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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Der Kindergarten

© Teodor Horvat


In unserer Straße gleich neben unseren Haus befand sich ein Kindergarten. Der Kindergarten war für uns schon immer eine ganz besondere Einrichtung, nicht nur wegen seiner schöner Umgebung, sondern auch wegen zahlreicher Kinder, die dorthin kamen und unseres Leben mit ihren entzückenden Kinderstimmen und Erscheinungen verschönerten.
Damals war das noch ein Eigentumshaus der Familie Schulz, die das Haus an die Stadt verkaufte. Nachdem die Stadt das Haus repariert und umgebaut hatte, ist aus dem Familienhaus ein Kindergarten geworden. Die Gebäude war bestimmt zur Pflege, Beschäftigung und Erziehung von kleinen Kindern, die noch nicht zur Schule gehen. Mit Halb- oder Ganztagsbetreuung durch Erzieher bzw. Erzieherin, die von Kindern einfach Tante genannt wurde. Fast jeden Tag sah ich durch mein Fenster, wie die jungen Mütter, Väter oder manchmal auch Großeltern ihre noch schläfrigen kleinen Kinder am frühen Morgen in den Kindergarten brachten. Nach dem Feierabend am späten Nachmittag holten die Eltern ihre Kindern wieder ab und so war es jeden Tag. Die Kinder kamen sehr gern in den Kindergarten, weil für die Kinder vor allem die schöne Umgebung des Kindergartens am wichtigsten war. Das ganze Gebäude, in dem sich der Kindergarten befand, wurde damals mit grünem Erdgürtel und mehreren hochgewachsenen Tannenbäumen umsäumt. Hinter dem Gebäude im Hof war ein Spielplatz mit vielen hölzernen Spielzeugen und natürlich wie üblich auch ein Becken mit Sand gefüllt, wo sich die Kinder besonders gerne aufhielten und Sandkuchen sowie Sandmännchen machten. Gleich hinter dem Haus, um die Ecke herum, befand sich noch ein kleiner Park mit vielen Bäumen und anderem Holzgewächs sowie noch ein Spielplatz. Alles in allem das war ein Paradies für die Kinder.
Mein Enkelkind namens Josef war damals fünf Jahre alt und besuchte den Kindergarten, der sich in unserer Straße neben unserem Haus befand.
Wie ich gehört hatte, bekamen die Kinder in ihrem Kindergarten oder ihrer kleinen Schule, wie sie es nannten, den Auftrag, im nah gelegenem Park Kastanien zu suchen.
Nach einem Sonntagspaziergang im Park mit uns und seinen Eltern verschwand in Josefs Hosentasche eine besonders dicke und schöne Kastanie aus dem Park.
Erst gegen Mittag als wir wieder nach Hause kamen, holte unser kleiner Josef seine Kastanie aus der Hosentasche, wo sich auch andere kleine Seligkeiten befanden, heraus und legte sie sorgsam auf nasse Watte in einen leeren Joghurtbecher und dann steckte er alles zusammen in seine Kindergartentasche.
Nach einigen Wochen, als ich schon diese Aktion längst vergessen hatte, kam unser Josef mit einem kleinen Kastanienbaum im Joghurtbecher aus dem Kindergarten nach Hause.
"Den pflanze ich in unseren Garten", strahlte er von Freude.
Wir waren alle natürlich damit einverstanden, weil er und seine Wünsche bei uns auf erster Stelle standen. Es ist vielleicht ein wenig übertrieben, wenn mann sagt, dass die Großeltern ein wenig mehr ihre Enkelkinder lieben als ihre eigene Kinder, aber bei uns war es wirklich so.
Zuerst suchten wir gemeinsam einen geeigneten Platz in unserem Garten und als wir so einen idealen Platz für kleinen Spross gefunden hatten, buddelte unser Josef mit seinen kleinen Händen ein Loch in die Erde und grub das in der nassen Watte gekeimte Kastanienbäumchen sorgsam ein.
Jeden Tag lief er mit seiner Gießkanne in den Garten und "überschüttete" seinen Baum. Wie das bei meisten Kindern so ist, war die kleine Kastanie bald vergessen. Ich hatte ohnehin nicht daran geglaubt, dass es dem kleinen Kastanienbaum in unserem Garten gefiel. Unbeachtet wuchs der Spross zwischen Blumenstauden heran. Erst als ich nach einiger Zeit bemerkt hatte, dass der kleine Kastanienbaum schon ziemlich groß gewachsen war, wunderte ich mich darüber und war angenehm überrascht.
Aus dem kleinen Josef ist inzwischen ein erwachsener junger Mann geworden und aus der dicken Kastanie ein sechs Meter hoher Kastanienbaum. Josef studiert jetzt in einer anderen Stadt und will Förster werden. Nur noch gelegentlich kommt er uns besuchen, aber inzwischen wird die Josef-Kastanie weiter wachsen und irgendwann ein Schmuckstück in unserem Garten und in unsere Straße neben Kindergarten sein. Diese Rosskastanie, oder ganz genau und wissenschaftlich zu sagen: Castanea ceska, wie uns später Josef gelehrt hatte, ist nämlich für uns mehr als "nur ein Baum".



Eingereicht am 22. September 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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