Karin Reddemann
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Lady

© Karin Reddemann


"Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre ..." Ernestine wachte auf, als die ersten Sonnenstrahlen frech ihre Nasenspitze kitzelten, viel zu früh, um den Tag begeistert begrüßen zu können. Egal. Sie trug ihr hellblaues Nachthemd, das mit der dunklen Spitze am tiefen Ausschnitt, der ihr anfangs recht tollkühn vorgekommen war. Zu einladend. Irgendwie frivol. "That's why the lady is a tramp." In einem Nachthemd, zu dem Zigarettenspitze und kaminroter Lippenstift passen. Vielleicht noch ein mundgeblasener Champagnerkelch, in dem die Perlen tanzen und kokett niesen lassen. Gefiel ihr, wenn sie träumen wollte. Sie musste immer kichern, wenn sie hinsah. Altes Luder, Du. Dachte sie und schloss noch einmal kurz, ganz kurz nur die Augen. Der Radiowecker meinte es heute besonders gut mit ihr. Schenkte ihr Marlene. "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, ich bin doch zu schade für einen allein ..." Sie summte mit, hatte noch nie gern gesungen, wer singt schon gern, wenn der Krieg im Kopf spukt und nicht loslässt. Ihre halbe Brust zeigte sich bescheiden trotzig. Appetitlich immer noch. Könnte der Peter sie jetzt sehen. Der junge Hüpfer. Grad mal siebzig, zwölf Jahre jünger als sie. Sie kicherte wieder und sang doch mit, hörte keiner. "Wenn ich grade jetzt Treue schwöre, dann wird doch ein andrer ganz unglücklich sein." Sie stand auf und drohte dem guten alten Radio. Hatte sie wohl vor zwei Jahrhunderten in Gelsenkirchen bei Elektro-Pit gekauft, tat es immer noch. Kampfbereit, der graue Krieger. "Los jetzt. Noch eins. Männer umschwirr'n mich wie Motten das Licht, und wenn sie verbrennen, ja, dafür kann ich nicht." Revierlust. Geruch. Grün. Ein freundliches "Wat is jezz, Mädchen? Kumma? Komma her, nich schlimm, nä?!" Sie vermisste ihn, den Pott. Ehrliche Seelen da, schulterklopfende Gäste damals, als sie mit Gerd-Konrad, ihrem Verstorbenen, das "Heimelig-Stübchen" im Sauerland geführt hatte. Sie adrett in weißer Schürze, er in seiner Lodenweste. Saubere Zimmer, weiche warme Frühstückseier. Kater Pascha bettelt höflich, zuckt arrogant nicht mal mit einer Wimper, um Danke zu sagen. Gerd-Konrad, der Gute. Früh gegangen. Große Liebe? Wusste sie nicht so recht. Ihrer Freundin Gisela gegenüber hatte sie sich mal verplappert. War zu spät gewesen, um sich auf die verdammte Zunge zu beißen. Ein Schlückchen Hessenwein zu viel, dann ihr Satz: "Die Besten blieben ja an der Front. Wir nahmen doch, was übrig war." Gisela hatte gequält genickt und kräftig genippt. Seelenverwandte. Im Seniorenwohnheim "Residenz zu den drei Eichen" gehörte der hessische Trockene nicht zum alltäglichen Rhythmus. Wurde selbständig besorgt, wurde auch geduldet. Das immer noch ungewohnte Essen war bezahlter Service. Zu viel, zu anders. "Hässe ässe bisse bräsche." Peter Kollwitz hatte ihr das beigebracht. Er sagte auch "Aaaschebäscha" statt Ascher, aber nur, um sie zum Lachen zu bringen. Sie rauchen beide nicht. Nicht wirklich. Mal eine Leichte als Nachspeise, die kitzelt herrlich verboten im Bauch. Peter "Pemann", wie sie ihn nennt, um ihn zu necken, hat ihr gezeigt, wie das am Computer funktioniert. Sie hat immer schon gern geschrieben, Tagebuch, grad in der schweren Zeit, als Michi, ihr Einziger, nicht von ihr in den Schlaf geküsst werden konnte. Nicht Gerd-Konrads Erbgut. Michis Vater war gefallen. Weggepustet vom tödlichen Wind. Ihre Eltern hatten ihn zum kalten Mann getrimmt, ohne Absicht, mit viel Liebe, die sie selbst in sich trug, aber nicht zeigen konnte. Keine Zeit. Arbeit. Geld musste her. Musstemusste. Dann starb ihr Bruder. Keine fünfzig, zerfressen vom Krebs, von ihr leise betrauert. Wäre noch so viel möglich gewesen. Im Alter setzt man sich zusammen, streichelt Wangen, reist ins Gestern. Gerd-Konrad fiel im Schlaf, Michi heiratete die falsche Braut. Die nicht in Aschenputtels Schuhe gehört. Die ihr die Zärtlichkeit ihrer Enkel verboten hatte. Geschickt manipuliert. Dümmlich und boshaft zwar, aber erfolgreich. Kukuruku, Blut ist im Schuh. Ernestine trug Trauer in den Augen, wenn sie daran dachte. Sie hatte sich gewaschen, ordentlich, trug jetzt ihr getupftes Sommerkleid, das, von dem Peter schwärmte. "Jung und verboten siehst Du aus." Peter, dieser Rühr-mich-bloß-nicht-an. Nie verheiratet gewesen. Ernestine legt Pink auf ihre Lippen. Sie ist schön. Ihr Herz pocht immer noch mit der Sonne um die Wette. Sie hat Flimmern im Kopf, wird sich nach dem Frühstück in den Garten setzen, vielleicht mit Gisela plaudern, deren Kummer sich in ihrem Gesicht festgebissen hat. Jünger als sie, alt im Bauch. Keine Schmetterlinge mehr. Die einzige Tochter will nichts von ihr wissen. "Mutter säuft." Vertraute diese Made im Speck, der sie kugelrund gemacht hatte, ihr irgendwann am Telefon an. Erschreckend dümmliche Stimme, die unwissentlich nach Widerspruch kreischte. Ernestine wusste von der Langzeittherapie nach Günters Tod, wusste auch, dass Gisela den Sinn nicht sah, ihrem weiteren Leben nicht klar zu begegnen. Ernestine ist stabiler und energischer, sie heult nicht mehr um Michi, der nicht begriffen hat. Nie begreifen wird. Steht wohl irgendwann an ihrem Grab und jammert Rotz. Sie schüttelt sich. Denkt an den frühen Nachmittag, wird eine Geschichte schreiben. Herz-Schmerz, das kann sie, sollen die anderen doch vom Ficken fabulieren. Peter wird da sein, stellt "Rosas Traum" mit ihr gemeinsam ins Netz. Sie ist schon ordentlich gut am Computer, hat sogar eine Freundin, Katinka, gefunden, jünger als sie, die tauscht sich mit ihr aus und liebt ihre Art. Nicht allein sein. Denkt sie und sieht die Wolken im Meer eintauchen, um der goldenen Kugel da oben Platz zu machen.


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