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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Schuldig

© Anna Schwenk


"Er hat sie umgebracht!", hörte er die schrille Stimme der Mutter, die sich von dem dumpfen Gemurmel um ihn herum abhob, um sich wie ein Dolch in sein Bewusstsein zu bohren. Dann sank er wieder zurück in seine geknickte Haltung, beobachtete durch den Tränenschleier das Geschehen um ihn herum. War das alles real? Konnte es überhaupt real sein? Seine Gedanken schweiften ab und er saß wieder hinter dem Steuer des alten Peugeot, fuhr die Straße entlang und plötzlich …
Eine Hand legte sich behutsam auf seine Schulter, doch er zeigte keine Reaktion. Schließlich versuchte er sich auf das zu konzentrieren, was um ihn herum passierte. Die Stimme, die ihn erreichte, sprach von Mord, von fahrlässiger Tötung. Dann erhob sich die Person neben ihm, sprach von Reue, von Trauer, von Unschuld. Was nun kam wusste er, er sollte etwas sagen. Aber was denn? Mit einem Kopfschütteln zeigte er seine Hilflosigkeit und konnte regelrecht spüren, wie sie ihn anstarren. Dann verließen Richter und Schöffen den Raum.
Minuten des Wartens begannen. Schreckliche Minuten der Erinnerung. Wieder saß er am Steuer, wieder die Straße, dann plötzlich ein Ball, der vor ihm auf die Straße rollte und ehe er begriff, dieser Knall! Dieser schreckliche Knall, der durchdringende Schrei und das schleifende Geräusch als er bremste …
Er zitterte. So sehr, dass er kaum wagte die Hände vor sich auf den Tisch zu legen. Der Schweiß rann ihm in Strömen den ganzen Körper herunter. Und diese Blicke, die er auf sich spürte! Aus ihnen sprach nichts als purer Hass! Aber warum? Völlig gefangen von seinen Gedanken bemerkte er nicht einmal, dass der Richter wieder den Raum betreten hatte. Still blieb er sitzen, rührte sich nicht. Die Stimmen aus weiter Ferne waren bedeutungslos für ihn.
Ein Aufschrei! So grell, wie der des kleinen, blonden Mädchens, ließ ihn sich ducken, als erwarte er einen Schlag. "Freispruch!" hörte er seinen Anwalt triumphieren. Aber frei? War er frei? Nein! Nie wieder würde er frei sein, denn er hatte ein unschuldiges Leben ausgelöscht.
Die Erinnerung würde immer bleiben, sie würde ihn nicht freisprechen. Niemals …



Eingereicht am 27. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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