Kurze Liebe
© Peter Schultheis
Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, als ich dort mit meinem jungen Hund am Bahnsteig stand und darauf wartete, dass ein Zug mich von hier wegbrachte.
Ein Teil von mir wollte nicht weg, aber der andere Teil war schon weg.
Ich setze mich auf eine Bank und lugte durch die große Glasscheibe in die Wartehalle des Bahnhofes hinein.
Überall stille und leere Gesichter, die mir das Gefühl vermittelten, nicht der einzige zu sein, der diesem Ort den Rücken zukehren möchte. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, nur wohin?
Ich zog einen Kaugummi aus der Tasche und dachte darüber nach, warum ich diese mir ans Herz gewachsene Stadt verlassen musste. Dabei zeigte sich der Frühling von seiner besten Seite.
Es fiel mir wieder ein, und ich erstickte fast an meinen Kaugummi. Und mein neuer Freund gähnte, und legte sich mit seiner Schnauze auf meine Füße.
Vor 2 Wochen spazierte ich in der warmen Märzsonne am Ufer eines Sees entlang. Ich musste meine Augen zusammenkneifen, so dass mir die Sonne keine Löcher in mein Hirn brannte. Es war zu hell für meine Augen und ich setzte mich unter einer Tanne, auf eine Bank, in den rettenden Schatten.
Nach endlosen 5 Minuten konnte ich meine Augen wieder vollständig öffnen und mich umsehen. Hier Hundegebell, dort Kindergeschrei, die warme Sonne verzückte alles. Nur die Knospen der Bäume trauten der Märzsonne nicht. Sie blieben geschlossen.
Geschlossen wie mein Herz.
Die warme Sonne schaffte es nicht, das hüpfende Stück Fleisch in meiner Brust zu erwärmen.
Es war noch immer von meinem letzen Abenteuer mit einer Frau vereist. Sie war im Winter in eine größere Stadt gezogen, aber die Beziehung überlebte diesen Schritt nicht.
Ich blieb zurück und trauerte unserer Beziehung nach.
Sie hatte inzwischen einen neuen, erzählte mir jüngst eine Freundin von ihr. Ich spürte wie mein Eispanzer in meiner Brust sich erheblich vergrößerte. Ich hatte damit noch nicht abgeschlossen.
In dieser Zeit dachte ich viel über den Sinn des Lebens nach.
Ich blieb gerne alleine für mich, ich wollte mit niemanden meine Gedanken teilen- das konnte keiner verstehen, dachte ich.
Und doch gab es einen Menschen der das verstehen konnte, ich traf diesen Menschen auf einer meiner üblichen gemütlichen Spaziergänge am See.
Mit einem Buch in der Hand setzte ich mich auf eine Bank, von der ich fast den ganzen See überschauen konnte. Das war einer meiner Lieblingsplätze, leider ist der meistens von Tauben fütterten Omas besetzt.
Auf einer Bank neben mir nahm eine gut aussehende junge Frau Platz.
Sie hatte einen jungen Hund auf ihrem Schoß, aber ich erkannte die Rasse nicht.
Der junge Hund sprang hinunter und schnüffelte schwanzwedelnd an mir.
Das war sein gutes Recht und ich kam mit der süßen Hundebesitzerin ins Gespräch.
Es war eine sehr schöne und offene Unterhaltung. Sie erzählte mir, wie sie auf den Hund kam und ich erzählte ihr, dass ich mir schon immer eine Katze gewünscht hatte. Sie lachte, und es war ein schönes, warmes Lachen das ich sah.
Es taute langsam in mir.
Wir sprachen und lachten weiter bis es langsam dunkel wurde. Unsere Unterhaltung wurde immer offener, als würden wir uns schon jahrelang kennen.
Es war einfach nur schön, mit ihr und dem verspielten Hund an einem See zu sitzen und uns zu unterhalten. Das hatte ich schon lange nicht mehr gehabt.
