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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Im Flieger

© Ihepih


Der urlaubsreife Passagier, der, sich alles wünschend, und hoffend, dass er genau das an seinem Urlaubsziel erfüllt bekommt, wofür er das ganze Jahr gespart hat, sitzt nun in einem Beförderungsmittel, dessen fatale Nebenwirkungsmöglichkeiten ihm gehörig an die Nieren gehen.
Solange der Flieger am Boden steht, ist der geneigte Fluggast, den Passagierraum betretend, von der emsigen Geschäftigkeit des Bordpersonals, sowie seiner eigenen Unsicherheit und Verwirrtheit von der Frage eingenommen, ob sein Platz noch frei ist oder ob es für ihn überhaupt einen gibt, da er, adrenalinblind schon mehrfach daran vorbeigelaufen, sich des nahenden Unheils nur schemenhaft oder noch gar nicht bewusst ist. Die sich langsam legende, allgemeine Unruhe im Sitzbereich führt dann zur definitiven Gewissheit, wenn sie, alle brav sitzend, die nähere Umgebung des Sitzplatzes erkundend, nebenbei an der Air-Kondition-Düse gedreht und die Sitzplatzbeleuchtung an und ausgemacht haben, die laminierte Notfallbeschreibung neben einer Kotztüte in die Hand nehmen und zu der allgegenwärtigen Sprachverwirrung, eine deutlich gezeichnete Aufforderung für den ernstzunehmenden Extremfall, deduktiv gewahr werden. Die Kiste kann abstürzen!
Dem nicht genug an angstförderlichen Informationen, ist die erste Unsicherheit, in der Suche nach den Ecken, in denen möglicherweise die Gerätschaften liegen könnten, die vielleicht das eigene Leben retten würden noch nicht beendet, da kommt auch schon der klingeltonunterstützte Hinweis: "please fasten your seatbelts".
Verwirrt umherschauend, was die anderen Passiere jetzt machen, gesellt sich nun eine Flugbegleiterin mit der unschlagbar monotonsten Gleichgültigkeit in der Stimme zu den Passagieren und fordert sie, in tausendfach geübten "handlichen" Hinweisen, auf, die Phobie der Flug-Eremiten - denn plötzlich bist du ganz allein, wie immer wenn es ernst wird - erneut bis ins Unerträgliche steigernd, sein eigenes Unheil mit minimalistischen Mitteln im Ernstfalle selbst in die Hand zu nehmen. Nach einer nur kleinen Pause wird dann die existentielle Belastbarkeit auf die härteste Probe gestellt.
Der Flieger startet.
Beginnend mit der Roll-Zeremonie, die, und das glaubt niemand ernsthaft, nur der Positionsfindung auf der Startbahn für den Start dient, um dadurch, mit nahezu ohrenbetäubenden Lärm auf der Stelle verharrend, die Nerven des Freiwilligen bis an die Grenze des Erträglichen anzuspannen. Die Bremsen lösen sich, das Fluggerät rollt an, die Luft weicht aus den Ohren, "wofür ist eigentlich das Bonbon", fragt sich der ein oder andere ganz nebenbei, die Maschine hebt, nach nicht enden wollender Geschwindigkeitszunahme erst langsam und flach ansteigend ab, um dann sofort in den Steilflug überzugehen und mächtig an dem Frühstück zu kitzeln, dessen Wiedersehen der Beschenkte peinlich zur Kenntnis nehmen wird.
Sobald der Horizontalflug eingeleitet ist, stellen die Gepeinigten spontan ihr Überleben fest, was sofort in Feierlichkeiten ausartet, die selten ohne Alkoholgenuss einhergehen. "Die Landung kann dagegen ja nur ein Klacks sein", wird manch einer geflissentlich denken, erträgt in alkoholisierter Entspanntheit das Landemanöver und klatscht tüchtig Beifall, wenn alle Räder mit der Landebahn Kontakt aufnehmen und die Kiste endlich zum Stehen kommt, um dem Flugkapitän für sein Überleben zu danken und mit sichtbarer Erleichterung ihren Respekt zu zollen. Wobei nachhaltig die Frage erlaubt sein darf, ob sie genauso klatschen würden, wenn ein Taxi, in dem sie mitfahren, vor dem erwünschten Fahrtziel hält.



Eingereicht am 14. Juli 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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