Damenrunde
© Katja
Neulich rief mich meine Freundin Viki - Single, Mitte zwanzig, Mutter eines süßen 2-Jährigen - an und fragt, ob ich nicht Lust hätte sie Freitagnachmittag zu besuchen. Sie würde leckere Brötchen vorbereiten und hätte zwei eiskalte Flaschen Sekt im Kühlschrank gelagert.
"Natürlich komme ich, wann soll ich da sein?", fragte ich.
"So gegen 17 Uhr?"
"Geht klar, ich freu mich".
Da ich wusste, dass so ein lustiger Nachmittag mit Viki meist darin endet, dass wir gegen 21 Uhr per Taxi in eine Disco fahren um dort mal wieder so richtig abzutanzen und teure Spirituosen zu trinken, bereitete ich mich natürlich vor und begann mit meinem Styling. Ein schlichtes Kleid, das die richtigen Kurven betont, ein perfektes Make-up, das einen ganzen Abend standhält, und eine Stunde lang Haare fönen, um danach auszusehen, als wäre ich gerade aus den Federn gekrochen - "Out-of-bed-Look" und
ganz dringend von der Vogue empfohlen. 1 ½ Stunden später, gehüllt in eine "Trésor-von-Lancome-Wolke" startete ich meinen Flitzer und glühte zu Viki.
Schwungvoll und voller Vorfreude betrat ich das Haus, ein Stockwerk unter Vikis Wohnung machte ich jedoch Halt. Ich vernahm ein bedenklich quirliges Kindergequietsche. Als ich "Tante Tati tommt" hörte, überfiel mich eine kurze Panikattacke. Was sollte ich tun nun, fortrennen oder schnell die 5 Jägermeister die ich als Mitbringsel in der Tankstelle gekauft hatte kippen?
Ehrlich gesagt war ich auf einen "Weiberabend" mit viel Alkohol und pseudointelligenten Gesprächen vorbereitet. Ich wollte spüren, wie der kalte, billige Sekt meine Kehle runter rinnt, nicht hören wie ein 2-Jähriger warmes Pipie in einen Plastiktopf macht, ich wollte laut über sarkastische Männerwitze lachen und nicht übertönt werden von einem schreienden Kleinkind, ich wollte einfach die "Sau rauslassen" und nicht zusehen, wie ein kleiner Schmutzfink mein teures Kleid versaut. Es half alles
nichts, ich musste mit dem Unvorhergesehnen rechnen und mich tapfer halten. Mutig ging ich langsam Stufe für Stufe in Richtung Vikis Wohnung, vorsichtig klopfte ich an. Wie befürchtet öffnete Klein-Jonathan auch schon die Pforte - kreischend, schreiend, voll überdreht. Mein einstudiertes "Ich-liebe-Kinder-von-Herzen-Lächeln" hatte anscheinend eine beruhigende Wirkung auf Jonathan, denn er fasste sich und führte mich an der Hand zu Viki. Diese stand gekleidet in eine hellblaue Kochschürze am Herd und
rührte gerade in einem Topf mit weißem, zähen Brei. "Hm, lecker sieht das aus, komm lass dich drücken", begrüßte ich sie und legte meinen Mantel auf der blauen Eckbank ab. Ein Fehler, wie sich wenig später herausstellte, denn Jonathan griff ihn sich und schleifte ihn etwa fünf Mal von der Küche ins Wohnzimmer, vom Wohnzimmer ins Bad und vom Bad wieder in die Küche. "Jonathan, was hast du jetzt wieder gemacht? Schau, wie der Mantel jetzt aussieht, das darf man nicht!", schimpfte Viki ihren
Sohn. "Ach, lass doch Viki, ist doch nichts passiert, ist ja nur ein Fetzen Stoff", warf ich ein, sah dabei fassungslos dieses 300 Euro teure Stoffstück an und überlegte, ob und wie ich es retten kann.
Nachdem Viki meinen Mantel sicher in der Garderobe verstaut hatte, machten wir es uns endlich im Wohnzimmer gemütlich, schenkten uns Sekt ein und begannen die köstlichen mit Schinken, Käse und Lachs belegten Brötchen zu verzehren. Gerade als wir mitten in unserem ersten wichtigen Gespräch waren, wobei es um ihren aktuellen Ex-Freund Harald ging, fuhr Klein-Jonathan mit einem Plastiktraktor um die Ecke, abwechselnd tauchte er links und rechts mit seinen kleinen Beinchen an und raste in direkter Linie auf mein
rechtes Schienbein zu. "Bumm", sagte er als er mit seinem Gefährt in mich hinein krachte und begann breit zu grinsen. "Bumm", dachte ich, "das wird ein schöner blauer Fleck du Kröte", und grinste zurück.