Eigentlich hatte ich das noch nie gehabt.
Einfach unglaublich !
Als der Aufbruch nahte, tauschten wir unsere Nummern und Namen (Hanna) aus und beschlossen, uns bald wieder zu treffen.
Ich hatte keine Ahnung, ob sie in einer Beziehung steckte oder 10 Kinder hatte. Das interessierte mich nicht im Geringsten. Ich hatte das wunderbare Gefühl, einen neuen Freund gefunden zu haben.
Das war Balsam für meine Seele.
Es vergingen einige Tage, bis wir uns wieder sehen konnten. Jeder von uns hatte etwas anderes zu tun, so dass wir es nicht auf die Reihe brachten uns zu treffen. Wir telefonierten und blödelten über den Hund, aber es steckte nichts Ernstes dahinter.
Ich war viel zu schüchtern um sie nach einen Date zu fragen, ich steckte schon zu tief drin, ich wollte mehr aber es kam mir nicht über meine Lippen.
Leider, das war schon mit 18 so und wird mit 80 nicht besser klappen. Das ist eben meine Art, die Dinge nicht selber angehen zu lassen, sondern abzuwarten bis die Gegenseite etwas anbietet. Aber darauf kann man manchmal ewig warten.
Ich wollte nicht voreilig sein.
Ich wollte nicht unsere junge Saat zerstören.
Ich wollte unsere zarte Freundschaft langsam und behutsam gießen.
Sie war mir jetzt schon zu wertvoll, als das ich das mit einer Handlung zerstöre, die ich später bereuen würde.
Eine Woche später war es so weit. Wir verabredeten uns abends an unserer Kennenlerntanne. Ohne Hund.
Es war ein milder Abend und die Sonne versuchte sich zu verdrücken, um dem Mond und den Sternen Platz zu machen.
Wir begrüßten uns mit einem Kuss auf die Backe, so dass ich das Gefühl hatte, sie empfindet etwas für mich. Ich hatte sie vorsichtig leicht an mich gedrückt, um sie zu spüren, und um zu merken dass dies kein Traum war.
Sie war ein Engel. Sie war ein Traum.
Ich brachte eine Flasche Wein mit. Die Gläser und den Korkenzieher hatte ich in meiner Aufregung vergessen. Na ja, vergessen ist wohl das falsche Wort, sie sind mir kaputt gegangen, als ich die Gläser zuerst einpackte und dann die Flasche vorsichtig obenauf legte. Ich war einfach zu aufgeregt. Fast zappelig.
Als ich ihr das erzählte, lachte sie mich kurz und schmerzlos aus und ich musste mit lachen.
Den Korken stülpte ich mit meinem Zeigefinger ein und dabei spritze mir ein Schwall Wein direkt an meine Wange.
Ich wollte es erst mit meinem weißen Ärmel wegputzen, aber sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mir lachend den Wein von der roten Backe weg. Damit ich mir nicht den Ärmel schmutzig mache, sagte sie und lächelte mich mit einer unglaublichen Güte an. Ich war völlig überrumpelt.
Das Eis war in meinem Herz geschmolzen, und meine Brust wurde von einem inneren Feuer erhitzt. Ich fühlte mich so frei wie schon lange nicht mehr.
Hanna hatte mich aus diesem eisigen Käfig, den ich mir selbst geschustert hatte, befreit.
Mit einem einzigen Kuss auf eine von meinen Wangen. Es war wie in einem Traum. Ich war verliebt. Ich fühlte mich im siebten Himmel.
Meine dunklen Gedanken hatte sie mit einem Flügelschlag ihrer weißen Flügel weggeblasen.
Ich hatte wieder Völker von bunten Schmetterlingen in meinem Bauch.
Wir tranken unseren Wein aus der Flasche und unsere Hände berührten sich und hielten sich gegenseitig fest. Daraufhin hielt ich es nicht mehr aus und gab ihr, nach kurzem Zögern, einen langen, langen Kuss den sie gefühlvoll erwiderte.
