Geburtstage
© Hannelore Sagorski
Wir haben Anfang April, Ostern ist gerade vorbei, und der April ist für mich ein Horrormonat. Sechs Geburtstage in der Familie, am zehnten April, einem Dienstag, hat mein Mann Horst Geburtstag. Gott sei Dank habe ich da Frühschicht, das heißt, um vierzehn Uhr Feierabend, genug Zeit, um noch etwas vorzubereiten. Erfahrungsgemäß weiß ich aber auch, dass in dieser Woche viel Arbeit im Betrieb anfällt und wir Überstunden schieben müssen. Ziemlich froh bin ich, als der Chef mich fragt, ob ich am Mittwoch länger arbeiten
kann, und ich habe großkotzig zugestimmt. Am Freitag den fünften April sitzt die ganze Familie bei meinem Vater, der feiert seinen siebenundsiebzigsten Geburtstag. Mir geht es überhaupt nicht gut, ich habe Hals- und Gliederschmerzen und möchte nur noch ins Bett. Ziemlich früh verabschiede ich mich mit den Worten, "Wir sehen uns ja alle am Dienstag, wenn Horst Geburtstag hat." Meine Tochter Mona fängt an zu kichern, "Mama, ich glaub du bekommst Alzheimer, Horst hat Mittwoch Geburtstag."
Das glaub ich einfach nicht, ich habe doch extra den Kalender befragt, schon allein wegen der Überstunden. Es lässt mir keine Ruhe, noch bevor ich mich ins Bett haue, schaue ich auf den Kalender. Schock - meine Tochter hat Recht, das kann ja heiter werden.
In den nächsten Tagen erhole ich mich ein bisschen, auch überlege ich, ob ich meine zugesagten Überstunden absagen soll, aber ich hasse es, geleistete Zusagen zurückzunehmen, und so lasse ich alles beim alten. Dann muss ich eben ein bisschen besser planen. Zu essen gibt es halt nur belegte Brötchen, die sind schnell geschmiert, und das schaffe ich in der kurzen Zeit auch noch. Der Tag beginnt morgens um kurz nach vier, denn Arbeitsbeginn ist um halb sechs. Aber die Arbeit geht mir schlecht von der Hand, es läuft
einfach nicht, und dann noch die Überstunden. Tagsüber mach ich mir schon mal Gedanken, was ich noch alles einkaufen muss, und um sechzehn Uhr verlasse ich mit wehenden Fahnen den Betrieb, rein ins Auto und ab auf die Straße, Richtung Autobahn. Hier findet meine Fahrt ein jähes Ende - Stau. Ich fass es nicht, zweimal im Jahr hab ich Stau, ausgerechnet heute müssen so ein paar Idioten den Mittelstreifen reinigen und dafür eine Fahrspur absperren. Über eine halbe Stunde dauert es, bis ich den Engpass passiert
habe. Die Zeit wird langsam knapp. Der Parkplatz vom Supermarkt verheißt auch nichts Gutes, er ist brechend voll. Vor mir parkt ein Opa mit Opel und Hut so blöd ein, dass er zwei Parkplätze braucht, was mich allerdings beim Anblick seiner Glasbausteine, die er auf der Nase trägt nicht wundert. Wenig später geht es im Laufschritt durch die Gänge, und ich habe Glück, keine Schlange am Wurst- und Käsetresen, dafür aber am Bäckerstand, und der Mann vor mir kauft mir die ganzen knackfrischen Brötchen vor der Nase
weg, ich könnte ihn erwürgen. Bei meinem Blick müsste er eigentlich tot umfallen, stattdessen grinst er mich frech an. So viel Pech kann man doch gar nicht haben, denke ich wütend. Die Verkäuferin tröstet mich, "in zehn Minuten ist die nächste Lage fertig gebacken." Na ja gut, dann trinke ich eben in der Zwischenzeit einen Kaffee. Endlich bin ich mit den Einkäufen auf dem Weg nach Hause und überlege, was ich zuerst mache. Sicher sitzt Alf, unser Schäferhund, schon mit seiner Leine im Maul vor der Tür
und will mit mir laufen. Das kann er sich heute abschminken, da mach ich nur die Terrassentür auf, und er kann in den Garten laufen. Alf freut sich richtig, als ich komme, aber er hat gar keine Lust nach draußen zu gehen, sondern hängt ständig mit seiner Nase in meinem Einkaufskorb, wahrscheinlich riecht er die frische Wurst, und bei ihm muss man vorsichtig sein, er klaut alles was essbar ist, von Tisch und Teller. Alles auspacken, Teller auf den Tisch und anfangen zu schmieren. Aber irgendetwas fehlt, ich brauche
eine Aufmunterung. Ich schalte den CD Player an, Safri Duo kommt glaube ich ganz gut, volle Lautstärke, so dass die Boxen richtig knistern, da lass ich mir den Stress aus dem Bauch trommeln. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Alf mit meinem Wurstpaket gerade nach draußen verschwindet. Ich hinterher, aber er verteidigt seine Beute, jedes Mal wenn ich danach greifen will, schnappt er sie und rennt weiter. Nach kurzer Zeit habe ich die Schnauze voll und gehe zurück in die Wohnung. Die Terrassentür wird zugeknallt,
der Köter kann jetzt draußen bleiben, und Wurst gibt es heute auch nicht auf Brötchen. Dafür werden Eier gekocht, Gott sei Dank habe ich noch welche im Kühlschrank, sind zwar schon abgelaufen, aber egal, wenn sie nach dem Abpellen etwas merkwürdig aussehen, kann ich sie immer noch wegschmeißen. Und ich schaffe es tatsächlich noch in der verbleibenden Zeit die Brötchen zu schmieren und den Tisch zu decken. Auch der Kaffee ist schon gekocht, als meine Gäste erscheinen. "Wurst war ja wohl ausverkauft",
sagt Mona neckend mit Blick auf meine Brötchenplatte. "Das nicht, aber Alf war schneller als ich, und ist mit dem Wurstpaket abgehauen. Kannst ihn ja mal fragen, ob er dir was übrig gelassen hat." Alf schaut mich mit seinen großen Knopfaugen an, und ich kann ihm auch nicht mehr böse sein, und endlich kommt auch mein Mann von der Arbeit nach Hause, und es wird noch ein sehr netter Abend. Aber immer möchte ich so einen Geburtstag nicht erleben.
Eingereicht am 30. Juni 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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