Die Toten rühren mich. Ich schlendere an ihnen vorbei und wage verstohlene Blicke. Manchmal schlucke ich, bin ein sentimentaler Hund, weiß aber keiner. Denke an die unnützen Knochen, die da liegen, vermutlich nicht mehr liegen, denke an ungelebte Lust und verfluche kurzfristig meine eigene, die zu offensichtlich ist, um wahrhaftig zu sein. Kommt mir so nichtig vor. Verdammt junge Kerle. Sind alle in den Dreck gefallen und haben nach ihrer Mutter geschrien. Vielleicht hatten sie ein Liebchen irgendwo, vielleicht schon was Festes, weiß man nicht, kenne mich mit der Zeit nicht aus. Mein Großvater Jupp Oben, der so hieß, weil er in der Wohnung über der meiner Eltern lebte, überstand den ersten und mehr und haute als Überlebender Zeit seines Lebens mächtig auf den Putz. Abgefrorene Zehen und ein russischer Kieferbruch durch einen Gewehrkolben waren alles, was er sich im Krieg eingefangen hatte. Habe ein Foto von ihm, er in Uniform, die eine Pfote von Zeus in der Rechten, beide gucken ernst und wichtig. Zeus wurde der Bauch in Frankreich zerfetzt, er war kein Krieger, nur ein Freund, der seinen Herrn begleitet hatte. Opa Oben heulte, wenn er von ihm sprach. Terrier-Schäferhund-Mischling, der Beste im All. Mein Großvater verbuddelte ihn auf einem von der Sonne verbrannten Acker, es roch dort nach einem guten starken Gewürz, sagte er, und das gefiel ihm. Zeus fand das Grab eines Unbekannten in warmer, fremder Erde, irgendwo dort liegt er, wie mein Großvater selbst schon liegt und träumt und vielleicht immer noch herum spinnt. War selbst mal in der Nähe von Arles, vor Urzeiten mit Johanna, die ich Nanni genannt habe, die das aber nicht zu schätzen gewusst hat. Habe meine Nase in den heißen Wind gehalten und sie schlucken lassen, konnte, glaube ich riechen, was Zeus in die Ewigkeit begleitet hat. Wünsche mir heute, dass die Jungs auf dem Wreddelinger Friedhof in der Nähe meines Geburtshauses, in dem ich heute noch lebe, derart haben atmen, lecken, seufzen können. Augen zu, Kopf zur Sonne, Seele lachen lassen. Herz kauen lassen. Ein Gewürz, das so unvergleichlich schmeckt wie warmer Sommerregen auf ausgetrockneten Lippen. Wie das Salz, das uns gemeinsam mit den Wellen liebkost, damit wir es saugen und nie wieder vergessen. Wohne dort in dem roten Ziegelsteinbau nicht mehr mit Felicitas, die ich Feli nannte, wie ein Kind an der Brust, die ich nicht habe. Die ich zärtlich festhielt, aber zu fest, denn sie ging.
Ich lese die Namen auf den Grabsteinen immer wieder, wenn ich mit Fred gehe.
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Karin Reddemann
Gottes kalte Gabe
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Warum wünscht sich ein Mädchen in einer Leichenhalle zu liegen und aufzuwachen in einem weißen Nachthemd aus Spitze, das dem Totenhemd ihrer Tante ähnelt? Wer ist der Tote Mann auf dem Bett, in dessen Hals ein Schraubenzieher steckt? Wem gehört der Ring, der im Garten unter einer Zeder vergraben wurde? Kann ein harmloser Teddybär zum Mörder werden? Warum kann es verhängnisvoll sein, ein Einmachglas fallen zu lassen oder als Kind an seinem Zeh zu lutschen? Wer waren die Personen, die auf dem alten Gemälde ohne
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Karin Reddemanns Geschichten erwecken alltägliche Ängste und düstere Bilder und entführen den Leser in eine verstörte und verstörende Welt.