Ich fühlte mich in ihren Bann gezogen, unter dieser verzauberten Tanne.
Wir waren ganz still und sahen uns den im Mondlicht glitzernden See an.
Alles sah so versilbert aus in dieser Nacht.
Es war so schön. dass ich Angst hatte, es könnte gleich die Sonne aufgehen, und diesen so wunderbaren Augenblick zerstören.
Aber die Sonne ließ uns noch ein paar Stunden Zeit.
Als es nachts langsam kühl wurde, schlenderten wir still und Händchen haltend am Ufer des leicht benebelten und stillen Sees entlang. Die Schwäne schliefen etwas weiter draußen auf dem Wasser und selbst die rastlosen Möwen ruhten sich in dieser warmen Nacht aus.
Es war etwa 4 Uhr morgens, als ich sie nach Hause brachte. Hanna bat mich hinein und ich nahm die Einladung gerne an. Nichts lieber als das, dachte ich zu mir.
Sie lebte alleine in dieser warmen gemütlichen Wohnung.
Der Hund schlief mit halboffenen Augen, und was er wohl träumte blieb sein Geheimnis. Wahrscheinlich von weißen Pudeldamen.
Da es noch zu früh für Kaffee war, öffnete sie noch eine Flasche Roten.
Ich zog meine Schuhe aus, legte meine Füße auf das kuschelige Sofa und verteilte den Wein. Hanna warf inzwischen die Musik an und setzte sich ganz nah zu mir.
,,Stoßen wir an den Hund an", sagte Hanna, "auf das er groß und stark wird, und auf uns, dass wir uns kennen gelernt haben."
,,Dann stoßen wir doch gleich auf uns an, schade dass wir uns nicht schon viel früher getroffen haben."
,,Aber vielleicht wäre das gar nicht so schön geworden wie jetzt", flüsterte sie mir ins Ohr. Wir schauten uns innig an und sie gab mir einen langen Kuss.
Wir redeten und küssten uns bis die ersten Sonnenstrahlen durch die weißen Vorhänge schien.
Wir waren noch gar nicht müde, als wir uns voneinander verabschiedeten. Wir konnten gar nicht die Finger von uns lassen.
Hanna musste noch den jungen Hund impfen lassen und ich, ich wollte über diesen Traum in Ruhe nachdenken. Ich sah alles durch die rosa Blumenbrille.
Es gibt sie doch, die Liebe auf den ersten Blick! Und diesmal würde ich sie nicht gehen lassen. In keine andere Stadt, und in kein anderes Herz.
Am Abend rief ich sie an und ihre Mutter war an ihrem Telefon. Sie erzählte mir, dass Hanna einen schweren Unfall hatte, als sie den Hund impfen wollte.
Der Hund sprang aus dem Autofenster und lief über die Straße, sie hinterher und wurde von einem Motorrad erfasst. Sie verstarb noch an der Unfallstelle. Und der Hund war auch verschwunden.
Ich war sprachlos und ließ mein Handy fallen.
Das kann doch nicht wahr sein, schrie es laut in mein Hirn hinein. Ich selbst blieb still. Ich merkte nur das mein ;;Herz sich wieder abkühlte...
2 Tage später schaute ich bei ihrer Wohnung vorbei. Es war kein Licht zu sehen und ich wollte mich schon davon machen, als ich an der niedrigen Hecke ein leises Jaulen hörte.
Ich ging näher hin und eine süße Hundeschnauze schob sich durch das Gebüsch. Er erkannte mich wieder und leckte mir die Hand.
Ich streichelte ihn und wollte tschüs sagen, als er plötzlich auf meiner Seite stand und mich treuherzig anschaute.
Blicke sagen mehr als Worte und ich ging mit meinem neuen Freund in Richtung Bahnhof ...
Eingereicht am 04. Oktober 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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