Oh nein!!
© Gaby Schumacher
Bei ihr mussten wir wirklich auf alles gefasst sein ...!
Wir hatten eine längere Waldwanderung geplant. Töchterchen Sandra, damals vier Jahre alt, war mit von der Partie.
Es war Hochsommer und das Wetter einfach ideal. Munter stapften wir los. Auch Sandra war bester Laune. Und da das der Fall war, quasselte sie ununterbrochen. Eine Stunde lang, zwei Stunden lang. Uns bot sich kaum die Möglichkeit, uns vielleicht auch mal ausführlicher zu äußern. So fühlten wir uns dann nach der Hälfte der Wegstrecke relativ groggy. Wir Eltern waren fix und alle mit den Nerven. Es gab keine Antworten mehr. Sandra hatte uns durch- und jene weggelöchert.
Deshalb freuten wir uns denn auch ungemein, als unser Weg nach einer Biegung auf eine romantische Lichtung führte. Die Lichtung gefiel uns ja schon recht gut. Aber, was uns dann noch viel mehr gefiel, war die kleine Gaststätte, die wir dort entdeckten. Wegen des strahlenden Wetters waren im Vorgarten Tische und Bänke aufgestellt worden und luden zum entspannenden Verweilen ein. Anscheinend waren wir nicht die einzigen Ruhesuchenden. Fast sämtliche Tische waren besetzt.
Aufatmend betraten wir den Garten. Hier wäre Sandra ein wenig abgelenkt, hier könnten wir armen geplagten Eltern uns erst einmal etwas erholen. So dachten wir ahnungslose Wesen. Das Denken hätten wir da besser den Pferden überlassen. Aber das ahnten wir ja noch nicht.
An dem braunen Gartenzaun hatte jemand seinen Rollstuhl abgestellt. Ihn durch die schmalen Gänge zwischen den Tischreihen durchzulenken, wäre wahrscheinlich schwierig geworden. All die Umsitzenden vermochten Sandra nur für eine Sekunde zu faszinieren ... für uns zum Pech, wie sich dann heraus stellte.
Töchterchen blieb so leicht nichts verborgen. Sie besaß eine sehr gute Beobachtungsgabe. Nach einem flüchtigen Blick auf die vielen fremden Leute entdeckte sie den Rollstuhl. Boah, das war doch etwas! Da musste sie doch unbedingt nachforschen, zu wem der wohl gehörte. Leider suchte sie nicht lange. Leider hatte sie auch nach Kinderart keinerlei Hemmungen, ihren Triumph nach ein paar Minuten der Fahndung mit einem regelrechten Dinosauriergebrüll zum Besten zu geben. Damit dies auch jeder merkte. Es war einfach
nicht zu überhören. Sie hörten es alle.
"Mamaa, Papaa ... guckt ´mal, da sitzt ja das Gipsbein!!"
Zu allem Überfluss beließ sie es nicht bei diesem Urwaldschrei, sondern hob ihr zartes Kinderärmchen und zeigte strahlend mit ihrem Patschzeigefingerchen auf einen Mann jüngeren Alters, der ganz in unserer Nähe saß.
Er reagierte sehr nett. Er lachte übers ganze Gesicht. Wir dagegen nicht. Ihr Papa und ich kriegten hochrote Köpfe (schließlich waren wir noch gaanz junge Eltern!), mir brach sogar der Schweiß aus ... so schämten wir uns.
Wir verzichteten aufs Ausruhen, den Kaffee und vielleicht sogar auch den Kuchen, schnappten uns unseren pfiffigen Nachwuchs und verließen fluchtartig diesen Ort der Blamage.
Das nächste Mal marschierten wir vorsichtshalber ohne Töchterchen!
Eingereicht am 07. Oktober 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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