Viki packte Jonathan nach seinem kleinen Auffahrunfall und machte ihn fertig fürs Bett. Sie zog ihm einen hellblauen Kuschelpyjama mit einer aufgedruckten Tigerkatze an, gab ihm den Brei zu essen und ich schöpfte Hoffnung dass Jonathan sich von nun an kooperativ zeigen würde und bald ins Land der Träume verschwindet.
Wie befürchtet hatte dieses Kind überhaupt keine Lust in seinem Gitterbett liegen zu bleiben. Es half alles nichts, kaum hatte Viki ihn hingelegt rief er schon wieder nach ihr. Sie gab sich nach 15 Minuten geschlagen und beschloss ihn noch ein halbes Stündchen bei uns im Wohnzimmer spielen zu lassen. Was bedeutete, dass ein zweijähriger auf mir herum stieg, in meinen Haaren wühlte, an meiner Kette herumzerrte und mein schönes Kleid mit Mayonnaise vom Schinkenbrötchen dass er mir vorher aus der Hand riss, bekleckerte.
Ein Gutes hatte die Sache allerdings, Klein-Jonathan war von der ganzen Aktion so müde geworden, dass er sich freiwillig ins Bettchen bringen ließ und nicht mehr aufweinte. Erleichterung stellte sich bei mir ein, und wir konnten endlich in Ruhe mit Frauengequatsche weitermachen.
Nach einer Stunde etwa klopfte es leise an der Tür. Viki ging um zu öffnen und kam mit Harald - dem aktuellen Ex - ins Wohnzimmer spaziert. "Hallo Harald", begrüßte ich ihn verwundert und sah fragend Viki an. Anscheinend war sie genauso irritiert über Haralds Besuch wie ich. Freundlich machte ich Platz damit sich dieser zwei Meter große Überraschungsbesuch setzten konnte.
Ich wollte ihn fragen, was er denn hier wolle denn eigentlich hatte er Viki ja vor 2 Monaten wegen der kleinen blonden Kellnerin aus seinem Stammlokal verlassen. Doch hatte ich nicht das Recht dazu Fragen zu stellen und irgendwie wusste ich dass ich die Antwort gar nicht hören wollte.
Ein seltsames Schweigen stellte sich ein. Harald sah Viki an, Viki sah mich an und ich blickte verlegen auf meinen Mayonnaisefleck. "Ich hol noch eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und ein drittes Glas, wenn´s recht ist!" stand auf und ging ohne eine Reaktion abzuwarten in die Küche. Ich bemühte mich so langsam wie möglich den Korken aus der Flasche zu lösen und nahm ein Glas für Harald aus der Vitrine. Für mich war die Situation echt beschissen, ich wusste nicht recht wie ich mich verhalten sollte.
Sagen mir ist schlecht und ich fahre nach Hause, Viki einfach mit diesem Arsch allein zurücklassen?
Vielleicht wollte sie ja auch dass ich verdufte, wie ich Viki kenne verzeiht sie einem Mann mit blauen Augen schnell mal und ist leicht für einen zweiten Fehler zu haben.
Mein erster Lösungsansatz bestand darin, dass ich die Flasche Sekt ansetzte und einen kräftigen Schluck nahm. Als ich langsam absetzte und den Flaschenhals von meinen Lippen wegbewegte strömte plötzlich links und rechts Schaum hervor, in Mengen die ich gar nicht in dieser 0,7-l-Flasche vermutet hätte. So stand ich also in der Küche mitten in einer Schaumweinlache, und der Sekt rann mir vom Kinn herab, über mein Brustbein flutsch rein in den BH. Als ich aufblickte um einen Fetzen zu suchen stand plötzlich Harald
vor mir und reichte mir einen feuchten Lappen. Ich gab Harald sein volles Glas und begann mich und den Boden von den Sektresten zu befreien. Noch immer stand er vor mir und wippte nervös hin und her. "Soll ich dir ein paar Brötchen machen?" fragte ich ihn. "Nein, danke" hauchte er leise. Plötzlich huschte Viki an der Küche vorbei in Richtung Wohnungstür, sie sah mich kurz an und hielt eine Zigarette und ein Feuerzeug hoch, um mir zu signalisieren, dass sie vor die Türe gehe um eine zu rauchen.
