Das blaue Damenfahrrad
© Teodor Horvat
Als seine Schwester ein neues blaues Damenfahrrad bekam, war er sehr glücklich. Jetzt wusste er ganz genau, dass ihr altes Kinderfahrrad nur ihm gehörte.
Seine Schule lag am anderen Teil der Stadt und er musste jeden Tag mit dem Fahrrad in die Schule fahren. Aber seiner Meinung nach war er auch schon ziemlich groß und es gehört sich einfach nicht, dass er noch immer mit einem Kinderfahrrad zur Schule fahren muss.
Darum nahm er das neue Fahrrad von seiner Schwester und fuhr mit dem in die Schule. Er könnte zwar einen Umweg durch den Park nehmen um schneller und sicherer in die Schule zu kommen, aber heute wollte er unbedingt durch die ganze Stadt fahren, damit alle sehen können, dass er bzw. seine Schwester ein neues, blaues Damenfahrrad bekam.
So kam er bis zu einer Kreuzung und dann fuhr er weiter, weil niemanden zu sehen war. Aber hinter ihm fuhr ziemlich schnell ein Bus und konnte nicht mehr halten und auch nicht mehr vorbeifahren, weil aus der Gegenrichtung ein Auto kam. Der Busfahrer versuchte sein Bestes und wollte neben Straße in den Kanal abbiegen, aber dabei erwischte ihn und er flog zusammen mit seinem schönen, blauen Damenfahrrad in die Luft, dann fiel er herunter und schlug mit dem Kopf gegen den Asphalt.
Der Krankenwagen kam sehr schnell und fuhr ihn ins Krankenhaus.
Als er mit dem Krankenwagen in Krankenhaus gebracht wurde, kam aus seinem Mund und der Nase eine Mischung von Blut und anderen Flüssigkeiten. Dass war ein Zeichen für sehr schwere Kopfverletzungen mit innere Blutungen im Kopf. Dort wurde er zuerst gründlich untersucht und geröntgt.
Die Aufnahmen zeigten nichts Gutes. Dann kam die endgültige Diagnose: Gehirnerschütterung und Gehirnprellung mit einem Bluterguss zwischen Schädeldach und Gehirn. Außerdem war die dritte Gehirnkammer etwas vergrößert, was auch sehr schlechte Folgen haben könnte. Dienst habende Ärzte kamen in sein Krankenzimmer und gingen wieder heraus, dabei schüttelten mit dem Kopf und sprachen mit Schwestern. Niemand hatte erwartet, dass er den Tag überleben würde.
Seine Eltern kamen auch gleich zu ihm ins Krankenhaus, aber bevor sie zu ihm gingen, setzten sie sich für ein paar Minuten in dieHauskapelle um zu beten.
Sie konnten ihn nur durch eine Glasscheibe beobachten. Dort lag er im Sterben, das war jedem ganz klar. Man konnte das ganz deutlich sehen. Er war weit, weit weg von uns. Lag auf dem Krankenbett ganz still und teilnahmslos. Sie konnten nur sein ganz blasses Gesicht mit geschlossenen Augen sehen, alles andere war zugedeckt und unter einem weißen Betttuch versteckt. Es tat ihnen so weh, mit ansehen zu müssen, wie schwach er war und wie er mit dem Leben kämpfte. Seine Eltern waren hilflos und hatten Angst, dass
sich etwas Schreckliches geschehen könnte. Es war ganz still im Raum. Die Eltern kämpften mit den Tränen. Seine Schwester weinte vor der Tür und meinte, dass es vielleicht besser sei, wenn sie ihren Bruder nicht mehr sieht.
Die nächsten Tage gehörten zu den schlimmsten in ihrem Leben.
Die Eltern hatten sich soviel wie möglich im Krankenhaus aufgehalten.
Der Tag wollte kein Ende nehmen. Ein oder zweimal machte er die Augen ein wenig auf, schloss sie aber gleich wieder. Nächsten Tag waren seine Augen weit offen, doch irgendwie verschleiert. Wovon? Von Angst oder Schmerzen, niemand wusste es genau. Immerhin wirkte er ruhiger, aber das war er ganz bestimmt nicht.
Seine Eltern konnten nichts anderes tun als zu warten. Dabei waren oft in Hauskapelle um zu beten. Sie fragten sich, was der Herrgott da für ein Spiel mit ihnen spielt, warum er sie quälte und ihr Kind so leiden ließ. Seine Mutter traf einmal in dieser Hauskapelle eine Nonne. Sie war besonders jung und schön.
"Sie haben bestimmt Große sorgen um Ihren Sohn", sagte sie. "Die kommenden Tage und Monate sind für uns alle völlig unbekannt. Manche Tage bringen uns Glück und Freude, andere vielleicht Trauer und Leid. Die beste Art, diese neuen Wege zu gehen ist, sie mit dem Herrn Gott zu gehen. Der Grund ist einfach: Er kennt den Weg"n sagte sie noch und verschwand plötzlich.
Für seine Mutter bedeutete, dass eine große Erleichterung, sie wusste jetzt ganz genau, ihr Sohn darf nicht sterben.
Sie traf auf dem Gang einen Dienst habenden Arzt und sagte: "Würden Sie mir bitte sagen, wie es meinem Sohn geht?"
"Es tut mir Leid. Im Augenblick sieht es nicht gut aus", sagte er. "Sein Zustand hat sich in der letzten Nacht schon wieder verschlechtert."
"Wieso denn?", fragte seine Mutter mit Augen voller Tränen. "Gestern war doch noch alles in Ordnung."
"In so einem Fall kann sich leider alles sehr rasch ändern", sagte er und ging weiter.
Aber schon am nächsten Tag stellte sich heraus, dass er eine ruhige Nacht gehabt hatte. Am Tag darauf wollte der Dienst habende Arzt mit seinen Eltern sprechen. "Ich muss Ihnen sagen, dass sich sein Zustand wesentlich verbessert hat, wissen Sie, was das bedeutet?"
"Wir wussten es. Er hat es überstanden. Gott sei Dank", sagte seine Mutter.
Nach gewisser Zeit wurde er aus dem Krankenhaus entlassen.
Als er nach Hause kam, begann schon die Weihnachtszeit.
"Seht ihr, er ist nicht gestorben, ich habe es gewusst", sagte seine Schwester.
Das war für ihn und seinen Eltern besonders schöne und unvergessliche Weihnachten. Mit einem ganz großen Tannenbaum bis an die Decke. Auf dem Baum befanden sich viele Lichtkerzen und ganz oben auf der Spitze ein schöner Stern. Unter dam Baum waren viele Geschenke und ein Bild. Auf dem Bild war er mit dem schönen, blauen Damenfahrrad.
PS. Diese kurze Geschichte entspricht im Ganzen der Wahrheit und der Junge mit dem Fahrrad bin ich.
Eingereicht am 02. September 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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