels. Ja, es gäbe Bratkartoffeln! Die mochten alle Kinder. Zu denen könnte ich sogar
Töchterchen Rein gar nichts überreden.
Frohgemut tänzelte ich nach Hause, marschierte nun leichten Herzens in die dann geliebte Küche. Ich kochte gleich zwei Kilo Kartoffeln, schnitt sie in Scheibchen, mischte Zwiebelwürfel darunter, gab alles in die Pfanne und streute noch Gewürze darüber. Es bruzzelte. Schnell zog der Bratkartoffelduft durchs ganze Haus. Es roch einfach köstlich.
Gespannt wartete ich auf das Eintreffen meiner Kinderschar. Es klingelte. Gottlob, sie waren alle gleichzeitig zurück. So konnte das gemeinsame gemütliche Mittagessen beginnen.
Sie entdeckten die Bratkartoffeln. Statt strahlender Gesichter urplötzlich beleidigt-finstere Mienen. Tochter Nr.1 machte den Anfang: "Ich mag keine Bratkartoffeln!" Ihre jüngere Schwester schloss sich an. "Ich auch nicht!" Meine noch jüngeren Zwillinge plapperten brav nach, was die Großen gesagt hatten. Die waren ja schon soo weise und mussten es ja wissen. Meine Vier waren ausnahmsweise ein- und derselben Meinung: "Nicht mit uns!" Die dampfenden Teller blieben unberührt, das Besteck
wurde ostentativ zur Seite geschoben.
Ich stand da mit der Pfanne in der Hand und kämpfte mit aufkommender Wut. Nein, so ginge das nicht mehr weiter. Ich wehrte mich. Langsam, ganz langsam kehrte ich meinem Nachwuchs den Rücken zu, wandte mich in Richtung der Spüle. Ich flehte meinen Schöpfer an: "Gib`mir bitte eine Idee, was ich tun kann, um dieses Theater endgültig zu beenden, bevor ich denen sonst noch eine klebe!" Der Herrgott hatte Erbarmen und ich in der nächsten Sekunde den richtigen Einfall. Mit einem denn doch nicht so ganz eleganten
Schwung riss ich die Pfanne hoch und knallte sie mit Vehemenz ins Becken.
Aus der Runde am Tisch war kein Laut zu vernehmen. Nichts ...Totenstille! So etwas kannten sie von mir nicht. Das hatte ihre Mama noch nie getan. Langsam wandte ich mich ihnen wieder zu: Fassungslose Gesichter, offen stehende Münder.
"Es reicht mir jetzt!", bemerkte ich mit gefährlicher Ruhe in der Stimme. "Nicht mehr mit mir!"
Noch am selben Tage erklärten meine Töchter die Bratkartoffeln zu ihrer absoluten Lieblingsspeise.
Eingereicht am 17. Oktober 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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