Edgar Schumann liebte Helga. Sie ihn nicht, weil sie es nicht konnte. Vermutlich. Sie war aus Gummi und bekam gar nicht mit, wenn er ihre Brüste quetschte wie unsensible Tennisbälle, die vorher von einem jungen Hund zerkaut worden waren. Hätte keiner vernünftigen Frau gefallen, aber Helga duldete still. Er biss in ihre Schenkel und andere Orte, wenn er da unten herumturnte, stets in der Hoffnung, sie würde nicht platzen. Edgar nannte Helga Mischimuschi, das war ein Name, den er nie aussprechen würde. Wenn seine Mutter mal käme. Oder Fred Stoiberhoff. Der zog ihn immer auf. "Keine kennen gelernt, Eddi? Mach was aus Dir, Mann." Er machte was aus sich, zog sich chic an, gelber Pullunder und rote Lederslipper, rieb sich die Zähne mit einem Küchentuch ab und tanzte mit Helga. Ghost im Geiste. Er sah den nassen Ton in den Händen einer willigen Töpferin und stieß mit seiner Zunge in ihr Hirn. Zwischen ihre Beine, da, wo er es wähnte, ohne nachzudenken. Sah Helga an und lutschte ihren kalten Nacken. Wanderte weiter. Pinkfarbene wulstige Lippen, die nach Eiscreme lechzten. Ein Busen, der genau hinkam, rechts in die eine, links in die andere Hand. "Tittchenspielchen", dachte er lausig, kam sich dreist vor und genierte sich. Kurz nur, dann war er wieder Adam. Kühn und steif. Lutschte an ihr und war zufrieden. Die Dinger standen immer. Seine Taschentücher, liebevoll von Großmutter Willfried bestickt, waren mittlerweile zu gelbstichig, um noch weiß werden zu können. Er putzte Helga ein letztes Mal, schmiss die Stoffschönheiten in den Müll, schämte sich und betete für Oma Willi, die ihm vermutlich böse mit dem Zeigefinger drohte. Dort irgendwo, wo sie war und nicht mehr wirklich schimpfen konnte. "Nimm die Pfoten aus der Hosentasche, Eddi. Mach nachts keinen Unsinn mit den Fingern, sonst beißt Oma sie Dir ab." Edgar war ein braver Junge, er besorgte es sich im Schuppen, wo die Kaninchen hockten und starrten, immer die zuckenden Nasen auf ihn gerichtet. Hohle Spanner, erregten ihn aber. Helga war seine große, gute Bestellung, nachdem Gudrun Hommberg ihm die Lust auf mehr mit ihr genommen hatte. "Eddi, das mit uns wird nichts." Dabei hätte sie seine Erste sein dürfen, trotz dicker Brille und Wasser in den Beinen, von ihm begehrt und beleckt, so hatte er es in Magazinen gesehen. Seine blauen Rosen waren für die Katz gewesen, der Preis ärgerte ihn, Blau war eh nicht seine Farbe. Gudrun küsste ihn auf die Stirn, er kam sich vor wie bei Mutti, die mit ihrer Spucke Pudding im Mundwinkel weg wischt. Sein Herz jaulte. Das da in seiner Hose auch. Gudrun war seine einzige reelle Chance gewesen. Er nannte sie Guddi, wie seinen Hamster, dem Gundolf den Kopf abgebissen hatte. Der wurde oben ohne beerdigt in einem Schuhkarton, Eddi hatte einen Strauß Butterblümchen auf das wesentlich fehlende Teil gelegt, das machte die Sache niedlicher. Mit Gundolf redete er kein Wort mehr, aber das war dem verfressenen Kater vermutlich egal. Liebte ihn eh nicht, waren kein Gespann, das gemeinsam schnurrt und jagt. Gudrun trug ein hautfarbenes Miederhöschen, als sie sich nach zuviel rotem klebrigen Likör aus ihrem Hausbackenen herausgeschält hatte, aber ihr Bauch war immer noch gewaltig, im Gegensatz zu ihren Brüsten, die, geziert herausgepellt aus blassrosa Spitze, wie Bonsai-Birnchen hingen. Edgar selbst war auch nicht der Schönste, also schloss er die Augen und dachte: Trotzdem Victoria. War es aber nicht. Und dann dieser Satz, den sie sagte, nachdem sie sich Muttis Kamelhaardecke bis zu den Augenbrauen gezogen hatte: "Eddi, das mit uns wird nichts." Gelacht. Helga, die kulleräugige Stumme, hätte sie verhöhnt. Stümperin. Liegt an Dir, trockene Schlampe. Er verwöhnte sie mit gutem Wein, trank selbst zu viel, weil sie ja nicht direkt schluckte, kippte ihr vorsichtig Tröpfchen auf die wunderbaren Knospen, die er abschlürfte, um auch ganz unten noch durstig sein zu können. Seine Fontänen waren einmalig. Er brauchte sich vorher noch nicht einmal die Zähne zu putzen oder sonst was zu wienern, er war gut für sie. Hätte Helga stöhnen können, sie hätte den Mond angeheult. Zumindest seine Nachttischlampe, grün, mit barockem Engel verziert, die strahlte, wenn sie sich fanden und tauchten, um übermütig in letzter Sekunde nach Luft zu schnappen. Schade nur, dass plötzlich Helgas Kopf zerplatzte. Nicht wirklich, aber er schrumpfte deutlich. Sah unschön aus. Edgar hatte sich irgendwann danach eine Zigarette gegönnt, war Nichtraucher, wollte sie kräftig pusten lassen. Sie hatte sich verbrannt. Jetzt war da oben alles hin. Ähnlich wie bei meiner Guddi. Dachte er traurig, dachte an den kaputten Hamster und seine kaputte Liebe und versenkte Helga im Bettkasten. Er kaufte sich umgehend eine Neue. So flüchtig ist die Liebe.
Warum wünscht sich ein Mädchen in einer Leichenhalle zu liegen und aufzuwachen in einem weißen Nachthemd aus Spitze, das dem Totenhemd ihrer Tante ähnelt? Wer ist der Tote Mann auf dem Bett, in dessen Hals ein Schraubenzieher steckt? Wem gehört der Ring, der im Garten unter einer Zeder vergraben wurde? Kann ein harmloser Teddybär zum Mörder werden? Warum kann es verhängnisvoll sein, ein Einmachglas fallen zu lassen oder als Kind an seinem Zeh zu lutschen? Wer waren die Personen, die auf dem alten Gemälde ohne
Augen dargstellt sind und was ist ihr Geheimnis? …
Karin Reddemanns Geschichten erwecken alltägliche Ängste und düstere Bilder und entführen den Leser in eine verstörte und verstörende Welt.