Voll drauf!
© Magnus Lebemann
Scheißtag! Beim Bäcker haben sie mich um ein Brötchen beschissen. Und auf dem Rückweg muss ich feststellen, dass ich den Kaffee vergessen habe. Also nichts mit wach in die Firma ...
Der Pförtner grüßt, nur die Schranke versagt ihren Dienst. Also wieder rückwärts auf die Hauptstraße, Parkplatz suchen. Klar, alles voll, also heute Abend wieder über das Ticket ärgern und so tun, als hätte es der Wind weg geweht. Im Büro wartet mein Chef mit verschränkten Armen, erklärt, irgendjemand hätte gestern wohl einen Virus in das Firmennetzwerk geladen und ob das mit meinen privaten Aktivitäten im Internet zu tun hätte, weil die dumme Gans von der Rechnungskontrolle wohl kaum in der Lage wäre, den Internet-Browser
überhaupt zu öffnen. Verneinend und schulterzuckend drückt man sich vorbei am korpulenten Abteilungsoberhaupt und sucht Schutz auf seiner Planstelle. Der Kaffeeautomat streikt oder jemand hat vergessen, das braune Gold nachzubestellen. 40 Cent weg, dann muss ich eben den völlig überteuerten Imbiss subventionieren. Bei der Gelegenheit wäre ein schneller Korn eigentlich nicht verkehrt. Der erste positive Aspekt des Tages wärmt mich auf seinem Weg gen Magen und ich frage mich, ob das Pfefferminz-Bonbon danach eigentlich
sein muss. Ist aber besser, die Kollegen tuscheln schon. Wenn die wüssten ...
Auf meinem Tisch liegen Akten, die ich schon zigmal an andere Abteilungen abzuwälzen versucht hatte, nun aber mit dem dezenten Hinweis "EILT! Stufe 4, Inkasso eingeschaltet" versehen ihre dringende Bearbeitung anmahnen. Es scheint ernst zu sein. Mal reinschauen, was haben die Trottel in der Buchhaltung da wieder verzapft? Oh, das sieht in der Tat ungut aus. Unsere Firma wird bei 7 Lieferanten auf Bonität 6 geführt, was übersetzt bedeutet, dass die Produktion in ein bis zwei Wochen stillsteht, weil die
Teile fehlen. Die Telefonate mit den Einkäufern bestätigen diese Einschätzung und ich resigniere angesichts dieses massiven Drucks "von oben". Wie gut, dass es Gleitzeit gibt. Arbeitnehmer, die enormen Belastungen ausgesetzt sind, können sich so etwas früher vom Arbeitsplatz entfernen und zu Hause oder sonst wo Energie tanken.
Auf dem Firmenparkplatz wird mir klar, dass mein mit frischem Strafzettel dekoriertes Auto 2 Kilometer entfernt vor einer miesen Spelunke steht. Die Lindenbäume haben das Silber meines Kadetts in ein kotziges Grau verwandelt und das weiße Leinensakko quittiert das Touchieren des Boliden mit ebenso kotzigen Schmutzflecken. Der Tag muss sich dringend zum Guten wenden, sonst drehe ich durch.
Bei meiner Stammnutte ist die Telefonleitung besetzt, ich hoffe, sie hat meine Nummer gesehen und zieht sich schon mal die Windeln an. Eine Mandelspülung werde ich ihr heute sicherlich auch angedeihen lassen, der Druck muss raus. Linda öffnet die Tür und grinst. Das kann ich verstehen; wenn sich Gedanken visualisieren könnten, würden ihre Augen zwei Dollarzeichen zieren. Nach vollendeter Tat und dem anschließenden Entlohnungsvorgang verlasse ich das Freudenhaus (sagt man das auch, wenn nur eine Mitarbeiterin
vorhanden ist?) und fahre nach Hause. An der Tür hängt ein Zettel: "Du Pisser machst noch einmal die Musik laut und ich reiß dir die Eier ab!". Ach ja, vorigen Monat waren Nachbarn eingezogen, die wohl dem Bodybuilder-Milieu zuzuordnen sind.
Im Fernsehen läuft was über Engländer im Urlaub. Sie würden viel kotzen und öffentlich kopulieren. Finde ich nicht weiter schlimm. Wozu ist Urlaub denn da? Auf dem Telequiz-Sender wird gefragt, welche Hauptstadt in Europa so ähnlich wie ein Tier mit Tatzen heißt. Katzenhausen scheidet als Antwort aus, auch Wolfsburg wird von einer älteren Dame genannt und vom drittklassigen Moderator mit einem charmanten "Sind denn hier alle blöd?" abgebügelt. Bevor ich mich weiter aufrege, lege ich die DVD ein, die
ein Bekannter nach durchzechter Nacht bei mir liegen ließ. Die erste halbe Stunde gestaltet sich als Herausforderung. Es geht um eine alleinstehende Frau, die ihren Weg geht. Natürlich habe ich Verständnis für dieses Thema, nur hat mir meine Ex-Freundin schon zu viele Einblicke in die filmische Aufarbeitung der Problematik gewährt.
Es ist mittlerweile 1 Uhr morgens und das Fernsehgerät gibt nichts Abendfüllendes mehr her. Da wirkt die Welt der Computer umso anziehender und der Empfangssound meines Betriebssystems dröhnt durch die Räume (hat schon was, wenn der Rechner mit dem Dolby-Surround-System verbunden ist).
Meine E-Mails wirken eher wie eine Potenzmittel-Verkaufsveranstaltung, denn als eine informative Kommunikationsmöglichkeit. Im Chat eines Partnersuche-Forums gebe ich mich als muskulöser Frauenversteher aus, der schon einige Male arg enttäuscht wurde und nun eine Partnerin sucht, die ihm den Alltag in seiner Stadtvilla versüßt. Tatsächlich beißen sie heute gut. Drei E-Mail Adressen und ein Foto in 20 Minuten sind überdurchschnittlich. Die Bitte nach Nennung meiner Telefonnummer verneine ich vorsichtig mit der
Begründung, dass mein Mobiltelefon bei der gestrigen Geschäftsführersitzung "weggekommen sei". Das erhaltene Foto zeigt eine Person, die, auf einer Parkbank sitzend, an einem Eis schleckt und ihre Körperproportionen gekonnt mit einem mexikanischen Poncho verhüllt. Ein Treffen mit dieser Frau gehört zweifelsohne nicht zu den Top-Ten meiner Prioritätenliste. Ich verlasse den Chat und widme mich anspruchsvolleren Dingen. Eine Seite sticht mir ins Auge. Dort gibt es die Möglichkeit, seine Kurzgeschichten
einzusenden. Kann ich nicht ... egal, nach Leerung einer Flasche echten russischen Vodkas schreibt es sich wie von allein ...
Eingereicht am 30. August 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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