Hoch lebe der Glimmstängel
© Manfred Schröder
Ich rauche zu viel. Ja, ich weiß. Trotzdem jetzt auf jeder Schachtel die schreckliche Warnung zu lesen ist, dass das Rauchen das Leben verkürzt. Ich habe auch Furcht erregende Fotos gesehen. Fotos von zerstörtem Zahnfleisch und von nagendem Krebs am Kehlkopf. Doch ich habe die fürchterlichen Bilder schnell zur Seite gelegt und mir zur Beruhigung eine Zigarette angezündet. So manches habe ich versucht, von diesem so schönen Laster loszukommen. Mir zum Beispiel Kinderzigaretten gekauft, in denen statt des wohlriechenden
Tabaks ungesunde Schokolade steckt. Doch immer wieder greife ich zu meinem geliebten Glimmstängel, der so vollkommen zwischen den Fingern und den Lippen liegt.
Doch das Atmen wurde schwieriger und die Brust begann zu schmerzen. Und der gelegentliche Whiskey linderte auch nicht das Leiden. So beschloss ich, Dr. Fredericson, meinen Hausarzt aufzusuchen, der bekannt dafür ist, mit seinen Patienten nicht gerade taktvoll umzugehen. Er untersuchte mich gründlich. Machte Röntgenaufnahmen; nahm Blut ab und bat mich, nächste Woche wiederzukommen, um mir dann das Ergebnis der Untersuchung mitzuteilen.
Als ich nach einigen Tagen zurückkam, blickte er mich mit ernsten Augen an.
-Mein lieber Herr Schröder.-
Bei solchen Eröffnungen neigt er dazu, mit den Fingern seiner linken Hand auf die Tischplatte zu klopfen.
-Mein lieber Herr Schröder. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie höchstens noch drei Monate zu leben haben. Lungenkrebs. Vom zu vielen Rauchen!-
Ich zuckte zusammen. Doch schnell hatte ich mich wieder gefangen.
-Und was ist, wenn ich mit dem Rauchen sofort aufhöre. Wie lange kann ich dann noch leben?-
Dr. Fredericson setzte sein Mephistolächeln auf.
-Drei Monate und ein Tag!-
Drei Monate und zwei Tage sind vergangen und ich lebe immer noch. Ich erhebe mein Glas, greife zur beruhigenden Zigarette und stoß darauf an, dass sich auch Ärzte irren können.
Eingereicht am 10. Oktober 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.