Als ich wieder zu Harald blickte musste ich feststellen, dass ein durchtrainierter zwei Meter großer Muskelprotz vor mir stand und weinte. Eigentlich konnte ich Harald nicht mehr ausstehen, seit er Viki per SMS mitteilte dass er sich in diese Barschlampe verliebt hatte und die Beziehung hiermit zu Ende sei. Es war ihm egal dass Viki nächtelang durchweinte, dass sie sich schlecht fühlte weil sie keine sinnvolle Erklärung für das plötzliche Aus fand und es rührte Harald gar nicht, dass Jonathan sich bereits an
ihn gewöhnt hatte und Viki dauernd nach ihm fragte, was wieder ihre Wunden aufriss. Doch in dem Augenblick als er da heulend vor mir stand erschien er mir so jämmerlich, dass ich beinahe Mitleid mit ihm hatte. Okay, dass Mitleid kam erst schleichend nachdem ich mir einen herzhaften Lachanfall verkniffen hatte, aber es kam. Und so tat ich nichts anderes als mich mit ihm auf die Eckbank in der Küche zu setzen und ihn zu drücken. Nachdem er die erste Ich-bin-so-ein-armes-Schwein-Phase überwunden hatte und der rechte
Ärmel meines Kleides nun aussah wie ein vollgerotztes Tempo-Taschentuch fasste er sich endlich und begann mir zu erzählen dass er Viki über alles liebte, dass die Blonde aus der Bar nur ein "Ausrutscher" war und er ohne sie und Jonathan nicht leben wollte. "Und was sagt Viki zu deinem plötzlichen Meinungsumschwung?" fragte ich ihn ernst. "So richtig hab ich ihr das ja noch nicht gesagt, ich dachte dass du, als ihre beste Freundin vielleicht ….". Ich schenkte den restlichen Sekt der
noch in der Flasche war in mein Glas und kippte es in einem Zug runter, das konnte ja nur ein schlechter Witz sein. Wochenlang habe ich daran gearbeitet, dass Viki wieder unter Menschen geht, habe ihr Selbstbewusstsein aufgebaut, ihr erklärt dass sie diesen Trottel ein für allemal vergessen soll, nur um ihr jetzt genau diesen wieder einzureden? Ich machte ihm auf nette Weise aber unmissverständlich klar, dass er auf meine Hilfe verzichten müsse, ich Viki aber bestimmt nichts ausreden werde. Soll sie machen was
sie für richtig empfindet.
Ratschläge erteile ich in solchen Fällen prinzipiell nicht, Viki kennt meine Einstellung und sie weiß dass ich immer für sie da bin, egal was immer sie tut.
Nach fünfzehn Minuten Tränen trocknen kam endlich Viki zurück. Sie ging zum Kühlschrank holte eine neue Flasche Sekt heraus und sagte: "Komm, Katja trinken wir noch was". Irgendwie tat mir Harald in diesem Moment leid, weil sie ihn so was von nicht beachtet hatte. Bevor ich ging sagte ich noch leise zu ihm: "Ich warne dich Harald, solltest du Viki wirklich wieder zurückerobern, dann mach sie nie mehr unglücklich sonst bekommst du es mit mir zu tun. Aber bis es so weit ist braucht es noch ein wenig
Anstrengung", grinste ihn schadenfroh an und ging ins Wohnzimmer. Dort wartete meine Freundin natürlich schon um zu erfahren was das ganze soll und was ihr Ex denn hier wolle, nur um seine Rapid-Socken die er damals vergessen hatte sei er wohl nicht hergekommen. Leise und mit vielsagenden Blicken berichtete ich ihr kurz was vorging. Mir fiel sofort auf, dass Viki es freute und Harald sie nicht lange zu überreden brauchte um sie zurückzubekommen. Aufgeregt nippte sie an ihrem Glas, ich konnte beinahe hören
wie ihr Herz pochte.
"Super", dachte ich "soviel zu einem Damenabend. Erst das Kindergequengel und dann noch der Ex". Dass mit Disco und Longdrinks heut nix mehr wird war mir klar, aber nach Hause fahren wollte ich auch noch nicht. Da Viki sowieso wollte dass ich ihr Beistand beim bevorstehenden Gespräch leiste blieb ich natürlich und schenkte Sekt nach. Als Harald den Raum betrat und die beiden sich in die Augen blickten war eh schon alles klar. Sie beschlossen gemeinsam vor die Tür zu gehen um eine zu rauchen
und sich auszusprechen.
Zurück kamen sie nach einer Stunde und eng umschlungen. Ich hatte mich währenddessen mit Sekt und MTV vergnügt und war nun so betrunken, dass Autofahren für diesen Abend ausgeschlossen war. Also saßen wir zu Dritt noch eine ganze Weile im Wohnzimmer, tranken und redeten über belangloses Zeug bis ich auf dem Sofa eingeschlafen war. Als ich wieder aufwachte tat mir mein Rücken weh, der Kopf schmerzte, mein Mund war trocken und es war bereits zehn Uhr. Ich ging in die Küche um mir eine Flasche Mineral zum Löschen
meines schrecklichen Durstes zu holen. Was sah ich dort, Viki, Harald und Klein-Jonathan am üppig gedeckten Frühstückstisch. Es war fast wie in einem schlechten Werbespot für ein Maggie-Fertiggericht.
Es war ein schöner Frauenabend - für Viki!
Eingereicht am 12. Oktober 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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